Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
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Stadt einen Dieb und Verräter geschimpft habt. Schelme seid ihr und elende Wichte allesamt! Sagt's doch nur, daß ihr heimlich dem König von Polen schon geschworen habt, sagt's doch nur! Schande über euch!

      Darüber entstand viel Lärm, und Arnold Hecht rief: Steckt ihn in einen Sack und ertränkt ihn wie eine tolle Katze! Sofort drängte die Menge zu, schlug ihm den Hut ins Gesicht, ergriff ihn bei den Schultern und Armen und schob ihn dem Rande des Bollwerks zu.

      Unfehlbar wäre er in den Fluß hinabgestürzt, wenn sich nicht Letzkau ins Mittel gelegt und ihn aus den Händen der Wütenden befreit hätte. Er fand es nun selbst geraten, sich zu entfernen. Aber noch beim Rückzuge erhob er lauten Protest und drohte, bei Kaiser und Reich und beim Heiligen Vater in Rom Klage zu erheben, wie er denn auch nachmals redlich Wort gehalten.

      So gingen die Wogen immer höher, und täglich wurde es den Bedächtigen schwerer, gegen Wind und Strömung zu steuern.

      Vor der Stadt lag der Kastellan von Kalisch, Herr Janusch von Thuliskowo, mit einem großen Haufen Kriegsvolk und ließ es an freundlichen und ernsten Mahnungen nicht fehlen, die Stadt zu übergeben. Es kamen auch durch seine Vermittelung Briefe des Königs an den Rat. Alle Freiheiten wollte Wladislaus Jagello der Stadt bestätigen und noch andere hinzufügen, daß sie sich mit jeder im Reiche sollte messen können. Mancher im Rat, der bisher treu zum Orden gestanden hatte, wurde dadurch schwankend gemacht, und sprach er auch noch nicht laut für den König, so stimmte er doch bei jeder Gelegenheit zu dessen Gunsten. Letzkau hatte einen schweren Stand.

      Und nach und nach überkamen auch ihn schwere Zweifel, ob der Orden sich gegen den König würde auf die Dauer halten können. Fast jeder neue Tag brachte die bedenklichsten Nachrichten. Elbing hatte sich dem König ergeben, machte jetzt mitten im Kriege ein großes Lieferungsgeschäft und brachte leicht seine Verluste ein, während in Danzig Handel und Wandel stockten. Auch die Stadt Thorn, nach Danzig die größte im Lande und bis dahin die reichste und mächtigste, hatte den Abgesandten Jagellos ihre Unterwerfung erklärt. Thorner Herren schrieben, die Sache des Ordens stehe schlecht, und sie hatten es nicht verantworten können, ihre Stadt nutzlos den Schrecken einer Belagerung auszusetzen. Eine Ordensburg nach der andern fiel und wurde sofort von den Polen besetzt; die Neumark war hart bedrängt, Küchmeister von Sternberg hoffnungslos eingeschlossen. Die Landesbischöfe hatten dem König ihre Huldigung dargebracht, selbst der von Samland, dessen Besitztum doch noch nicht einmal gefährdet war. Das ganze Weichselland bis auf wenige feste Plätze kam bis Ende des Monats in Feindeshand, und die Besatzungen der Burgen am Pregel- und Memelfluß waren zu schwach, irgend etwas über ihren eigenen Schutz hinaus unternehmen zu können.

      Was aber am schwersten ins Gewicht fiel: Letzkau verlor mehr und mehr die Hoffnung, daß die Marienburg werde standhalten können. Zu groß war die Übermacht des Feindes, die tapfersten Ausfälle wurden zurückgeschlagen, immer mühsamer gelang es, Lebensmittel hineinzuschaffen. Auf Hilfe aus Deutschland war in vielen Wochen nicht zu rechnen. Kam sie überhaupt, so kam sie sicher zu spät. War aber die Marienburg gefallen, so hatte Danzig keinen Halt mehr: nicht die Stadt, sondern der König stellte die Bedingungen der Übergabe, und die beschwerlichsten mußten angenommen werden.

      Das überlegte er in vielen schlaflosen Nachtstunden, und als er nun mit sich einig war, berief er selbst den Rat und trug ihm seine Bedenken vor. Es ist euch bekannt, sagte er, daß ich nicht nur in früherer Zeit, sondern auch in diesen Tagen der Not treu zum Orden gehalten habe, und viele von euch und von den Bürgern dieser Stadt haben mich deshalb laut und heimlich getadelt. Aber es ist nicht meine Art, mit dem Strome zu schwimmen und mich fortreißen zu lassen zu unbedachten und ungerechten Dingen. Darum wahrlich bin ich von der Stadt gesetzt zu ihrem Haupt, daß ich im Sturm feststehe und in der Gefahr bedenke, was ihr dauernd nützt. Nun aber, scheint es mir, kämpft des Ordens Schiff bereits mast- und ruderlos mit den Wogen, dem Untergange geweiht; wenige kühne Männer stehen noch fest darauf, sich an die Taue klammernd und die Brust bietend Wind und Wellen. Vergebens! Sie lenken das Schiff nicht mehr und werden mit ihm in die Tiefe gehen, wenn sie nicht ins Boot springen und abstoßen. Das Herz tut ihnen weh, widerwillig gehorchen sie der Notwendigkeit – sie gehorchen. Ich sage: so scheint es mir nach allen Berichten, die uns zugegangen sind, und nach diesen Briefen, die mir gestern der Bischof von Leslau zusandte, zur Eile mahnend. Er ist mein Freund nicht, und ich weiß, daß er allezeit auf Ränke sann gegen den Orden und mit dem König von Polen heimlich Spiel trieb. Jetzt möchte er ihm gern die Stadt Danzig zubringen und sich damit noch größeren Dank verdienen. Doch mag dies auch seine Absicht sein; was er mitteilt, gibt schwer zu denken. Abgesandte der großen Städte wollen sich im Lager vor Marienburg versammeln, mit dem Könige über ihre Gerechtsame gemeinsam zu verhandeln. Danzig darf dabei nicht fehlen. Muß es sich unterwerfen, so wird es den höchsten Preis für seine Unterwerfung fordern, und der König wird ihn zahlen, solange er um die Marienburg kämpft. Der Bischof behauptet, die Verteidigung werde schon matt. Vielleicht will er uns täuschen. Nur an Ort und Stelle läßt sich die Lage der Dinge überschauen und der rechte Augenblick im Handeln ergreifen. Deshalb, wenn ihr mir Vertrauen schenkt, daß ich der Stadt Bestes will, sendet mich ins Lager und gebt mir zwei Ratsmannen zur Seite, daß wir mit ganzer Vollmacht beschließen und abschließen können, was keinen Aufschub leidet. Ich glaube keinem, der mich zu überreden trachtet; mit eigenen Augen will ich sehen. Erkenne ich aber meinen Weg, so seid dessen gewiß, daß ich nicht zögere, ihn zu betreten zu der Stadt Wohlfahrt.

      So ritt denn Konrad Letzkau hinaus mit noch zweien vom Rat, die hierzu gewählt waren, und der Kastellan von Kalisch empfing ihn mit großen Ehren und ließ ihn durch eine Schar Lanzenreiter bis nach Subkau geleiten, wo der kujawische Bischof Hof hielt. Er versprach, gegen die Stadt nichts zu unternehmen, bis der Bürgermeister zurückgekehrt sei.

      Überall auf dem Wege fand Letzkau Dörfer und Gutssitze verwüstet oder besetzt von feindlichen Kriegshaufen. Die Köllmer und Bauern, die er sprach, waren mutlos und hielten jeden weiteren Widerstand für nutzlos und verderblich. Im Schlosse zu Subkau war es lebhaft wie in einem Bienenkorbe. Dort hielt der Bischof stets offene Tafel für die polnischen Offiziere. Seine Waldmeister und Fischmeister mußten für Wild, Geflügel und Fische sorgen; das fetteste Schlachtvieh wurde von seinen Kämmerern aufgekauft oder auch halb mit Gewalt den Besitzern abgenommen. Seinem Keller fehlte es nie an Wein und Met, seinem Nachtisch nie an Honigkuchen und anderen Leckerbissen. Deshalb war man auch seines Lobes voll im königlichen Hauptquartier, und täglich kamen und gingen Boten mit geheimen Briefschaften. Man sagte, der Bischof habe aus Haß gegen den Orden dem Könige sogar verraten, wo in den Kirchen die kostbarsten Bildwerke und Geräte zu finden seien, damit er seine Beute vergrößere.

      Der Bischof von Kujawien war ein kleiner, hagerer Mann, sehr beweglich und redegewandt. Seine hohe Stirn schien wie mit gelblichem Pergament straff überspannt, die Augenbrauen liefen über der schmalen Nase in feine Spitzen aus, die listigen Augen lächelten unablässig halb geschlossen. Er ließ Letzkau sogleich in sein Kabinett eintreten, ging ihm bis zur Tür entgegen und bot ihm den Ehrensitz in einem hochlehnigen, mit Kissen bedeckten Sessel. Ihr habt lange auf Euch warten lassen, sagte er; der König ist schon ungeduldig. Aber ich kenne die Danziger: sie übereilen sich im Handel nicht und bringen ihre Ware erst zu Markt, wenn sie viel begehrt ist. Nun – Ihr kommt gerade zur rechten Zeit.

      Letzkau gefiel dieser leichtfertige Ton wenig, aber er überwand seinen Widerwillen gegen den ränkesüchtigen Priester und antwortete, auf seinen Scherz eingehend: Wir gedenken auch jetzt nicht, um jeden Preis loszuschlagen, was sich halten läßt. Die Stadt Danzig hat feste Mauern und ist nach der See offen. Der Orden hat ein starkes Haus, und wenn wir es ihm bewahren helfen, dürfen wir wohl auf seinen Dank rechnen.

      Der Bischof lachte. Ich meinte, ihr Danziger habt schon erfahren, wie der Orden treue Dienste lohnt. Ihr wißt so gut wie ich, daß Dank nur beim Könige zu erwarten ist.

      Vielleicht – wenn er die Macht hat, sich dankbar zu beweisen, antwortete Letzkau, es wird dann sein eigener Vorteil sein.

      Zweifelt Ihr noch? Das ganze Land hat ihm bereits gehuldigt.

      Die Marienburg widersteht.

      Pah! Wie lange? Wir sind genau von dem unterrichtet, was innen vorgeht, ich habe einen geschickten Kundschafter dort. Er hat sich auf mein Geheiß einschließen lassen und bindet nun von Zeit zu Zeit einen