39. Wir wissen zum Beispiel, daß Papus Aemilius ein Busenfreund des Gajus Luscinus 103 war, – so haben wir es von unseren Vätern überkommen, – daß beide zweimal zusammen Consuln und Amtsgenossen in der Censur waren. Sodann berichtet uns die Geschichte, daß Manius Curius und Tiberius Coruncanius 104 sowol mit diesen als unter sich in der engsten Verbindung lebten. Von keinem dieser Männer können wir also auch nur argwöhnen, daß er in seinen Freund mit einer Forderung gedrungen sei, die gegen die Pflicht, gegen den Eidschwur oder gegen das Staatswohl gewesen wäre. Denn was bedarf es bei solchen Männern der Versicherung, daß, wenn Einer eine solche Forderung gemacht hätte, er sie nicht würde erlangt haben, da es Männer von der reinsten Gesinnung waren, und es gleich unerlaubt ist eine solche Bitte zu gewähren als sie an einen Anderen zu richten. Aber dennoch hielten es mit Tiberius Gracchus ein Gajus Carbo 105, ein Gajus Cato 106 und sein Bruder Gajus 107, der letzte damals zwar nur in sehr geringem Grade, jetzt aber als der heftigste Anhänger.
XII. 40. Das muß also in der Freundschaft als unverbrüchliches Gesetz festgestellt werden, daß man weder um etwas Unsittliches bitte, noch, wenn man darum gebeten wird, es thue. Denn schimpflich und ganz unstatthaft ist die Entschuldigung sowol bei allen anderen Vergehen als insbesondere gegen den Staat, wenn man um des Freundes willen gehandelt zu haben erklärt. Wir sind nämlich, Fannius und Scävola, auf einen Standpunkt gestellt, wo es unsere Pflicht erheischt auf die künftigen Schicksale des Staates weit hinauszuschauen. Denn das Herkommen unserer Altvordern ist schon ein wenig von seiner Bahn und seinem Geleise gewichen.
41. Tiberius Gracchus versuchte es sich der Alleinherrschaft zu bemächtigen oder war vielmehr wirklich wenige Monate Alleinherrscher 108. Hatte das Römische Volk etwas Aehnliches gehört oder gesehen? Was die Freunde und Verwandten, die diesem auch nach seinem Tode anhingen, gegen Publius Scipio 109 in's Werk zu setzen wußten, vermag ich nicht ohne Thränen zu sagen. Den Carbo nämlich mußten wir wegen der noch in frischem Andenken stehenden Bestrafung des Tiberius Gracchus, wie es nur immer möglich war, dulden. Was ich aber vom Tribunate des Gajus Gracchus erwarte 110, mag ich nicht weissagen.
Sodann greift ein Uebel um sich, das sich, sobald es einmal begonnen hat, nur allzu rasch zum Verderben hinneigt. Ihr seht ja, welch großes Unheil schon früher in dem Tafelgesetze 111 gestiftet worden ist, zuerst durch den Gabinischen, zwei Jahre später durch den Cassischen Gesetzvorschlag. Es dünkt mich, als sähe ich schon das Volk vom Senate getrennt, und daß nach der Willkür der Menge die wichtigsten Angelegenheiten zur Entscheidung gebracht werden 112. Denn mehr Menschen werden lernen, wie man dergleichen Dinge anzufangen, als wie man ihnen Widerstand zu leisten habe.
42. Wozu sage ich dieß? Weil Niemand ohne Gehülfen Etwas der Art versucht. Man muß also den Gutgesinnten die Vorschrift geben, wenn sie ohne ihr Wissen durch irgend einen Zufall in solche Freundschaften hineingerathen, sich nicht für so gebunden zu halten, als dürften sie sich von ihren Freunden, die sich eines großen Verbrechens gegen den Staat schuldig machen, nicht trennen. Ueber die Böswilligen aber ist eine Strafe zu verhängen, und zwar eine nicht geringere über diejenigen, welche einem Anderen folgen, als über die, welche selbst Anführer des Frevels sind. Wer war berühmter in Griechenland als Themistokles? wer vernünftiger? Aber nachdem er als Oberbefehlshaber Griechenland im Persischen Kriege von der Knechtschaft befreit hatte und in Folge von Mißgunst in die Verbannung getrieben war, so ertrug er die Kränkung seines undankbaren Vaterlandes nicht, die er hätte ertragen sollen; er that dasselbe, was zwanzig Jahre früher bei uns Coriolanus gethan hatte. Allein es fand sich für sie kein Gehülfe gegen das Vaterland, und so nahmen sich Beide das Leben 113.
43. Deßhalb darf ein solches Einverständniß der Bösgesinnten nicht mit dem Vorwande der Freundschaft bemäntelt, sondern vielmehr mit jeder Strafe geahndet werden, damit Niemand berechtigt zu sein meine einem Freunde selbst dann zu folgen, wenn er das Vaterland mit Krieg überzieht. Und dazu dürfte es vielleicht, wie die Sache sich zu entwickeln angefangen hat, einst auch wirklich kommen. Mir liegt es aber nicht minder am Herzen, wie die Lage des Staates nach meinem Tode sein wird, als wie sie jetzt ist.
XIII. 44. Dieß muß also als das erste Gesetz in der Freundschaft festgestellt werden: Wir dürfen von Freunden nur Sittlichgutes erbitten und um der Freunde willen nur Sittlichgutes thun, auch nicht erst warten, bis man darum gebeten wird. Diensteifer soll immer vorhanden, Zögerung immer fern sein, und besonders sollen wir Muth haben freimüthig Rath zu ertheilen. Die höchste Geltung in der Freundschaft muß das Ansehen wohlmeinender Freunde haben, und sowie man dasselbe nicht nur zu offenen, sondern auch nach Erforderniß der Umstände zu nachdrücklichen Ermahnungen benutzen muß, so muß man auch andererseits demselben Folge leisten.
45. Freilich haben einige Männer, die man, wie ich höre, in Griechenland für Weise hielt, meines Bedünkens manche wunderliche Behauptungen aufgestellt, – doch es gibt Nichts, was die Griechen nicht mit ihrem spitzfindigen Scharfsinn zu erklären suchten, – theils 114 müsse man zu innige Freundschaften meiden, damit nicht Einer für Mehrere besorgt zu sein nöthig habe; Jeder habe mit seinen eigenen Angelegenheiten für sich vollauf zu thun; sich in fremde allzu sehr zu verwickeln sei lästig; am Bequemsten sei es die Zügel der Freundschaft möglichst schlaff zu halten, um sie nach Belieben anziehen oder loslassen zu können; denn ein Haupterforderniß zu einem glücklichen Leben sei Gemüthsruhe, deren sich der Geist nicht erfreuen könne, wenn er, so zu sagen, für Mehrere Geburtsschmerzen 115
τὸ δ' υπὲρ δισσω̃ν μίαν ωδίνειν
ψυχὴν χαλεπὸν βάρος.
habe.
46. Andere 116 aber, sagt man, behaupten auf eine noch ungleich rohere Weise – diesen Punkt habe ich kurz zuvor 117 mit wenigen Worten berührt –: nur um des Schutzes und der Unterstützung, nicht aber des Wohlwollens und der Liebe willen seien Freundschaften begehrenswerth. Je weniger Stärke und je weniger Kräfte daher Einer besitze, desto mehr trachte er nach Freundschaften; demgemäß geschehe es, daß das schwache weibliche Geschlecht den Schutz der Freundschaft mehr suche als das männliche, Unbemittelte mehr als Bemittelte, Unglückliche mehr als Glückliche.
47. O, welch herrliche Weisheit! Wahrlich die Sonne scheinen die aus der Welt zu nehmen, welche die Freundschaft aus dem Leben nehmen, das beste und erfreulichste Geschenk, das wir von den unsterblichen Göttern haben. Wie sieht es nun mit dieser Gemüthsruhe aus? Dem Anscheine nach hat sie etwas Schmeichelndes, in der That aber ist sie aus vielen Gründen verwerflich. Denn es ist nicht vernunftgemäß eine sittlichgute