»Epidaphne scheint wahrlich die volksreichste Stadt des Ostens zu sein! Welch ein Menschengewimmel! Welch ein Wirrwarr von allen Ständen und Altersklassen! Welche unzähligen Völker und Sekten! Welche Verschiedenheit in den Trachten! Was für ein babylonisches Sprachgewirr! Und dies Tiergebrüll! Dies Durcheinanderklingen von Instrumenten! Welch ein Haufe von Philosophen!«
»Nun aber fort!«
»Noch einen kurzen Augenblick! Ich höre dort im Hippodrom wilden Lärm, was kann denn dies schon wieder bedeuten?«
»Nichts Besonderes! Die edlen und freien Bürger Epidaphnes, die, wie sie behaupten, so sehr mit der Treue, dem Mut, der Weisheit, der Göttlichkeit ihres Königs zufrieden sind und überdies soeben Augenzeugen seiner übermenschlichen Behendigkeit waren, halten es für ihre Pflicht, zum mindesten die königliche Stirn des Herrschers neben der Dichterkrone auch noch mit dem Siegeskranz, dem Preis im Wettlauf, zu schmücken. Diese Auszeichnung muß ihm ja doch bei den nächsten olympischen Spielen zufallen, und so wird sie ihm schon heute in sicherer Voraussicht zukünftigen Sieges überreicht.«
Ligeia
Und es liegt darin der Wille, der nicht stirbt. Wer kennt die Geheimnisse des Willens und seine Gewalt? Denn Gott ist nichts als ein großer Wille, der mit der ihm eigenen Kraft alle Dinge durchdringt. Der Mensch überliefert sich den Engeln oder dem Nichts einzig durch die Schwäche seines schlaffen Willens.
Josef Glanvill
Bei meiner Seele, ich kann mich nicht erinnern, wie, wann und wo ich die erste Bekanntschaft machte – der Lady Ligeia. Lange Jahre sind seitdem verflossen, und mein Gedächtnis ist schwach geworden durch vieles Leiden. Vielleicht auch kann ich mich dieser Einzelheiten nur darum nicht mehr erinnern, weil der Charakter meiner Geliebten, ihr umfassendes Wissen, ihre eigenartige und doch milde Schönheit und die überwältigende Beredsamkeit ihrer sanft tönenden Stimme – weil dies alles zusammen nur ganz allmählich und verstohlen den Weg in mein Herz nahm, zu allmählich, als daß ich daran gedacht hätte, mir jene äußeren Umstände einzuprägen.
Ich habe jedoch das Empfinden, als sei ich ihr zum ersten Mal und dann wiederholt in einer altertümlichen Stadt am Rhein begegnet. Und eines weiß ich bestimmt: sie erzählte mir von ihrer Familie, die sehr alten Ursprungs war. – Ligeia! Ligeia! – Trotzdem ich in Studien vergraben bin, deren Art mehr noch als alles andre dazu angetan ist, mich ganz von Welt und Menschen abzusondern, genügt dies eine süße Wort »Ligeia«, vor meinen Augen ihr Bild erstehen zu lassen – das Bild von ihr, die nicht mehr ist. Und jetzt, während ich schreibe, überfällt mich urplötzlich das Bewußtsein, daß ich von ihr, meiner Freundin und Verlobten, der Gefährtin meiner Studien und dem Weib meines Herzens, den Namen ihrer Familie nie erfahren habe. War es ein schalkhafter Streich, den Ligeia mir gespielt hatte? War es ein Beweis meiner bedingungslosen Hingabe, daß ich nie eine Frage danach tat? Oder war es meinerseits eine Laune, ein romantisches Opfer, das ich auf den Altar meiner leidenschaftlichen Ergebenheit niedergelegt hatte? Der bloßen Tatsache sogar kann ich mich nur unklar erinnern – was Wunder, daß ich die Gründe dafür vollständig vergessen habe! Und wirklich, wenn jemals der romantische Geist des bleichen und nebelbeschwingten Aschtophet des götzengläubigen Ägyptens, wie die Sage meldet, über unglückliche Ehen geherrscht hat, so ist es gewiß, daß er meine Ehe stiftete und beherrschte.
Immerhin hat mich wenigstens in einem Punkt meine Erinnerung nicht verlassen: die Persönlichkeit Ligeias steht mir heute noch klar vor Augen. Sie war von hoher, schlanker Gestalt, in ihren letzten Tagen sogar sehr hager. Vergebliches Bemühen wäre es, wenn ich eine Beschreibung der Erhabenheit, der würdevollen Gelassenheit ihres Wesens oder der unvergleichlichen Leichtigkeit und Elastizität ihres Schreitens versuchen wollte. Sie kam und ging wie ein Schatten. War sie in mein Arbeitszimmer gekommen, so bemerkte ich ihre Anwesenheit nicht eher, als bis ich den lieben Wohlklang ihrer sanften süßen Stimme vernahm oder ihre marmorweiße Hand auf meiner Schulter fühlte. Kein Weib auf Erden trug solche Schönheit im Antlitz wie sie! Strahlend schön war sie, wie die Erscheinung eines Traumes, wie eine göttliche, beseligende Vision. Doch waren ihre Züge keineswegs von jener Regelmäßigkeit, wie die klassischen Bildwerke des Heidentums sie aufweisen und die man mit Unrecht so übertrieben bewundert.
Aber wenn ich auch sah, daß die Züge Ligeias nicht von klassischer Regelmäßigkeit waren, wenn ich auch feststellte, daß ihre Schönheit in der Tat auserlesen war, und fühlte, daß viel Seltsamkeit in ihren Zügen lag, so habe ich doch vergebens versucht, dieser Unregelmäßigkeit auf die Spur zu kommen und meine Feststellung des Besonderen zu begründen. Ich prüfte die Kontur der hohen und bleichen Stirn – sie war fehlerlos. Wie kalt klingt doch dies Wort für eine so göttliche Majestät, für die wie reinstes Elfenbein schimmernde Haut, die gebieterische Breite und ruhevolle Harmonie dieser Stirn, die sanfte Erhöhung über den Schläfen, die eine üppige Fülle rabenschwarzer glänzender Locken umschmiegte. Ich prüfte die feinen Linien der Nase: nirgends anders als auf althebräischen Medaillons hatte ich ebenso vollkommen Schönes gesehen. Ich betrachtete den süßen Mund, hier feierten alle Himmelswonnen ihr triumphierendes Fest. Ich prüfte die Form des Kinns und fand auch hier in seiner sanften Breite Majestät, Fülle und griechischen Geist. Und dann vertiefte ich mich in Ligeias große Augen.
Von strahlendstem Schwarz waren ihre Pupillen und waren tief beschattet von sehr langen, jettschwarzen Wimpern. Die Brauen, deren Linien kaum merklich unregelmäßig waren, hatten die gleiche Farbe. Die Seltsamkeit aber, die ich in den Augen fand, lag nicht in Form, Farbe oder Glanz, sie muß in ihrem Ausdruck wohl gelegen haben.
Der Ausdruck von Ligeias Augen! Was war es, dies Etwas, das tief innen in den Pupillen meiner Geliebten verborgen lag. Was war es? Ich war wie besessen von dem Verlangen, es zu entdecken. Diese Augen! Diese großen, diese schimmernden, diese göttlichen Augen! Ligeia! Es lebte in ihr ein unerhört starker Wille, der während unseres langen Zusammenlebens nie spontan zutage trat, sondern sich nur in einer unglaublichen Anspannung des Denkens, Tuns und Redens zu erkennen gab. Von allen Frauen, die ich je kannte, war sie, die äußerlich ruhevolle, die stets gelassen milde Ligeia, wie keine andere die Beute der tobenden Geier grausamster Leidenschaftlichkeit. Und diese Leidenschaftlichkeit enthüllte sich mir nur im wundervollen Strahlen ihrer Augen, die mich gleichzeitig entzückten und entsetzten, in der fast zauberhaften Melodie, Weichheit, Klarheit und Würde ihrer sonoren Stimme und in der flammenden Energie, die in ihren seltsam gewählten Worten lag und die im Gegensatz zu der Ruhe, mit der sie gesprochen wurden, doppelt wirkungsvoll war.
Ich erwähnte schon das umfassende Wissen Ligeias: ihre Kenntnisse waren unermeßlich – für eine Frau ganz unerhört. Damals sah ich noch nicht, was ich jetzt klar erkenne, daß dies Wissen Ligeias unglaublich, daß es gigantisch war.
Wie heftig