War das Spiel verloren?
»Sie sprechen in Rätseln, Mr. Dewey!«
»Es mag Ihnen rätselhaft vorkommen, daß ich meine Hände in ein Geschäft stecke, zu dessen Verlauf ich kein Vertrauen habe. Ihre Interessen und die der amerikanischen Negerbevölkerung sind grundverschieden.
Wir …«, ein ingrimmiger Humor sprach aus seinen Worten … Ich sage wir … mich einbegriffen … obgleich kein Satan mich jemals im Leben als black man taxiert hat … bis auf jenen englischen Lord … Wir kämpfen um die Gleichberechtigung mit anderen Rassen. Sie kämpfen um Macht und Land.
Unser Kampf hat ein ideales Ziel, ist eine interne Angelegenheit der Vereinigten Staaten. Ihr Streit wird die Weißen der ganzen Welt unter einer Fahne vereinigen, denn es geht um die weiße Existenz. Der Untergang des europäischen Abendlandes würde das Ende der weißen Kultur überhaupt bedeuten. Sehen Sie sich vor. Schrauben Sie Ihre Hoffnungen nicht allzu hoch, daß nicht … ein unerwartet starker Frost den Blütentraum auf viele Menschenalter vernichtet …«
Melan Fang wollte sprechen, aber John Dewey ließ sich nicht unterbrechen.
»Die weiße Intelligenz wird in diesem Kampf neue, unerhörte, ungeahnte Leistungen vollbringen und … vielleicht die Oberhand behalten.
Ihre Prophezeiung wird einmal eintreten, aber wann …?«
Der Chinese war aufgestanden. Geschmeidig lächelnd trat er an Dewey heran.
»Sie müssen gestehen, daß ein Kampf zwischen China und den Westländern eine gute Unterstützung Ihres Streites um die Gleichberechtigung der schwarzen amerikanischen Bürger ist. Unser Zusammengehen bringt beiden Vorteil …«
Er streckte Dewey die Hand hin, die dieser ergriff.
»Abgemacht!«
»Wann?«
»Nach der Wahl um den Gouverneurposten von Louisiana. Wird Josua Borden, der schwarze Kandidat, gewählt und nicht bestätigt, beginnt der Kampf!«
»Ich bekam heute ein Telegramm aus Peking. Er will den genauen Termin wissen. Bei Ihnen und bei uns muß der Schlag gleichzeitig fallen.«
»Den Tag anzugeben, ist unmöglich.«
»Der Tag der Wahl ist bestimmt und wird nicht verschoben?«
»Ich wüßte keinen Grund …«
»Sind Sie des unverbrüchlichen Schweigens aller Mitwissenden sicher, Mr. Dewey?«
»Unbedingt! … Warum fragen Sie?«
»Man hat mich auf einen Berichterstatter der Chikago-Preß aufmerksam gemacht. Es hat den Anschein, als sei er … Zufall oder … Verrat … der Organisation auf die Spur gekommen.«
»So muß alles geschehen, was geeignet ist … Unheil zu verhüten. Sie haben … wohl Mittel und Wege dazu … Melan Fang …«
Der Kraftwagen, der Florence Dewey von San Matteo zurück nach der Stadt brachte, mußte schon in der Market Street seinen Lauf verlangsamen. An der Kreuzung mit der Mason Street wurde das Gedränge auch auf dem Fahrdamm so arg, daß der Chauffeur bis zur Stocton Street weiterfuhr.
Die ganze Negerbevölkerung Friskos schien auf den Beinen zu sein. Von allen Seiten strömten schwarze Scharen heran und wälzten sich in der Richtung auf Chinatown durch die Straßen.
Der Chauffeur versuchte es, durch die Stocton Street seinem Ziele näher zu kommen. Doch vergeblich unternahm er es mehrere Male, nach Nobhill abzubiegen. Es ließ sich nicht mehr durchführen. Auch aus allen Seitenstraßen quollen fortwährend neue Massen immer dichter heran, je mehr sich der Wagen Chinatown näherte. An der Ecke der Sacramento Street wurde das Gedränge so dicht, daß das Auto eingekeilt stehenbleiben mußte. Auch der freie Platz vor der Markthalle war bereits von Tausenden besetzt, und immer neue Tausende drängten nach.
Florence hatte die Vorhänge ihres Wagens geschlossen.
Durch einen schmalen Spalt beobachtete sie die ungewöhnliche Szene. Erst neugierig, dann besorgt.
Aus der tosenden wilden Menge drangen zerrissene Rufe an ihr Ohr:
»Hängt das weiße Vieh! … Schlagt ihn tot, den Hund! … An den Pfahl mit dem Mädchenschänder!«
Neues stärkeres Gejohle verschlang die einzelnen Stimmen. Florence sah mit steigendem Entsetzen, wie ein Trupp Schwarzer einen Weißen nach dem Marktplatz zerrte. Die Kleider hingen ihm in Fetzen vom Leibe.
Ein riesenhafter Hafenarbeiter schwang eine schwere Eisenstange gegen den Gefangenen. Bevor er ihn damit erreichte, warf ihn selbst ein Schlag zurück. Schnell und sicher schob sich eine Kette schwer bewaffneter Schwarzer zwischen den Gefangenen und die tobende Menge.
Jetzt erkannte Florence die Bedeutung der Vorgänge da draußen. Mit einem Schrei sank sie in das Polster zurück und barg das Gesicht in den Händen.
Ein Lynchmord an einem Weißen! … Hier mitten in der Großstadt und in aller Öffentlichkeit … So weit waren die Dinge gediehen.
Als der bewaffnete Trupp mit dem Gefangenen den Marktplatz erreichte, brach die vieltausendköpfige schwarze Menge in ein infernalisches Geheul aus. Einige stießen mit schweren Stangen taktmäßig und triumphierend auf das Pflaster. Andere knirschten vor Wut mit den Zähnen. Ihre blutunterlaufenen Augen hingen mit den Blicken hungriger Raubtiere an dem Gefangenen. Zuweilen zuckte ein heiseres Gelächter auf.
Vergeblich zerrte der Gefangene an den starken Armen, die ihn gepackt hielten. Vor dem Eingang zur Markthalle machte der Trupp halt.
Auf das Kommando eines Führers drängten die Bewaffneten die Menge zurück. Ein freier Raum entstand, in dessen Mitte sich ein Kandelaber erhob. Ein neues Kommando, und eine Schar stürzte in die Markthalle und schleppte Kisten und Körbe heraus, die sich schnell um den Mast türmten.
Der Gefangene schrie in seiner Todesangst auf. Er warf sich auf das Pflaster und schlug verzweifelt um sich. Einer der Bewaffneten stieß ihm mit einer brennenden Fackel in das Gesicht, daß er heulend wieder aufsprang. Mit geballten Fäusten stürmte er auf seine Peiniger ein. Hohnlachend stießen sie ihn zurück, daß er wie ein Ball hin und her flog.
Ein neuer kurzer Befehl. Im Augenblick hatten sie ihn ergriffen, zum Mast hingeschleppt und mit einer eisernen Kette angebunden. Irgendwoher kam ein Eimer Teer und wurde über ihn ausgegossen. Die ersten Fackeln flogen zwischen die Körbe und Kisten.
Eine Flammensäule umloderte den Kandelaber. Schreien … Wimmern … Röcheln … dann Ruhe in dem dicken Teerqualm … gräßlicher Jubel in der drängenden Menge …
Die Bewaffneten gaben den Platz frei. Von allen Seiten stürmten die Massen auf die brennenden Trümmer los. Eine Szene aus dem Inferno. Wahnsinn peitschte die Menge. Lachend … schreiend … singend umtanzten sie den Pfahl.
Dazwischen wilde Verwünschungen auf die Weißen.
»Nieder mit den Unterdrückern! … Schlagt sie alle tot!« …
Bisher war der Kraftwagen kaum bemerkt worden. Der Chauffeur und der Diener neben ihm waren selbst Schwarze. Jetzt begann er die Aufmerksamkeit der in Bewegung geratenen Menge zu erregen.
Der Schlag wurde aufgerissen.
»Ah! … ein weißes Täubchen!«
Gierige Hände streckten sich nach Florence Dewey aus. Entsetzt suchte sie in die äußerste Ecke des Wagens zurückzuweichen …
Da plötzlich ein Hagel von Stockschlägen auf die wolligen Köpfe!
Im Augenblick der höchsten Gefahr war der schwarze Diener vom Bock gesprungen. Mit herkulischer Kraft hatte er sich den Weg bis zu einem Mann gebahnt, der wenige Schritte vom Wagen entfernt in der Menge stand.
Nur zwei Worte waren es, die er dem zurief:
»Deweys Tochter!«