Ich habe an einem andern Orte67 das Thema der Vererbung so ausführlich erörtert, daß ich hier kaum irgend etwas hinzuzufügen nöthig habe. Eine große Anzahl von Thatsachen sind in Bezug auf die Überlieferung sowohl der äußerst unbedeutenden, als der bedeutungsvollsten Charaktere gesammelt worden, und zwar eine viel größere Anzahl in Bezug auf den Menschen als in Bezug auf irgend eines der niederen Thiere; doch sind in Bezug auf die letzteren die Thatsachen immer noch reichlich genug. Was z. B. die Überlieferung geistiger Eigenschaften betrifft, so ist dieselbe bei unsern Hunden, Pferden und anderen domesticierten Thieren offenbar. Außer den speciellen Neigungen und Gewohnheiten werden ein allgemein intelligentes Wesen, Muth, schlechtes und gutes Temperament u. s. w. sicher überliefert. In Bezug auf den Menschen sehen wir ähnliche Thatsachen fast in jeder Familie; und wir wissen jetzt durch die ausgezeichneten Arbeiten Mr. Galton's,68 daß das Genie, welches eine wunderbar complicierte Combination höherer Fähigkeiten umfaßt, zur Erblichkeit neigt; andererseits ist es nur zu gewiß, daß Verrücktheit und beschränkte geistige Kräfte gleichfalls durch ganze Familien gehen.
Was die Ursachen der Variabilität betrifft, so sind wir in allen Fällen in großer Unwissenheit; wir sehen nur, daß dieselbe beim Menschen wie bei den niederen Thieren in irgend einer Beziehung zu den Lebensbedingungen stehen, welchen eine jede Species mehrere Generationen hinter einander ausgesetzt gewesen ist. Domesticierte Thiere variieren mehr als Thiere im Naturzustande; und dies ist offenbar Folge der verschiedenartigen und wechselnden Lebensbedingungen, denen sie ausgesetzt gewesen sind. Die verschiedenen Menschenrassen gleichen in dieser Hinsicht domesticierten Thieren, und dasselbe gilt von den Individuen einer und derselben Rasse, sobald sie einen sehr großen Bezirk, wie z. B. Amerika bewohnen. Den Einfluß verschiedenartiger Bedingungen sehen wir an den civilisierten Nationen; denn deren Glieder gehören verschiedenen Rangclassen an und haben verschiedene Beschäftigungen, wodurch sie eine größere Verschiedenartigkeit von Eigenthümlichkeiten darbieten als die Glieder barbarischer Nationen. Andererseits ist aber die Gleichförmigkeit unter den Wilden bedeutend übertrieben worden, und in manchen Fällen kann man kaum sagen, daß sie überhaupt existiere.69 Nichtsdestoweniger ist es ein Irrthum, selbst wenn wir nur auf die Lebensbedingungen sehen, denen er unterworfen gewesen ist, vom Menschen so zu sprechen, als sei er »weit mehr domesticiert«70 als irgend ein anderes Thier. Einige wilde Rassen, z. B. die Australier, sind keinen mannigfaltigeren Bedingungen ausgesetzt als viele Species, welche sehr weite Verbreitungsbezirke haben. In einer andern und noch bedeutungsvolleren Beziehung weicht der Mensch sehr weit von jedem im strengen Sinn domesticierten Thier ab; die Nachzucht ist nämlich bei ihm weder durch methodische noch durch unbewußte Zuchtwahl controliert worden. Keine Rasse oder größere Zahl von Menschen ist von anderen Menschen so vollständig unterworfen worden, daß gewisse Individuen, weil sie in irgendwelcher Weise ihren Herren von größerem Nutzen gewesen wären, erhalten und so unbewußt zur Nachzucht ausgewählt worden wären. Auch sind sicherlich nicht gewisse männliche und weibliche Individuen absichtlich ausgewählt und mit einander verbunden worden mit Ausnahme des bekannten Falles der preußischen Grenadiere, und in diesem Falle folgte, wie man von vornherein erwarten konnte, der Mensch dem Gesetze methodischer Zuchtwahl; denn es wird ausdrücklich angeführt, daß in den Dörfern, welche die Grenadiere mit ihren großen Weibern bewohnten, viele ebenso große Menschen aufgezogen worden sind. Auch in Sparta wurde eine Art Zuchtwahl ausgeübt; denn es war vorgeschrieben, daß alle Kinder bald nach der Geburt untersucht wurden; die wohlgebildeten und kräftigen wurden erhalten, die andern dem Tode überlassen.71
Betrachten wir alle Menschenrassen als eine einzige Art bildend, so ist ihre Verbreitung ganz enorm; aber schon einzelne verschiedene Rassen, wie die Amerikaner und Polynesier, haben sehr weite Verbreitungsbezirke. Es ist ein bekanntes Gesetz, daß weitverbreitete Species viel variabler sind als Species mit beschränkter Verbreitung; und man kann weit zutreffender, die Variabilität des Menschen mit der weitverbreiteter Species als mit der domesticierter Thiere vergleichen.
Die Variabilität erscheint nicht bloß beim Menschen und den niederen Thieren durch die nämlichen allgemeinen Ursachen veranlaßt worden zu sein, sondern in beiden Fällen werden auch dieselben Körpertheile in einer streng analogen Weise afficiert. Dies ist mit so ausführlichen Details von Godron und Quatrefages erwiesen worden, daß ich hier nur auf deren Werke zu verweisen habe.72 Monstrositäten, weiche allmählich in unbedeutende Varietäten übergehen, sind gleichfalls beim Menschen und den niederen Thieren einander so ähnlich, daß für beide eine und dieselbe Classification und dieselben Bezeichnungen gebraucht werden können, wie man aus Isidore Geoffroy St. Hilaire's großem Werk sehen kann.73 In meinem Buche über das Variieren domesticierter Thiere habe ich den Versuch gemacht, in einer skizzenartigen Weise die Gesetze des Variierens unter die folgenden Punkte zu ordnen: Die directe und bestimmte Wirkung veränderter Bedingungen, wie sich dieselben bei allen oder fast allen Individuen einer und derselben Species zeigt, welche unter denselben Umständen in einer und derselben Art und Weise abändern; – die Wirkungen lange fortgesetzten Gebrauchs oder Nichtgebrauchs von Theilen; – die Verwachsung homologer Theile; – die Variabilität in Mehrzahl vorhandener Theile; – Compensation des Wachsthums, doch habe ich von diesem Gesetz beim Menschen kein entscheidendes Beispiel gefunden; – die Wirkungen des mechanischen Drucks eines Theils auf einen andern, wie der Druck des Beckens auf den Schädel des Kindes im Mutterleibe; –Entwicklungshemmungen, welche zur Verkleinerung oder Unterdrückung von Theilen führen; – das Wiedererscheinen lange verlorener Eigentümlichkeiten durch Rückschlag; – und endlich correlative Abänderung. Alle diese sogenannten Gesetze gelten in gleicher Weise für den Menschen, wie für die niederen Thiere, und die meisten derselben sogar für Pflanzen. Es wäre hier überflüssig, sie alle zu erörtern;74 mehrere sind aber für uns von solcher Bedeutung, daß sie mit ziemlicher Ausführlichkeit behandelt werden müssen. Die directe und bestimmte Wirkung veränderter Bedingungen. – Dies ist ein äußerst verwickelter Gegenstand. Es läßt sich nicht leugnen, daß veränderte Bedingungen irgendwelchen Einfluß und gelegentlich sogar eine beträchtliche Wirkung auf Organismen aller Arten äußern; auch scheint es auf den ersten Blick wahrscheinlich, daß, wenn man hinreichend Zeit gestattete, ein solches Resultat unabänderlich eintreten würde. Doch ist mir's nicht gelungen, deutliche Beweise zu Gunsten dieser Folgerung zu erhalten; es lassen sich auch auf der andern Seite gültige Gründe für das Gegentheil anführen, mindestens soweit die zahllosen Bildungs-Eigenthümlichkeiten in Betracht kommen, welche speciellen Zwecken angepaßt sind. Es kann indessen kein Zweifel sein, daß veränderte Bedingungen fluctuierende Variabilität in fast endloser Ausdehnung veranlassen, wodurch die ganze Organisation in gewissem Grade plastisch gemacht wird.
In den Vereinigten Staaten wurden über eine Million Soldaten, welche während des letzten Krieges dienten, gemessen und die Staaten, in denen sie geboren und erzogen waren, notiert.75 Aus dieser staunenswerthen Zahl von Beobachtungen ergiebt sich als bewiesen, daß locale Einflüsse irgendwelcher Art direct auf die Größe wirken; und wir lernen ferner, »daß der Staat, in dem das körperliche Wachsthum zum großen Theil stattgehabt hat, und der Staat der Geburt, welcher die Abstammung ergiebt, einen ausgesprochenen Einfluß auf die Größe auszuüben scheinen«. So ist z. B. als feststehend ermittelt worden, daß »ein Aufenthalt in den westlichen Staaten während der Jahre des Wachsthums eine Zunahme der Größe hervorzubringen neigt«. Andrerseits