Denn ich habe festgestellt, dass ich sehr häufig in Schubladen gesteckt wurde, bedingt durch das Aussehen, bedingt durch die Weiblichkeit. Zu blond, zu laut, zu leise, zu schwach, zu stark, zu groß, zu lustig, nicht humorvoll genug…, ich habe gefühlt alles schon gehört. Und wenn man in seiner Persönlichkeit nicht gefestigt ist, können Vorurteile irritieren. Daher ist es mir wichtig, zu zeigen, dass es in Ordnung ist, den individuellen Weg zu verfolgen. Vollkommen unabhängig davon, was die Masse erwartet oder gerne hätte. Es ist legitim, sich seine eigenen Gedanken zu machen und es dann auszuprobieren. Meist sind es die eigenen Ängste und uralten Glaubenssätze, die von der Umsetzung abhalten.
Können uns Ängste nicht auch vor falschen Entscheidungen bewahren?
Da malt man sich aus, was alles schief gehen könnte und was womöglich Schlimmes passiert. Am Ende passiert dann leider vor lauter Angst und Zweifeln gar nichts. Ich habe erlebt, dass sich viele junge Menschen selbst vor schwere Karriere-Entscheidungen stellen, weil sie irrtümlich davon überzeugt sind, dass ihre restliche Vita davon abhängt. Faktisch hängen allenfalls die nächsten zwei bis drei Jahre davon ab und dann ist man in der Lage, sich nochmals neu zu orientieren und neu zu bestimmen. Ich habe als junger Mensch viel Zeit damit verbracht, Jobangebote gegeneinander abzuwägen und meine Karriere zu planen. Diese Zeit hätte ich mir rückblickend sparen können. Denn es war im Nachhinein nicht wichtig, welches Angebot ich angenommen habe. Vielmehr war es entscheidend, welches ich nicht angenommen habe und warum. Als ich vor der Entscheidung stand, selbstständig zu werden, hatte ich ein sehr gutes Angebot von einem Konzern vorliegen. Die Position war super interessant und auch finanziell war es überaus attraktiv. Ich habe mich trotzdem bewusst für die Selbstständigkeit entschieden. Ich wollte mich nicht mehr dafür rechtfertigen müssen, für welche Themen ich mich engagiere und warum. Es war eine sehr bewusste Entscheidung, hin zu mehr Freiheit im Denken und im Handeln.
Das war mutig und beeindruckend.
Mein Beispiel zeigt, dass Erfolg nicht vom Himmel fällt und viel mit Mindset zu tun hat. Ich komme aus einer Familie, der das Unternehmertum im Blut liegt. Ich bin in Ostdeutschland aufgewachsen und habe erlebt, was mit einer Unternehmerfamilie passiert, deren Betrieb enteignet wird und die nur noch eine passive Rolle darin spielen darf. Doch das Mindset des Unternehmers bleibt und wird an die kommenden Generationen weitergegeben, ob bewusst oder unbewusst. Deswegen war das Thema Selbstständigkeit ein vollkommen natürlicher Weg für mich. Sich zu trauen, rauszugehen, Neues auszuprobieren. Mein Umfeld hat zwar auf meine Idee der Selbstständigkeit teilweise verhalten reagiert und gefragt, warum ich meinen gutbezahlten, sicheren Job im Konzern aufgebe. Aus meiner Sicht war der Weg ins Unternehmertum die logische Konsequenz.
Ich bin davon überzeugt, dass Familie und Elternhaus in hohem Maße mitbestimmen, wie wir denken und handeln, für welche Berufe wir uns entscheiden und mit welchem Mindset wir an Themen herangehen. Die Hotelbranche, aus der meine Eltern kommen, hat zwar nicht dazu geführt, dass ich selbst Hotelier geworden bin. Dennoch hat es dazu geführt, dass ich anpacken kann, klare Vorstellungen über meine Ziele habe und das Unternehmerische von Kindesbeinen an mitbekommen habe.
Bist du davon überzeugt, dass es Frauen aus eigener Kraft gelingt, in technischen Berufen erfolgreich zu sein? Oder braucht es Politik, Gesellschaft und Unternehmen?
Für mich hatte die Zusammenarbeit mit Männern eher Vorteile. Denn wenn man als Frau unter Männern einen guten Job macht, fällt man verstärkt auf. Ein einziges Mal in meinem Leben hat ein Mann den Vorzug bekommen, schlicht deshalb, weil er ein Mann war. Davon abgesehen war es eher ein Vorteil, dass ich als Frau gesehen wurde, sofern beide gleich kompetent waren. Ich bin dennoch grundlegend davon überzeugt, dass es eine Frauenquote braucht, um die erste Hürde zu überwinden, und damit die Gleichstellung schneller Fahrt aufnehmen kann. Ich denke, dass wir politisch auf einem recht guten Weg sind.
Gesellschaftlich bin ich davon überzeugt, dass wir die Individualität stärker fördern und feiern sollten. Es ist ok, wenn jeder seinen eigenen Weg einschlägt und es keine, oft falsch gewählten, Standards gibt. Frauen mit Kindern müssen nicht zwingend zu Hause bleiben. Es ist solange in Ordnung, wie es die eigene Entscheidung ist und nicht die des Mannes oder der Gesellschaft.
Bereits im Kindergarten sollten wir Kindern aufzeigen, dass es berufstätige Frauen und Frauen in Führungspositionen gibt. Dass unterschiedliche Vorbilder und individuelle Lebenswege existieren, die allesamt völlig in Ordnung sind. Ich erinnere mich da an eine sehr einprägsame Geschichte: Eines Tages holte ich meine Tochter vom Kindergarten ab und sie fragte mich, was ich beruflich mache. Als ich ihr von meinem Job erzählte, sagte sie: ‚Mama, das kann nicht stimmen. Du bist ein Mädchen und Mädchen sind keine Chefs.‘ Von daher müssen wir sehr früh ansetzen. Schulisch sollten wir Unternehmertum früher fördern und aufzeigen, dass Selbstständigkeit eine relevante Option im Lebenslauf ist, dass Lebensläufe heute nicht mehr geradlinig sein müssen. Ich würde es sehr begrüßen, noch stärker die IT-Angebote für Kinder und Jugendliche zu fördern, so dass Programmierkenntnisse oder im Allgemeinen IT-Kenntnisse zum Standard werden.
Du bist nicht nur vollzeitig selbstständig und vielseitig interessiert, sondern auch Mutter. Wie organisierst du dich?
Was mir als Vollzeit tätige, selbstständige Mutter am meisten hilft, ist mein Partner. Wir haben uns von Anfang an gleichberechtigt um Kindererziehung und Beruf gekümmert. Er ist glücklicherweise recht flexibel, weil er im Außendienst tätig ist. Selbstverständlich gab es schwierige Momente, wenn beide auf Dienstreisen waren oder das Kind krank war und dann ein Elternteil anwesend sein musste. Wir versuchen beide, unseren Alltag bestmöglich zu organisieren. In diesem Zusammenhang erwarte ich von Unternehmen, Meetings untertags zu organisieren. Meetings nach 17 Uhr sollten ad acta gelegt werden. Zudem braucht es Home-Office Möglichkeiten, das ist noch nicht in allen Konzernen Standard. In meinem eigenen Wirkungskreis als Führungskraft habe ich unabhängig vom Konzernstandard stets gemeinsam mit meinen Mitarbeitern entschieden, was für den Einzelnen und das Team die beste Lösung war. Beschwerden dazu gab es nie, denn wir waren erfolgreich. Mein Learning daraus: Erst mal machen und dann schauen, was passiert. Oftmals sind die Konsequenzen kaum negativ oder spürbar.
Was waren rückblickend deine größten Learnings?
Ich habe bereits in der Schule festgestellt, dass mir IT liegt und ich dafür eine Begabung habe. Im Berufsleben wurde mir das permanent gespiegelt. Ich hätte eventuell früher darauf hören sollen. Und ich hätte mich schon deutlich früher selbstständig machen können. Mich hätte schließlich nichts davon abgehalten. Es ist wichtig, sich zu trauen, auf seine innere Stimme zu hören, sich nicht so sehr vom äußeren Lärm und den gesellschaftlichen Normen beeinflussen zu lassen. Zum Beispiel davon, dass IT Männersache ist. Denn das ist definitiv nicht so. Zudem durfte ich lernen, dass Männer sehr gerne mit uns Frauen zusammenarbeiten. Denn die Effekte sind nicht von der Hand zu weisen. Es beeinflusst die Firmen-Kultur, das Betriebsklima und den Teamzusammenhalt sehr positiv. Dann ist die Welt plötzlich groß und bunt.
Wenn man seine Leidenschaft verfolgt, zieht man andere Menschen in sein Leben, die in gleicher Weise ticken. Das ist eine Bereicherung und dafür bin ich unfassbar dankbar. Mein Lieblingsthema ist: nicht reden, einfach machen. Träumen hilft, die Wünsche und Ziele zu visualisieren und sich ein Bild davon zu machen, wo man hinmöchte. Wichtiger ist es jedoch, den ersten Schritt zu gehen und dann einen Fuß nach dem anderen in die gewünschte Richtung zu setzen. Wege entstehen beim Gehen. Letztendlich kommt es, wie es kommt.
Ich danke dir für den anregenden Austausch!
„Die mathematische Wissenschaft zeigt, was ist. Es ist die Sprache der unsichtbaren Beziehungen zwischen den Dingen. Aber um diese Sprache zu gebrauchen und anzuwenden, müssen wir in der Lage sein, das Unsichtbare, das Unbewusste zu schätzen und zu fühlen.“
Ada Lovelace (britische Mathematikerin, gilt als erste Programmiererin)
Viele