Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
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mich sterben – bat der so Ermunterte mit schwacher Stimme.

      Der Pole lachte. Wozu sterben, wenn kannst du leben? Schwere Wunden, aber Schädel nicht sein zerschlagen – heilen zusammen. Richten auf, Junker, richten auf! Er schob den Arm unter seine Schultern und bemühte sich, ihn ein wenig zu erheben und gegen den Schenkel des toten Gauls zu lehnen, von dem ihn die Plündernden hinabgezerrt hatten. Die schweren Augenlider hoben sich zuckend, die farblosen Lippen bewegten sich, aber nur ein Seufzer war vernehmbar.

      Mit dem scheint's zu Ende zu gehen, sprach Herr von Kroczinski polnisch vor sich hin. Er hat zuviel Blut verloren. Schade um den hübschen Menschen! Das wäre ein Geschenk für Natalia gewesen – er schien ihr zu gefallen. Er überlegte. Ah, man kann doch nicht wissen! Die Wunde sieht gefährlich genug aus, heilt aber vielleicht bei guter Pflege zusammen. Diese deutschen Schädel halten schon einen kräftigen Hieb aus. Jedenfalls ist er mein Gefangener.

      Er gab seinen Dienern Befehle. Zwei von den Reitern jagten sofort über das Feld hin dem polnischen Lager zu, ein dritter eilte seitwärts fort in der Richtung des Dorfes Seemen. Er kehrte zuerst zurück und brachte in seinem Helme Wasser, das er aus dem Semnitzflusse geschöpft hatte. Ein Teil davon wurde dem Gefangenen eingeflößt, was ihn sichtlich erfrischte. Auch benetzte man ihm das Gesicht und wusch ihm die Kopfwunde. Aus dem Hemde, das einem der Gefallenen in der Nähe abgezogen wurde, riß man einige Streifen ab und stellte damit einen Verband her. Dann setzte ihm Herr von Kroczinski eine mit Wein gefüllte Lederflasche an den Mund, die er bei sich trug. Der Verwundete atmete etwas kräftiger, schien aber immer nur für wenige Augenblicke zu Bewußtsein zu kommen, und wiederholte auch dann nur die Worte: Laßt mich sterben!

      Nach einer Stunde etwa langten die beiden Reiter an. Sie brachten einen Leiterwagen mit, auf den Stroh gelegt war. Er gehörte dem polnischen Edelmann, der darauf von Schloß Sczanowo für sich und seine Leute die unentbehrlichen Lebensmittel hatte nachfahren lassen. Er sollte nun die Beute aufnehmen und über die Grenze zurückbringen, wurde dann auch mit Waffenstücken, Kleidern und Mänteln beladen, doch so, daß in der Mitte ein Raum frei blieb, der zu einem Lager für den Verwundeten eingerichtet wurde. Man hob ihn vorsichtig auf dasselbe und breitete über ihn einen weißen Mantel aus, der die Glut der Sonne milderte; einen von den Reitern gab Herr von Kroczinski dem Fuhrwerk zur Begleitung mit und trug ihm auf, ohne Verzug und auf dem kürzesten Wege seinen Gefangenen und die Beute nach seinem Schlosse zu schaffen.

      Dem »deutschen Fräulein« ließ er einen Gruß bestellen und sagen, daß der Gefangene ihr gehöre und daß sie nach Willkür über ihn verfügen dürfe, Lascziek, der Diener, schüttelte freilich den Kopf dazu und meinte: Bringen wir ihn lebendig nach Schloß Sczanowo, so tut der heilige Stanislaus ein Wunder!

      Die kleine Schar gab dem Wagen eine Strecke über Feld das Geleite, bis er aus dem Bereiche des eigentlichen Schlachtfeldes war, und kehrte dann zurück, die Plünderung fortzusetzen.

      Der Tag ging zu Ende, und zum zweitenmal wurde es Morgen, ohne daß der König Befehl zum Aufbruch gab. Die versprengten Haufen hatten sich bereits im Lager zusammengefunden, die notwendigste Ordnung war wieder hergestellt, aber er schien sich von der Stätte seines Ruhmes nicht trennen zu können.

      Vergebens hatte der Großfürst einen Auftrag erwartet, seinen Heerkörper in Bewegung zu setzen. Nun ritt er am Vormittag ungeduldig nach dem königlichen Zelte.

      Er fand vor demselben Zindram, den Kronfeldherrn, im Gespräche mit anderen Anführern und fragte ihn, welchen Grund die Zögerung habe. Der Ritter zuckte die Achseln und versicherte, schon in der Frühe dem König gemeldet zu haben, daß dem Abmarsche nichts im Wege stehe. Er hat viel Briefe zu schreiben, setzte er hinzu.

      Witowd wurde gemeldet und nach einer Weile eingelassen.

      Jagello saß in einem Hausrock von weicher Wolle am Feldtische neben seinem Schreiber Sbigneus von Oleßnitz, der eifrig schrieb. An einem zweiten Tische hatten noch zwei andere Schreiber Platz genommen, die Abschriften von den Briefen machten, deren Fassung festgestellt war. Der Großfürst verneigte sich zum Gruß und nahm sogleich das Wort. Ich komme, zu fragen, Vetter, sagte er, welche Befehle Ihr wegen des Vormarsches zu erteilen habt. Meine Litauer sind jede Stunde bereit.

      Der König verzog den breiten Mund zu einem spöttischen Lächeln und maß die hohe Gestalt mit den listigen kleinen Augen. Ich hoffe, meine Polen nicht minder, antwortete er; aber sie warten, bis der König ihnen seine Befehle sendet.

      Witowd hob sein Schwert aus der Kette und stützte sich darauf. Den Vorwurf, der in Euren Worten liegt, kann ich nicht annehmen, sagte er. Die Litauer schicken mich nicht; ich komme, weil ich ein Recht habe, zu wissen, was uns der nächste Tag bringen soll. Ich habe mich Ew. Gnaden willig untergeordnet in diesem Kriegszuge, wie ich Euch gern nach altem Vertrage als meinen Oberherrn anerkenne. Aber ein Fürst bin ich wie Ihr, und stehe ich nicht neben Euch, so stehe ich doch der nächste an Euch und mit niemand im ganzen Heere auf gleicher Stufe. Darum ziemt es mir nicht, in Euren Rat zu gehen, aber ich darf erwarten, daß Ihr Rat von mir, Eurem Verbündeten, annehmt, wenn es mir nötig erscheint, ihn Euch anzubieten.

      Dem König klangen diese stolzen Worte recht unsanft in die Ohren; aber er wußte sich jederzeit zu beherrschen und durfte den mächtigen Vetter jetzt nicht verstimmen. Er winkte ihm daher, auf einem Stuhle Platz zu nehmen, und entgegnete nur: Ich schätze deinen Rat, Vetter, auch wenn ich ihn nicht stets befolge. Meine Sorge ist nicht deine Sorge, das bedenke, und vieles muß geheim betrieben werden, wenn es gelingen soll. Aber sprich, ich will hören.

      Witowd biß die Lippe. Es wäre ihm lieber gewesen, der König hätte ihm eine heftige Antwort gegeben, daß er darauf ohne Rückhalt hätte antworten können. Wir haben eine große Schlacht geschlagen, sagte er, sich ebenfalls zu einem ruhigen Tone zwingend, und sind Sieger. Unsere Aufgabe ist es nun, den Sieg zu nützen. Der Feind ist auf diesem Schlachtfelde vernichtet, aber noch mächtig im Lande. Wir dürfen nicht zulassen, daß er sich wieder sammelt und uns zu einer zweiten Schlacht zwingt, die leicht nicht so günstig verlaufen könnte. Unsere Reihen sind gelichtet; fast die Hälfte unserer vereinten Heere ward erschlagen oder kampfunfähig gemacht, und wir haben keinen Zuzug zu erwarten. Der Feind aber hat im eigenen Lande Mittel genug, uns jeden Schritt zu erschweren, wenn wir ihn erst wieder zu Kraft kommen lassen. Darum scheint mir jedes Zögern unheilvoll.

      Jagello lächelte grinsend. Du siehst die Dinge nicht aus der Höhe an, Vetter, antwortete er. Kannst du glauben, daß der Deutsche Orden sich nach diesem Schlage je wieder kräftig erhebt? Das ist mehr als eine verlorene Schlacht! Und wenn sie alle wieder aufstehen und zu den Waffen greifen könnten, die Toten im weißen Mantel mit dem schwarzen Kreuz – die wären sie nicht mehr, die sie gewesen sind. Seit zweihundert Jahren fast sind die Brüder von St. Marien Sieger geblieben in jedem Kampfe. Die Welt glaubte an ihre Unbezwinglichkeit, und sie selbst glaubten daran. Nun ist dieser Glaube ausgelöscht für ewige Zeiten. Sie sind klein geworden vor denen, die sie verachteten; ihr Orden ist vernichtet, ihre Herrschaft schwach geworden im Lande. Für uns aber kommt die Zeit der Ernte!

      Seine kleinen Augen blitzten von ungewöhnlichem Feuer; die gebückte Gestalt hob sich triumphierend, sie hatte jetzt wirklich etwas Königliches, das nicht ohne Eindruck auf Witowd blieb.

      Ich freue mich, zu erfahren, daß Ihr so guten Mutes seid, sagte er. Aber auch sonst schon hat der Orden Niederlagen erlebt, und immer ist er nach kurzer Zeit um so mächtiger aufgestanden.

      Nie eine Niederlage wie diese, rief der König, nie! Ich wiederhole, Vetter, es handelt sich nicht um eine verlorene Schlacht. Ich habe gute Kundschafter gehabt in den Schlössern und in den Städten und kann mich auf ihre Berichte verlassen: der ganze Orden stand bei Tannenberg, der ganze Orden! Sein Meister, seine Gebietiger, seine Brüder sind erschlagen bis auf wenige! Seine Burgen sind fast gänzlich entblößt von Verteidigern und müssen sich ergeben, sobald wir's fordern. Und seine Untertanen schwanken schon lange. Wahrlich, die reife Frucht fällt uns in den Schoß!

      So laßt sie uns ergreifen, riet der Großfürst, weniger vertrauensvoll. Wir können das Heer nur wenige Wochen zusammenhalten. Je rascher wir vordringen und jeden Widerstand brechen, um so schneller wird der Orden – er hat noch seine Vertreter im Lande – zu einem Frieden geneigt sein, der uns die Vorteile des Sieges