Kap. IV. (§ 11.) Aber kann es, sagte er, etwas Angenehmeres geben, als frei von Schmerzen zu sein? – Es mag meinetwegen nichts Besseres geben, sagte ich, danach frage ich noch nicht; ist deshalb aber die Lust mit der, ich möchte sagen, Unempfindlichkeit dasselbe? – Allerdings, sagte er; sie ist sogar die höchste Lust, die keiner Steigerung fähig ist. – Was zögerst Du daher, sagte ich, wenn Du das höchste Gut so bestimmt hast, dass es lediglich in der Schmerzlosigkeit bestehe, diesen Satz dann ausschliesslich fest zu halten, zu schützen und zu vertheidigen? (§ 12.) Weshalb ist es nöthig, die Lust in die Versammlung der Tugenden so einzuführen, wie eine öffentliche Dirne in die Gesellschaft ehrbarer Frauen? Die Lust ist ein verhasster, schändlicher, verdächtiger Name; deshalb hört man es so oft von Euch, dass wir nicht verstehn, was Epikur unter der Lust begreife. Wenn ich dies hören muss, und es mir oft genug gesagt worden, so überläuft mich doch mitunter der Zorn, so nachsichtig ich auch sonst im Streiten bin. Ich soll also nicht wissen, was die hêdonê im Griechischen und die voluptas (die Lust) im Lateinischen bedeutet? Welche von beiden Sprachen kenne ich denn nicht? Und wie kommt es, dass ich es nicht weiss, während es Alle wissen, die Epikureer sein wollen? Und dabei führt Ihr so schön aus, dass ein Philosoph die Kenntniss der Wissenschaften nicht brauche. Wie unsre Altvordern den Cincinatus vom Pfluge wegholten und zum Dictator machten, so holt Ihr von allen Dörfern die Leute zusammen, die zwar brav, aber schwerlich sehr gelehrt sein mögen. (§ 13.) Diese also sollen verstehn, was Epikur sagt, ich aber nicht? Aber damit Du siehst, dass ich es weiss, so sage ich zunächst, dass voluptas (die Lust) dasselbe bezeichnet, was Epikur hêdonê nennt. Oft muss man nach einem lateinischen Worte suchen, was dem griechischen genau entspricht, aber hier war dies nicht nöthig. Es giebt kein Wort, was so wie voluptas im Lateinischen dasselbe sagt, wie jenes griechische. Unter diesem Wort begreift man überall, wo man Lateinisch versteht, zweierlei: eine Fröhlichkeit in der Seele und eine sanfte Erregung des Angenehmen im Körper. Sowohl jener Mann des Trabea, welcher die Fröhlichkeit »eine sehr grosse Lust der Seele« nennt, wie jener Mann des Cäcilius, welcher sagt, dass er »in allen Fröhlichkeiten fröhlich sei«, meinen dasselbe. Indess findet hier der Unterschied statt, dass man das Wort Lust auch bei der Seele gebraucht, was allerdings nach den Stoikern ein Fehler ist, da sie die Lust dahin definiren, dass sie eine Erhebung der Seele ohne Grund sei, indem sie nur meine, ein Gut zu geniessen, aber Fröhlichkeit und Freude würden nicht von dem Körper ausgesagt. (§ 14.) Die Lust beruht nun nach dem Sprachgebrauch aller Lateiner in der Annehmlichkeit, welche die Sinne erregt, und diese Annehmlichkeit magst Du meinetwegen auch auf die Seele übertragen, denn das Behagen (juvare) wird bei Beiden gebraucht und deshalb auch das Behagliche (jucundum); nur musst Du einsehen, dass zwischen Jenem, der sagt:
»Ich bin von so grosser Fröhlichkeit erfüllt,
dass ich kaum noch meiner mächtig bin !«
und Dem, der sagt:
»Jetzt brennt es mir aber in der Seele«
von denen der Eine vor Freude ausgelassen ist, der Andere von Schmerzen gepeinigt ist, es noch Einen in der Mitte giebt, der mit seinen Worten:
»Obgleich wir erst kürzlich mit einander bekannt geworden«
sich weder freut noch ängstigt, und ebenso giebt es zwischen Dem, der die ausgesuchteste Lust des Körpers geniesst, und Dem, der von dem höchsten Schmerze gepeinigt ist, noch Einen, dem Beides abgeht.
Kap. V. (§ 15.) Was meinst Du nun? Kenne ich wohl genügend den Sinn der Worte, oder muss ich auch jetzt noch erst griechisch oder lateinisch sprechen lernen ? Und dabei bedenke doch auch, ob, wenn ich den Epikur nicht verstehen sollte, obgleich ich das Griechische fertig verstehe, die Schuld nicht Den trifft, der so spricht, dass man ihn nicht versteht. Dies kann allerdings in zwiefacher Weise geschehen, ohne dass man es tadeln kann; entweder wenn es absichtlich geschieht, wie bei Heraklit, der den Beinamen des »Dunkeln« bekommen hat, weil er über die Natur zu Dunkles lehrte, oder wenn die Dunkelheit des Gegenstandes und nicht die der Worte die Rede unverständlich macht, wie in Plato's Timäus. Aber Epikur will, glaube ich, wenn er kann, deutlich und klar sprechen, und ebenso wenig behandelt er, wie die Naturforscher, einen dunklen oder, wie die Mathematiker, einen verwickelten Gegenstand, sondern einen sehr bekannten und leichten, den bereits Jedermann aus dem Volke kennt. Wenn Ihr also nicht bestreitet, dass wir den Begriff der Lust kennen, sondern nur nicht wissen, was Epikur damit bezeichne, so folgt daraus nicht, dass wir den Begriff jenes Wortes nicht kennen, sondern dass Epikur seine besondere Sprache redet und um unsre sich nicht kümmert. (§ 16.) Wenn er dasselbe meint, wie Hieronymus, welcher das höchste Gut in ein Leben ohne Beschwerde setzt, weshalb gebraucht er da das Wort Lust statt Schmerzlosigkeit, wie Jener thut, der weiss, was er sagt? Wenn er aber die Lust, welche in Bewegung ist, hinzufügen zu müssen glaubt (denn er nennt das angenehme Gefühl die Lust in Bewegung und die Schmerzlosigkeit die Lust in Ruhe), was bezweckt er damit? Denn er kann es doch unmöglich dahin bringen, dass Jemand, der sich selbst kennt, d.h. der seine Natur und seine Gefühle durchschaut hat, die Schmerzlosigkeit und die Lust für dasselbe halten sollte? Das heisst, mein Torquatus, den Sinnen Gewalt anthun und aus der Seele die Bedeutungen der Worte herausreissen, in denen man auferzogen worden ist. Jedermann muss ja hier drei natürliche Zustände anerkennen: einen, wo man sich in der Lust befindet, einen zweiten, wo man Schmerzen hat, und einen dritten, in dem ich jetzt bin, und ich glaube, auch Ihr, nämlich den von Schmerz und Lust freien. Deshalb hat derjenige Lust, welcher beim Gastmahle sitzt, und der Schmerzen, welcher gefoltert wird; und solltest Du nicht zwischen diesen die grosse Anzahl von Menschen sehen, die weder Lust noch Schmerz empfinden? – (§ 17.) Durchaus nicht, sagte Torquatus, vielmehr behaupte ich, dass Jeder, der keine Schmerzen hat, sich in der Lust, und zwar in der höchsten befindet. – Sonach hätte also Der, welcher einem Andern das Getränk mit Honig mischt, ohne selbst zu dursten, und Der, welcher durstet und es trinkt, die gleiche Lust?
Kap. VI. Da sagte Torquatus: Lass ab mit Fragen, wenn Du magst. Ich hatte schon gleich im Beginn darum gebeten, weil ich diese verfänglichen Fragen voraussah. – Also willst Du, sprach ich, dass wir lieber rednerisch als gesprächsweise die Erörterung fortsetzen? – Sollte denn, sagte er, die fortlaufende Rede blos den Rednern und nich auch den Philosophen gestattet sein? – Der Stoiker Zeno ist es, sagte ich, welcher, wie schon früher Aristoteles, meinte, die ganze Kraft der Rede sei in zwei Theile gesondert, von denen er die rednerische mit der flachen Hand und die gesprächsweise geführte mit der Frucht verglich, weil die Redner breiter, die Dialectiker aber gedrängter sprächen. Ich erfülle daher gern Deinen Wunsch und werde nach Möglichkeit rednerisch sprechen, aber doch nur in der Weise der Philosophen, nicht wie es im öffentlichen Gerichtsverfahren geschieht, wo man vor dem Volke spricht und deshalb etwas weniger scharfsinnig sich ausdrücken muss. (§ 18.) Allein wenn Epikur, mein Torquatus, die Dialektik verachtet, die doch allein die Fähigkeit gewährt, den Inhalt einer Sache zu durchschauen, zu beurtheilen, was sie ist, und vernünftig und gerade aus etwas zu erörtern, so überstürzt er sich, wie mir scheint, in seiner Rede und unterscheidet nicht kunstgemäss, was er vortragen will, wie der eben besprochene Fall ergiebt. Das höchste Gut nennt Ihr Lust; Ihr habt also zu erklären, was die Lust ist, ohnedem kann das Gesuchte nicht entwickelt werden. Hätte Epikur dies gethan, so würde er nicht so schwanken, sondern entweder die Lust festhalten wie Aristipp, d.h. die Lust, wo die Sinne sanft und angenehm erregt werden, und die auch das Vieh, wenn es sprechen könnte, Lust nennen würde, oder wenn er durchaus seine eigene Sprache reden wollte und nicht die, welche
»Alle Danaer und Mycener und die Attische Jugend«
und die übrigen Griechen, die in diesem Verse genannt werden, reden, so hätte er diese Schmerzlosigkeit allein Lust nennen und die des Aristipp zurückweisen sollen. Hätte er aber beide Zustände gebilligt, wie er wirklich thut, so hätte er die Schmerzlosigkeit mit der Lust verknüpfen und zwei Endziele aufstellen sollen. (§ 19.) Denn viele grosse Philosophen haben diese beiden höchsten Güter verbunden; so verknüpft Aristoteles die Uebung der Tugend mit dem Glück eines vollkommenen Lebens; auch Kallipho fügt zur Sittlichkeit die Lust, während Diodor zu derselben Sittlichkeit die Schmerzlosigkeit hinzufügt. Dasselbe würde Epikur gethan haben, wenn er die gegenwärtige Ansicht