Silvester ließ das Bild stehen und lief in das Gemach, in welchem Atma lag.
Der Inder kam und sah das Bild. Eine Veränderung war eingetreten. Jane lag regungslos am Boden. Ein Zeitungsblatt neben ihr. Dr. Glossin bemühte sich um die Eingesunkene, richtete sie auf, sprach auf sie ein.
Soma Atma stand in kataleptischer Starre. Seine Pupillen verengten sich bis zum Verschwinden. Seine Seele verließ den Körper und ging auf die Wanderung.
Das Bild auf der Mattscheibe veränderte sich. Silvester sah, wie das Blut seinem Weib in die Wangen zurückkehrte. Sie erhob sich. Aufrecht stand sie da, lächelte spöttisch und deutete mit einer verächtlichen Handbewegung auf das Zeitungsblatt, und dann verließ Dr. Glossin mit allen Zeichen der Enttäuschung und des Mißmutes den Raum.
Es dauerte lange, bis der Inder sich aus dem Krampfe löste. Dann sprach er, ruhig und leidenschaftslos wie immer: »Dein Weib weiß, daß du lebst.«
Er kehrte in seinen Raum zurück und versank wieder in das stille Vorsichhinstarren, Ruhen und Sinnen, in dem er Tage und Wochen verbringen konnte.
Die Arbeit rief. Erik Truwor hatte Verbesserungen vorgeschlagen, die sich auf eine noch genauere Einstellung bezogen. Silvester Bursfeld hatte von seiner Hochzeitsreise eine ganz neue Idee mitgebracht. Eine Zielvorrichtung, die es gestatten mußte, mit dem Strahler auch gegen bewegte Ziele zu operieren, während er volle Energie im Raum auslöste.
Das hielt Silvester jetzt für das Wichtigste, und Erik Truwor stimmte ihm bei. Mit den vorhandenen Einrichtungen ließ sich die Energiemenge wohl haarscharf auf jeden Punkt der Erdoberfläche einstellen. Aber es war noch nicht möglich, die Einstellung mit voller Sicherheit bewegten Zielen folgen zu lassen, während die Energie wirkte. Erik Truwor verlangte, daß man mit dem großen Strahler auch schnellfliegende Ziele fassen könne, während er auf irgendeinem Punkt der Erde zehn Millionen Kilowatt brodeln ließ.
Eine Änderung der Schaltung war dazu notwendig. Der Energiestrom, der vom Ziel reflektiert wurde und das Bild auf der Mattscheibe erzeugte, mußte von der Hauptenergie abgezweigt werden. Widerstände waren einzubauen, die diesen Nebenstrom automatisch so schwach hielten, daß er das Bild nicht sprengte, die Mattscheibe nicht fraß. Es bedurfte mancher Tage, um die neuen Ideen praktisch auszuführen.
Erik Truwor war die treibende Kraft. Er stand vor dem Amboß, das Antlitz von der Glut des Feuers gerötet, und schmiedete die für den Neubau nötigen Stücke. Die Funken umsprühten ihn, während er den Hammer schwang und das glühende Eisen formte. Als Schlosser, Dreher und Mechaniker in einer Person arbeitete Silvester. Er feilte, schnitt und schliff und hörte dabei die Worte Erik Truwors.
Wie ein Prophet sprach Erik Truwor von der Zukunft, die er nach seinem Willen formen wollte.
»Von Mitternacht kommt die Macht.« Öfter als einmal fiel das Wort von seinen Lippen, während er einem Schmiedestück mit wuchtigen Hieben die letzte Form gab. Machtgefühl klang aus den Schlägen, mit denen er den Hammer auf den Amboß schmetterte, daß es weithin durch die Eishallen dröhnte.
Silvester hörte nur mit halbem Ohr hin. Er war unruhig bei der Arbeit, und seine Gedanken weilten in weiter Ferne. Wohl hatten ihn die Worte Atmas vorübergehend beruhigt. Doch zufrieden würde er erst sein, wenn Ätherschwingungen und Elektronenbewegungen Janes Bild wieder bis an den Pol führten und seine Stimme über Spitzbergen und Skandinavien bis in das stille Gemach nach Düsseldorf brächten. Er lechzte danach, sein junges Weib zu sehen, mit ihr zu sprechen, und arbeitete hastig und freudlos an dem Neubau, zu dessen schneller Ausführung Erik Truwor ihn zwang. Die Ruhestunden während der langen hellen Polnacht benutzte er, um auf dem Gipfel des Berges die Antennen für die drahtlose Station zu ziehen.
Nur eine schwere seelische Erschütterung kann den Riegel zerbrechen. Dr. Glossin wußte es. Darum hatte er Jane das Zeitungsblatt mit der Nachricht über die Katastrophe von Linnais gegeben. Im letzten Moment, als der Riegel wankte, als er brechen wollte, hatte Atma eingegriffen. Seiner Kraft war es gelungen, die Verriegelung noch einmal zu halten und zu schließen. Aber sie hatte durch den schweren Angriff Glossins eine Beschädigung erlitten. Ein zweiter unvermuteter Stoß konnte sie leicht sprengen.
Einstweilen war Jane beruhigt. In jenem Moment, als sie unter dem niederschmetternden Eindruck der Nachricht von Linnais halb ohnmächtig in den Armen Glossins hing, war es plötzlich wie eine feste und unumstößliche Gewißheit durch ihre Seele gegangen: Silvester lebt. Er ist mit seinen Freunden geborgen. Ich werde bald von ihm hören. Es war die telepathische Beeinflussung des Inders, die ihr diese Zuversicht gab, die sie instand setzte, die Worte Glossins zu belächeln, ihm ihre andere bessere Überzeugung entgegenzuhalten.
Dr. Glossin hatte das Haus Termölen verlassen. Niedergeschlagen, innerlich zerrissen. Er fühlte alle seine Stützen wankend werden.
Seitdem sich Cyrus Stonard mit dem Gedanken des Krieges gegen das britische Weltreich trug, lag in Glossins Unterbewußtsein das Empfinden, daß der Präsident-Diktator um seine Herrschaft, vielleicht sogar um seinen Kopf spielte. Es blieb ihm selbst verborgen und unbewußt, bis der leidenschaftliche Ausbruch des Diktators es ans Licht rief. Jetzt empfand er es von Tag zu Tag und von Stunde zu Stunde deutlicher. Der Stern Cyrus Stonards war im Sinken. Es war Zeit, sich von ihm zu trennen. Für einen Charakter wie Glossin aber war die Trennung gleichbedeutend mit Verrat, mit dem Übergang zur anderen Partei.
Er dachte nicht mehr daran, den Auftrag Cyrus Stonards zu erfüllen. Mochte der Diktator die drei selber fangen, wenn er sie haben wollte. Aber Jane wollte und mußte er unter allen Umständen in seine Gewalt, auf seine Seite bringen, koste es, was es wolle. Es war ihm nicht geglückt, den Riegel im ersten Ansturm zu sprengen. Kein Wunder, wenn eine hypnotische Kraft wie diejenige Atmas ihn gefügt hatte. Aber Dr. Glossin wußte auch, daß jeder Angriff die Verriegelung schwächte, daß sie doch eines Tages brechen mußte, wenn sie nicht ständig erneuert wurde. Er beschloß, vorläufig in Düsseldorf zu bleiben, das Haus, in welchem Jane wohnte, zu beobachten, die nächste Gelegenheit abzupassen und auszunutzen.
Die vierte Nachmittagsstunde kam heran, die Zeit, zu welcher Silvester mit Jane zu sprechen pflegte. Wie gewöhnlich setzte sie sich an den Apparat und hielt den Hörer erwartungsvoll an das Ohr.
Nur noch Sekunden, dann mußte die Stimme Silvesters zu ihr dringen. Dann würde sie aus seinem eigenen Munde hören wie der Brand in Linnais verlaufen war und wo er sich jetzt mit seinen Freunden befand.
Jane saß und harrte auf die erlösenden Worte. Wartete, während die Sekunden sich zu Minuten häuften und aus den Minuten Viertelstunden wurden.
Der Apparat blieb stumm. Nur das leichte Rauschen der Elektronenverstärker war an der Telephonmembrane zu hören.
Jane saß und wartete. Sie konnte es ja nicht wissen, daß Silvester in diesem Augenblick den Strahler am Pol richtete, ihr Bild auf die Mattscheibe brachte. Sie harren sah und hundertmal den Umstand verwünschte, daß die Antennen für die telephonische Verbindung noch nicht gespannt waren. Sie wußte nur, daß sie hier vergeblich auf Silvesters Stimme harrte, und Zweifel begannen ihr zum Herzen zu steigen.
Die Worte Glossins kamen ihr in den Sinn. Sollte es doch wahr sein, daß …? Sollte die Zeitung nicht gelogen haben, die ihr Glossin damals gab?
Die zweite Erschütterung, die den Riegel sprengen konnte, vielleicht schon sprengen mußte, kam ohne das Zutun Glossins. Kam, weil sechshundert Meilen entfernt in Schnee und Eis ein paar Drähte nicht rechtzeitig gespannt worden waren.
Die Minuten verrannen. Die Uhr hub zum Schlage an und verkündete die fünfte Stunde. Die Zeit, für welche Jane nach der Verabredung die Elektronenlampen brennen, ihren Apparat in der Empfangsstellung stehen lassen sollte, war vorüber.
Das war ihr klar, Silvester war nicht da … Es war ihm irgend etwas zugestoßen … Er war …
Sie dachte das Wort nicht zu Ende. Von einem plötzlichen Impuls getrieben, sprang sie auf und faßte einen Entschluß. Einen übereilten und unsinnigen. Aber sie