»Zurück! … Zurück … oder …«
Eine Schußwaffe unterstützte die Drohung. Sie war nicht mehr nötig. Sobald diese scheinbar doch bis zum Wahnsinn erhitzte Bande die Stimme hörte … das Gesicht sah, ließ sie von dem Angriff auf Florence ab.
Ein kurzes Kommando des Mannes schaffte dem Wagen freie Bahn.
Von fernher wurde Gewehrfeuer vernehmbar. Aus der Sacramento Street brach ein Trupp berittener Polizisten und schlug auf die festgekeilte Menge ein. Wer nicht ausweichen konnte, wurde niedergeschlagen oder von den Pferden zu Boden geworfen.
Da krachte von der Markthalle her eine Salve und riß blutige Lücken in die Reiterschar.
Jetzt brachen auch aus den anderen Straßen Polizeitruppen vor und drangen auf den Platz. Von der Halle her wurden sie mit wütendem Gewehrfeuer empfangen.
Die bewaffneten Schwarzen hatten sich in der Halle verbarrikadiert und schossen vom Dach und von den Fenstern aus auf die anrückenden weißen Polizeitruppen.
Feuerschein zuckte auf. Brennende Teile des Scheiterhaufens waren vom Winde bis in die Halle getrieben worden und hatten gezündet. Die Eingeschlossenen versuchten das Feuer zu löschen. Die Schüsse der Angreifer trieben sie zurück oder töteten sie. Gierig fraß das Feuer weiter. Bald war die große Halle ein einziger Flammenherd.
Ein wildes Geschrei drang aus dem Innern. Die Polizisten erwarteten, daß die Schwarzen nach irgendeiner Seite hin einen Durchbruch versuchen würden. Doch nichts geschah.
Weiter fraß das Feuer. Die Fenster zersprangen in der Glut. Lauter als bisher drangen durch die offenen Höhlen der wilde Gesang und das fanatische Geschrei der Eingeschlossenen.
Jetzt wurde es schwächer. Im Rauch erstickten die Stimmen der Männer, die lieber sterben, als sich den Weißen ergeben wollten.
Georg Isenbrandt stand in seinem Laboratorium in Wierny. Er hatte die Tür des Raumes sorgfältig verschlossen. Niemand sollte ihn bei diesen Versuchen stören, die ihm die letzte Sicherheit bringen mußten.
Das Dynotherm wirkte wie eine radioaktive Substanz. Seine Materie zerfiel, löste sich scheinbar in das Nichts auf und verschwand aus der Schöpfung. Dafür aber traten riesenhafte Energiemengen auf, entstanden scheinbar ebenfalls aus dem Nichts und dienten bei den Arbeiten der Kompagnie dazu, die Hochalpen Asiens in einen heißen, viele Tausende von Meter in die Höhe reichenden Dampfnebel zu hüllen.
War das Prinzip umkehrbar, ließ sich eine Kombination finden, bei der neue Materie aus dem Nichts entstand und als Gegenwert Energiemengen gebunden wurden, spurlos aus der Schöpfung verschwanden. Seit Jahren bewegte diese Frage Georg Isenbrandt. In rastloser Forscherarbeit war er dem Problem immer näher gekommen. Der heutige Versuch mußte den letzten Beweis erbringen.
Er saß vor der Apparatur und schüttete eine sorgfältig abgewogene Prise seines neusten Präparates in das Wasser einer hohlen Quarzkugel, die ihrerseits die Kugel des Heliumthermometers umgab.
Er saß und verfolgte die Skala des Thermometers. Was sich hier etwa an neuer Materie bildete, konnte rechnungsmäßig nur Bruchteile eines Milligramms ausmachen. Aber die Energiemengen für die Schaffung auch dieser geringen Stoffmenge mußten gewaltig sein. Das Thermometer mußte ihm zuerst und unfehlbar Aufschluß geben, ob Praxis und Theorie auch wirklich übereinstimmten.
So saß er und verfolgte den schmalen roten Weingeiststreifen, der das im Thermometer eingeschlossene Heliumgas von der Außenwelt abschloß.
Das Thermometer fiel. Schon hatte es den Gefrierpunkt erreicht, und langsam, aber stetig wanderte der rote Faden in dem Thermometerrohr weiter nach unten. Jetzt begann sich die Quarzkugel, in der das Präparat arbeitete, mit einer Eisschicht zu überziehen. Bei der Berührung mit der Zimmerluft schlug sich der in dieser vorhandene Wasserdampf sofort als massives Eis an der Quarzwand nieder.
Und immer noch fiel das Thermometer. Jetzt hatte es 100 Grad Kälte erreicht, jetzt stand es schon auf 180 Grad. Ein massiver, wohl einen halben Fuß starker Eisblock umgab bereits die ganze Apparatur.
Ein eigenartiges Prasseln und Knattern ließ Georg Isenbrandt aufhorchen. Es klang, als ob jemand Schrotkörner auf den Fußboden fallen ließ.
Schon zeigte das Heliumthermometer 250 Grad Kälte. Wo immer die Luft mit der Apparatur in Berührung kam, ging sie selbst sogleich in den flüssigen Zustand über, wurde dann fest und fiel zu Boden und verdampfte dort wieder nebelnd und brodelnd. Aber es wurde kalt und immer kälter auch im Zimmer bei diesem Vorgang. Georg Isenbrandt spürte die Kälte nicht. Wie gebannt hing sein Auge am Thermometer.
… 260 Grad … 270 Grad … nur noch drei Grade trennten die Apparatur von dem absoluten Nullpunkt, bei dem jede Wärme erlischt, jeder Stoff in den festen Zustand übergeht.
Ein Kältegefühl an den Knien ließ ihn aufschaudern. Er faßte mit der Hand nach dem Rockzipfel und brach ein Stück des feinen flämischen Tuches glatt ab. Die flüssige Luft hatte den Stoff durchtränkt und war schließlich in ihm gefroren.
Achtlos warf er das Stück zur Seite. Nur noch das Thermometer interessierte ihn … 271 Grad … der rote Faden blieb plötzlich regungslos stehen. Der Alkohol war von der Kälte erreicht worden und zu einer massiven Stange gefroren. Jetzt aber sah er, wie die Heliumfüllung in Tropfen im Thermometer hinunterzufallen begann, wie das Heliumgas als feste Kruste an der Innenwand haftete.
Der absolute Nullpunkt war erreicht. Auch der flüchtigste aller bekannten Stoffe, das Heliumgas, erlag dieser exzessiven Kälte und wurde starr und fest.
Georg Isenbrandt ließ sich auf einen Sessel sinken. Minutenlang haftete sein Blick auf dem erstarrten Thermometer. Erst klar und fest. Dann wie träumend. Bilder und Szenen kommender Ereignisse zogen an seinem geistigen Auge vorüber. Fast plastisch sah er, was er bis dahin nur in kühnen Träumen zu hoffen gewagt hatte.
Ein Rütteln an der Tür riß ihn aus seinen Gedanken.
»Wer ist da?«
»Ich! Wellington Fox.«
»Einen Augenblick, Fox … sofort …«
Georg Isenbrandt sprang auf und machte mit größter Schnelligkeit eine Dynothermlösung zurecht. Im nächsten Augenblick goß er sie über den Apparat aus und riß die Fenster auf. Dann ging er, die Tür zu öffnen.
Wellington Fox stand vor ihm. Regennaß, triefend und kleine Wasserbäche hinter sich lassend.
»Ein schandbares Wetter, Georg … d. h. für eure Siedlungen wohl das rechte. Aber höchst unangenehm für mich, der ich ohne Schirm und Regenmantel losgeflogen bin. Ich störe dich bei deinen Arbeiten? Du hast dich eingeschlossen …«
»Nein, du störst mich nicht. Du kamst zu einer glücklichen Stunde …«
»Glückliche Stunde!? … Du meinst, weil es hier endlich kräftig gießt. Seit vier Wochen kein Tropfen Regen hier. Jetzt der Mordsguß. Na! Es war wohl höchste Zeit … Ich habe allerlei gehört. Hier blieb es dürr, und woanders war der Regen zu reichlich. Menschenwerk bleibt Stückwerk. Richtig wird die Sache erst, wenn ihr eure Suppe auch den Mäulern vorsetzen könnt, die sie brauchen.«
Georg Isenbrandt blieb unbewegt. Sein Gesicht zeigte gleichmäßige, freundliche Mienen. Dann sprach er:
»Ja … das … sag mal, Fox, willst du nicht ablegen? Du triefst ja aus allen Nähten.«
Wellington Fox schüttelte sich.
»By Jove! Naß bin ich, aber eine sibirische Kälte ist hier bei dir. Draußen der schönste warme Mairegen, und hier … was hast du denn da auf dem Tisch?«
Wellington Fox trat näher heran und betastete den in eine wogende Nebelwolke gehüllten Apparat.
»Dampf? … Eis? … Ja … was … pfui, Teufel! … das ist ja kalt!«
»Eis ist meistenteils kalt, lieber Fox.«
Wellington Fox hauchte auf seine weiß angelaufene Fingerspitze.
»Weiß