Er riß sie an sich. Sein starker Arm preßte sich um die schlanken Schultern, als wollte er sie zerbrechen.
»Du bist frei von ihm …«
War es ein Wahnsinniger, der Verfolger hinter sich, durch die menschenleeren, dunklen Wege des Parks um das Kasino stürzte? Eine lange, hagere Gestalt im Abendanzug, wie ein gehetztes Wild durch die Anlagen stürmend. Stundenlang ging die sinnlose Flucht. Die Mondscheibe, durch die dunkle Wolkenbank brechend, verscheuchte das Dunkel. Fast taghell war plötzlich der Park. Mit jähem Ruck hielt er an. Stand im breit flutenden Licht des Nachtgestirns, schaute wirr um sich.
Die Brust keuchte unter rasenden Atemstößen. Eine Bank tauchte vor ihm auf. Er sank erschöpft darauf nieder. Seine Hand entnahm der Brusttasche ein Schächtelchen Beruhigungstabletten. Zwei Tabletten höchstens, hatte ihm der Arzt gesagt. Er nahm die doppelte Anzahl. Die Arme griffen nach hinten zu der Rückenlehne, umklammerten sie. Den Kopf weit zurückgebeugt, sog er die kühle Abendluft ein. Seine Züge entspannten sich allmählich, ein fast ruhiger Glanz trat in die Augen.
Die klare Vernunft schien zurückzukehren. Eine leichte Falte bildete sich zwischen den Augen. Er zwang sich zu logischem Denken. Monte Carlo?
Wie kam er hierher? Von Santa Barbara, von Juanita. Zu ihr war er gestern gekommen. Froh hatte sie ihn begrüßt. Kaum noch Spuren der Krankheit. Er hatte sie in die Arme geschlossen, sie an sich gedrückt.
Den letzten Anker. Vergessen wollte er an ihrer Seite alles, was er hinter sich gelassen hatte.
Sie waren spazieren gegangen. Das frohe, lustige Geplauder Juanitas, noch klang’s in seinem Ohr.
»Morgen Abend ist Maskenball im Kasino. Willst du nicht mit mir dorthin gehen?«
Schmeichelnd hatte sie ihn gefragt. Er wollte die Bitte nicht abschlagen. Die erwachte Lebenslust Juanitas, ein günstiges Zeichen schien’s.
Kostümieren! Tanzen! Juanita hatte weiter gebeten, er hatte gern zugestimmt.
Als es Zeit zum Aufbruch war, war er in Juanitas Zimmer getreten. Im mexikanischen Kostüm stand sie vor ihm. Die lachende, frohe Gestalt sich wiegend in den verführerischen Schritten des Fandangos.
Wie ein bunter Schmetterling hatte sie sich, leise die Melodie des Tanzes summend, vor ihm gewiegt.
Seine Augen hatten das Bild verschlungen. In plötzlicher Eingebung war er aufgesprungen und hatte um Juanitas Nacken ein goldenes Halsband geschlungen. Sie war vor den Spiegel getreten, hatte in die Hände geklatscht.
»So bin ich schön! Ein Halsband fehlte mir!«
Sie waren in den Wagen gestiegen, waren zum Kasino hinübergefahren. Von seiner Loge aus hatte er den Tanzenden zugeschaut. Seine Augen konnten sich nicht losreißen von ihrer Gestalt, weideten sich an dem Aufsehen, das die schöne junge Mexikanerin im ganzen Saal erregte. Vergessen war alles, was er an Bord des Flugzeuges dachte. Juanita, du mein einziger, mein bester, mein letzter Besitz. Du an meiner Seite, noch einmal will ich’s wagen, das Spiel um Reichtum und Macht!
Und dann! Seine Gedanken stockten. Was war dann geschehen? Er drückte die Hand vor die Augen, fand nicht den Faden, der weiterführte bis hierher. Wieder ein paar Tabletten! Er hielt das Schächtelchen vor die Augen. Das Wort »Gift« stand darauf.
Er lachte. »Und wenn’s den Tod gilt, ich muß es wissen, was dann geschah!«
Wieder lehnte er sich zurück. Das beruhigende Gift tat seine Wirkung.
Jetzt hatte er wieder den Faden. Ein Domino an Juanitas Seite. Die beiden gingen hinaus in den Park. Er war ihnen gefolgt, hatte sie erreicht.
»Juanita!« hatte sein Mund geschrieen.
Da, er griff sich mit der Hand ans Herz, als könne er das rasende Pochen unterdrücken. Ein Schlag ins Gesicht von dem Mann an Juanitas Seite. Die Hand! Nicht das erste Mal war es, daß sie es wagte, in sein Leben einzugreifen. Die Hand! Er fuhr mit dem Taschentuch über die schweißbedeckte Stirn. Ins Gesicht hatte er ihn geschlagen vor den Augen Juanitas. Und er, er hatte den Schlag hingenommen. Hatte ihn ungesühnt gelassen. Wie war das möglich?
Er ein Schwächling? Ein Feigling? Er, Guy Rouse. Nein! Er war es nicht, war es nie gewesen. Die Pistole hielt er schon in seiner Hand, den anderen niederzuschießen. Da hatte dieser geschrieen:
»Wo ist der zwölfte Hidalgo, du Mörder?«
Die Worte, das tiefste Geheimnis seines Lebens berührten sie. Er war zusammengezuckt, hatte hinübergestarrt. Da, er war zurückgetaumelt, ein anderer stand an dessen Stelle. Ein alter Mann mit dem bleichen Antlitz eines Toten, eine tiefe, blutige Wunde an der Schläfe. Von Entsetzen gepackt, war er davon gestürmt …
Er blickte auf die Uhr. Mitternacht. Stundenlang mußte er im Park umhergeirrt sein. Er stand auf. Die Knie zitterten unter ihm, fast wäre er zurückgetaumelt. Vorbei! Vorbei! Der letzte Anker gerissen. Ziellos, steuerlos trieb sein Schiff auf dem Weg vor ihm. Der Weg, kein anderer als der, den hier schon mancher ging, dem im Spielsaal das Geld geraubt.
Seine Hand fuhr unwillkürlich zur Brieftasche. Sie barg große Summen, gewaltige Werte. Alles, was er an Barem hatte zusammenraffen können. Er zog sie heraus, überflog die Summe.
Mitnehmen auf den Weg? Nein! Er brauchte sie nicht. Zur Henkersmahlzeit sollte sie dienen. Er lachte laut auf. Henkersmahlzeit am Spieltisch.
Gold war die Speise. Hier, wo Millionen rollten, wollte sein Auge sich noch einmal satt sehen an dem gleißenden Glanz des Goldes.
Der Spielsaal von Monte Carlo. Um die großen Roulettetische drängten sich die Spieler. Da war einer, der mit unerhörten Einsätzen pointierte. Das Spiel des Mannes va banque in jedem Zug!
Rouge et noir! Bald türmten sich Banknoten und Goldmünzen vor seinem Platz. Bald war der Turm verschwunden. Der Griff in die Brieftasche. Die Dollarnoten flatterten über den Tisch. Faites votre jeux!
Das Spiel ging weiter. Von den Nebentischen her kamen die Spieler.
Man umringte den einen.
Die Brieftasche war schmäler und schmäler geworden. Der Spieler am Ende! Mit grausamem Behagen warteten alle darauf.
Da! Eine neue Serie. Schlag auf Schlag. Das Glück schien ihm günstig. Die Scheine vor ihm häuften sich wieder zu Bergen.
Va banque! Der Spieler schob den Turm dem Croupier zu. Zählt sie!
»Faites votre jeux!« Der stereotype Ruf. Die Kugel rollte im Roulette.
Jetzt stand sie. Gewonnen! Die Bank gesprengt!
Eine neue Bank. Dasselbe unerhörte Pointieren des Spielers … Die Bank wieder gesprengt … und wieder … wieder, bis der Spielsaal geschlossen werden sollte.
Ah, da standen sie alle, stierten auf den, der die Riesensumme ruhig entgegennahm. Der Glückliche, der König der Spieler.
Seit Menschengedenken war solcher Gewinn eines Spielers gegen die allmächtige Bank in deren Geschichte nicht vorgekommen. Millionen, viele Millionen! Alle Augen hingen an dem Sieger. Milliardär?
Der erhob sich, ein kühles Lächeln auf dem blassen Gesicht, eine leichte Handbewegung wie dankend für den Beifall der Zuschauer. Er stand auf, drehte sich zum Gehen.
Eine Riesengestalt vertrat ihm den Weg, eine Faust klammerte sich an seine Brust.
»Wo ist Juanita?«
Der Schrei gellte durch den Raum. Der Spieler stand wie erstarrt.
Seine Augen bohrten sich in das Gesicht des Gegners.
»Juanita? Was geht sie dich an?« Ein heiseres Lachen begleitete seine Worte. »Such sie bei dem anderen!«
Sein Gegenüber verstand nicht!
»Wo ist Juanita? Gib sie raus, du Schuft! Mein ist sie, der Preis, um den ich alles tat.«
Die Gesellschaft stand stumm,