»Ein solches Vorgehen«, fiel der Präsident hier ein, »widerspräche durchaus dem gesetzlichen Machtspruch, der unwiderruflich ist. Die von Uns auferlegte Strafe muß nach dem Buchstaben erfüllt werden – und zwar unverzüglich, andernfalls dekretieren wir, daß man euch Kopf und Füße zusammenbindet und euch als Aufrührer in jenem Oxhoft mit Oktoberbier ersäuft.«
»Ein Rechtsspruch! – Ein Rechtsspruch! – Ein guter und gerechter Rechtsspruch! – Ein glorreiches Wort! – Ein würdiges und aufrechtes Urteil!« – rief die Familie Pest wie aus einem Munde. Der König zog die Stirn in tausend Falten; der gichtige Alte schnaufte wie ein Blasebalg; die Dame mit dem Sargtuch schwenkte ihre Nase hin und her; der Herr in den baumwollenen Hosen spitzte seine langen Ohren; die mit dem Leichenhemd klappte mit ihrem Fischmaul, und der im Sarg hielt sich steif und rollte mit den Augen.
»Hu, hu, hu!« kicherte Tarpaulin, ohne die allgemeine Aufregung zu beachten, »hu, hu, hu! – hu, hu, hu, hu! – hu, hu, hu! – Ich meinte,« sagte er, »ich meinte, als Herr König Pest seine Marlpfrieme dazwischensteckte, ich meinte, was zwei oder drei Gallonen Wacholderschnaps anlange, so sei das eine Kleinigkeit für ein strammes und nicht überlastetes Seeboot wie mich – wenn aber auf das Wohl des Teufels getrunken werden soll und wenn ich bei lebendigem Leibe zu diesem bösen König hinunterfahren soll, von dem ich so gewiß weiß, wie von mir, daß ich ein Sünder bin, daß er kein anderer ist als Tim Hurlygurly, der Schauspieler – ja, das ist denn doch ‘ne ganz andere Sache und geht durchaus über mein Verständnis.«
Er konnte seine Rede nicht beenden. Bei Nennung des Namens Tim Hurlygurly sprang die ganze Versammlung von ihren Sitzen.
»Verrat!« brüllte Seine Majestät König Pest der Erste.
»Verrat!« sagte der kleine gichtige Alte.
»Verrat!« kreischte die Erzherzogin Ana-Pest.
»Verrat!« kreischte der Herr mit der aufgebundenen Kinnlade.
»Verrat!« grollte der mit dem Sarg.
»Verrat! Verrat!« rief die Majestät vom großen Maul und packte den unglücklichen Tarpaulin, der sich soeben seinen Trinkschädel neu gefüllt hatte, bei seinem Hosenboden, hob ihn hoch in die Luft und ließ ihn ohne alle Umschweife in die riesige Bütte seines geliebten Starkbieres fallen. Er tauchte auf und nieder wie ein Apfel im Grog und verschwand schließlich im Schaumstrudel, den seine Befreiungsversuche in der ohnedies schäumenden Flüssigkeit hervorgebracht hatten.
Bein aber, der lange Seemann, war nicht gewillt, die Leiden seines Kameraden ruhig mit anzusehen. Er stieß König Pest durch die offene Falltür im Fußboden und warf fluchend die Tür hinter ihm zu. Dann wandte er sich ins Zimmer. Er riß das über dem Tische schaukelnde Skelett herab und schlug damit so gewaltig um sich, daß er beim letzten Schein des verglimmenden Lichtes dem kleinen Mann mit der Gicht die Hirnschale zerschmetterte. Dann stürmte er zu dem verhängnisvollen Oxhoft voll Oktoberbier und Hugo Tarpaulin und stieß es mit aller Macht um. Ein Meer von Flüssigkeit stürzte heraus, so gewaltig – so flutend und brausend, – daß der Raum von einem Ende zum andern überschwemmt war – der vollbeladene Tisch wurde umgeworfen – die Bahren fielen um, die Punschkübel ins Kaminfeuer und die Damen in Schreikrämpfe. Ganze Haufen von Bestattungsgeräten schwammen umher. Kannen und Krüge wogten durcheinander, und Korbflaschen kämpften verzweifelt mit Weiden-und Kürbisflaschen. Der Mann mit dem Katzenjammer ersoff auf der Stelle – der kleine steife Herr schwamm in seinem Sarg davon, und der siegreiche Bein ergriff die dicke Dame im Leichenhemd bei den Hüften, stürmte mit ihr auf die Straße und jagte auf kürzestem Wege zum Ankerplatz der »Frei und Licht«; hinter ihm drein segelte der furchtbare Hugo Tarpaulin, der, nachdem er zwei-bis dreimal kräftig geniest hatte, mit der Erzherzogin Ana-Pest auf den Armen daherkeuchte.
Schatten
Shadow – A Parable (1835) (Eine Parabel) Geschichten von Schönheit, Liebe und Wiederkunft Herausgegeben von Theodor Etzel
Wahrlich, ob ich auch wandele
durch das Tal des Schattens –
Psalm Davids
Du, der Lesende, weilst noch unter den Lebendigen; ich, der Schreibende aber, habe längst meinen Weg ins Reich der Schatten genommen. Denn das ist gewiß, seltsame Dinge werden geschehen und geheime Dinge aufgedeckt werden, und viele Jahrhunderte werden vergehen, ehe diese Aufzeichnungen den Menschen vor Augen kommen. Und unter denen, die sie sehen, werden manche Ungläubige sein und manche Zweifler und dennoch einige wenige, denen die Schriftlichen, die ich hier mit stählernem Griffel grabe, viel zum Sinnen geben sollen.
Das Jahr war ein Jahr des Schreckens gewesen und der Empfindungen, die noch stärker sind als die Schrecken, für die es auf Erden keinen Namen gibt. Denn viele Zeichen und Wunder waren geschehen, und fern und nah, über Meer und Land, hatten sich die schwarzen Schwingen der Pest ausgespannt.
Für jene aber, die in den Sternen zu lesen wußten, war es ersichtlich, daß die Himmel einen bösen Anblick boten, und mir, dem Griechen Oinos, wurde es gleich andern klar, daß nun die Wende des siebenhundertvierundneunzigsten Jahres gekommen war, da beim Eintritt des Widders der Planet Jupiter vom roten Ring des schrecklichen Saturn umschnitten wird. Wenn ich nicht irre, so äußerte sich der seltsame Geist der Gestirne nicht nur im physischen Lauf der Erde, sondern in der Seele, der Vorstellungs-und Gedankenwelt der Menschen.
Wir saßen nachts, unser sieben, bei einigen Flaschen roten Weines in einer edlen Halle der düsteren Stadt Ptolemais. Und der Raum besaß keinen andern Eingang als durch eine hohe, erzene Pforte; und der Künstler Corinnos hatte die Pforte gebaut, es war ein kunstvolles Stück, das von innen geschlossen wurde.
So hielten auch schwarze Vorhänge dem düsteren Gemach den Anblick des Mondes fern, der fahlen Sterne und menschenleeren Straßen – das Vorgefühl und das Gedenken des Unglücks aber ließen sich nicht so aussperren.
Es gab Dinge um uns her, von denen ich nicht deutlich Rechenschaft geben kann – materielle und geistige Dinge – eine Dichtigkeit der Luft – ein Gefühl des Erstickens – eine Beängstigung – und vor allem den schrecklichen Zustand, den nervöse Menschen durchmachen, wenn die Sinne scharf und wachsam sind, die Macht des Gedankens aber gebannt liegt.
Eine tote Last drückte auf uns. Sie lastete auf unsern Gliedern – auf den Gegenständen im Raum – auf den Bechern, aus denen wir tranken, und alle Dinge wurden schwer davon und bedrückt – alle Dinge, bis auf die Flammen der sieben Lampen aus Erz, die unser Fest beleuchteten. Sich aufreckend zu hohen, schlanken Lichtstreifen, brannten sie bleich und regungslos, und in dem Spiegel, den ihr Glanz auf den runden Ebenholztisch warf, an dem wir saßen, gewahrte jeder von uns die Blässe seines eigenen Angesichts und das unruhige Flackern in den gesenkten Blicken seiner Gefährten.
Dennoch lachten wir und waren fröhlich auf unsre eigne Weise – die hysterisch war, und sangen die Lieder des Anakreon – was Wahnsinn war, und tranken tiefe Züge – obgleich der purpurne Wein uns an Blut gemahnte. Denn da war noch ein Gast in unserm Gemach in Gestalt des jungen Zoilus. Tot und in seiner ganzen Länge lag er da, eingesargt – der Geist und der Dämon der Szene.
Ach! Er nahm keinen Teil an unsrer Lust, nur daß sein Antlitz, von der Seuche verzerrt, und seine Augen, in denen der Tod die Glut der Pest nur halb gelöscht hatte, unsrer Fröhlichkeit ein gewisses Interesse zuzuwenden schienen, wie die Toten es für die Heiterkeit derer, die noch ans Sterben kommen, wohl haben mögen. Doch wenngleich ich, Oinos, fühlte, daß die Blicke des Abgeschiedenen auf mir ruhten, so zwang ich mich dennoch, die Bitterkeit ihres Ausdrucks nicht zu beachten, und standhaft in die Tiefen des ebenholzenen Spiegels spähend, sang ich mit lauter und klangvoller Stimme die Lieder des Sängers aus Teos.
Doch allmählich hörten meine Lieder