Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
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sich in einem Falle dieser Art zweimal verirren kann, hat sich auch das erste Mal nicht verirrt.

      Adieu, mein Freund: wache sorgfältig über deine Gesundheit, ich beschwöre dich, und denke daran, daß keine Spur übrig bleiben darf von einem Vergehen, das ich verziehen habe.

      N. S. Ich habe eben in den Händen des Herrn von Orbe Abschriften von mehren Ihrer Briefe an Milord Eduard gesehen, die mich nöthigen, von meinem Tadel über den Inhalt und die Form Ihrer Briefe einen Theil zurückzunehmen. Diese Briefe behandeln, muß ich gestehen, wichtige Gegenstände und scheinen mir voll von ernsten und einsichtigen Bemerkungen. Aber dafür ist nun wieder klar, daß Sie uns sehr geringschätzen, meine Cousine und mich, oder daß Sie sich aus unserer Achtung recht wenig machen, da Sie uns nur Berichte schicken, die so sehr geeignet sind sie zu schwächen, während Sie für Ihren Freund weit bessere abfassen. Sie gönnen damit, scheint mir, Ihrem Unterricht wenig Ehre, wenn Sie Ihre Schülerinnen unwerth achten, Ihre Leistungen zu bewundern, und Sie sollten wenigstens aus Eitelkeit so thun, als ob Sie uns für fähig hielten, Sie zu verstehen.

      Ich gebe zu, daß die Politik nicht zum Ressort der Frauen gehört, und mein Onkel hat uns so damit gelangweilt, daß ich wohl begreife, wie Sie Scheu tragen konnten, es ebenfalls zu thun. Es ist auch, offen gesagt, nicht das Studium, dem ich den Vorzug geben würde: ihr Nutzen liegt mir zu fern, als daß sie mir sehr zu Herzen gehen sollte, und ihre Erleuchtung ist zu hoch, um mir lebhaft in's Auge zu fallen. Da ich genöthigt bin, die Regierungsform zu lieben, unter welcher ich geboren bin, so kümmere ich mich wenig darum, ob es bessere giebt. Was würde es mir frommen, sie zu kennen, da ich es so wenig in meiner Macht habe, ihnen Eingang zu verschaffen? Und warum sollte ich mir das Herz damit beschweren, so große Uebel zu betrachten, gegen die ich nichts vermag, solange ich andere um mich her sehe, die ich vermögend bin zu lindern? Aber ich liebe Sie, und den Antheil, den ich an den Gegenständen nicht nehme, nehme ich doch an dem Verfasser, der sie behandelt. Ich sammle mir mit zärtlicher Bewunderung alle Proben Ihres Talentes ein, und stolz auf ein Verdienst, das meines Herzens so würdig ist, verlange ich von der Liebe nur so viel Geist als nöthig ist, den Ihrigen zu empfinden. Versagen Sie mir also die Freude nicht, alles Gute, was Sie schaffen, zu kennen und zu lieben. Wollen Sie mir die Demüthigung bereiten, daß ich glauben muß, wenn der Himmel uns vereinigte, so würden Sie Ihre Lebensgefährtin nicht würdig achten, mit Ihnen zu denken?

      Achtundzwanzigster Brief.

       Von Julie.

       Inhaltsverzeichnis

      Alles ist verloren, Alles ist entdeckt! Ich finde deine Briefe nicht mehr an dem Orte, wo ich sie verborgen hatte. Sie waren gestern Abend noch da. Sie können erst heute weggenommen sein. Nur meine Mutter kann sie aufgespürt haben. Wenn mein Vater sie sieht, so ist es um mein Leben gethan! O, und was würde es helfen, daß er sie nicht sieht, wenn ich verzichten muß, ....? Ach! Mein Gott! Mutter läßt mich rufen. Wohin fliehe ich? Wie soll ich ihren Blick aushalten? Warum kann ich mich nicht im Grunde der Erde verbergen! .... Ich zittere am ganzen Leibe, ich bin außer Stande, einen Schritt zu thun .... Die Schande, die Demüthigung, die siedend heißen Vorwürfe .... ich habe Alles verdient, ich werde Alles hinnehmen. Aber der Schmerz, die Thränen einer jammernden Mutter .... O mein Herz, wie reißt es! …. Sie erwartet mich, ich kann nicht länger zögern .... Sie wird wissen wollen .... ich könnte ja .... Wie? Lügen? .... Meine Mutter belügen? Ach! wenn wir uns nur durch Lügen retten können, dann gute Nacht, wir sind verloren!

      Dritte Abtheilung.

       Inhaltsverzeichnis

      Erster Brief.

       Von Frau von Orbe.

       Inhaltsverzeichnis

      Wie viel Leiden schaffen Sie Denen, die Sie lieben! wie viel Thränen sind Ihretwegen schon geflossen in einer unglücklichen Familie, deren Ruhe Sie allein trüben! Sorgen Sie, daß zu unseren Thränen sich nicht die Trauer geselle; sorgen Sie, daß nicht der Tod einer bekümmerten Mutter die letzte Wirkung des Giftes sei, das Sie in das Herz ihrer Tochter geflößt haben, und daß eine ungeregelte Liebe nicht zuletzt noch für Sie selbst eine Quelle ewiger Gewissensqualen werde! Die Freundschaft bewog mich, Ihre Verirrungen zu dulden, solange noch ein Schatten von Hoffnung ihnen Nahrung geben konnte, aber wie könnte ich nun einer fruchtlosen Beständigkeit stillschweigend zusehen, die Ehre und Vernunft verdammen, und die, da sie nur noch Unglück und Jammer verursachen kann, nur noch den Namen des Eigensinns verdient?

      Sie wissen, wie das Geheimniß Ihrer Liebe, das sich dem Argwohne meiner Tante so lange entzogen hatte, ihr durch Ihre Briefe enthüllt worden ist. Wie empfindlich nun auch ein solcher Schlag dieser zärtlichen und tugendhaften Mutter ist, schiebt sie doch, weniger gegen Sie als gegen sich selbst aufgebracht, alle Schuld auf die eigene blinde Nachlässigkeit; sie bejammert ihre unselige Verblendung; ihre grausamste Pein ist, daß es möglich war, in ihre Tochter ein zu großes Vertrauen zu setzen, und für Julie ist der Schmerz der Mutter tausendmal härtere Strafe, als es alle Vorwürfe derselben sein könnten.

      Die Erschöpfung der armen Cousine geht über alle Vorstellung; man muß sie sehen, um es glaublich zu finden. Ihr Herz scheint erstickt von Betrübniß, und das Uebermaß der Gefühle, die sie beängstigen, giebt ihr ein Ansehen von Stumpfheit, das abschreckender ist als durchbohrendes Geschrei. Sie liegt Tag und Nacht auf den Knieen am Kopfkissen ihrer Mutter, mit traurigem Gesicht, die Augen zu Boden geschlagen, lautlos, bedient sie mit mehr Aufmerksamkeit und Emsigkeit als je, sinkt dann augenblicklich wieder in einen Zustand von Schlaffheit zurück, daß man eine andere Person zu sehen glaubt. Es ist ganz klar, daß die Krankheit der Mutter der Tochter Kräfte giebt, und wenn sie nicht der Eifer, jene zu bedienen, aufrecht hielte, würde ich nach ihren erloschenen Augen, ihrer Blässe und ihrer außerordentlichen Abspannung fürchten, daß sie aller Hülfe, die sie leistet, gar sehr für sich selbst bedürftig sei. Meine Tante bemerkt es auch, und ich sehe an der Unruhe, mit welcher sie mir im Stillen die Gesundheit ihrer Tochter anempfiehlt, wie in beiden das Herz gegen den Zwang kämpft, den sie sich anthun und wie sehr man Sie hassen muß, daß Sie ein so schönes Liebesverhältnis gestört haben.

      Dieser Zwang wird dadurch noch größer, daß man sich bemüht, ihn vor dem hitzigen Vater zu verbergen, dem die Mutter, für das Leben ihrer Tochter zitternd, das gefährliche Geheimniß nicht entdecken will. Man macht es sich zur Pflicht, sich in seiner Gegenwart traulich wie sonst zu benehmen; aber wenn die mütterliche Zärtlichkeit mit Freuden diesen Vorwand ergreift, wagt doch die Tochter, verwirrt, beschämt, ihr Herz Liebkosungen nicht hinzugeben, die sie für verstellt hält und die um so schmerzlicher für sie sind, als sie ihr süß wären, wenn sie ihnen zu trauen wagte. Wenn ihr Vater sie küßt, so sieht sie die Mutter mit so zärtlichen und demüthigen Blicken an, daß man fühlt, wie ihr Herz durch ihre Augen sagt: ach, warum verdiene ich nicht mehr von dir dasselbe!

      Frau v. Étange hat mich mehrmals allein zu sich gerufen, und ich habe an der Milde ihrer Vorwürfe und an dem Tone, in welchem sie von Ihnen spricht, leicht erkannt, daß Julie sich große Mühe gegeben hat, die nur zu gerechte Entrüstung der Mutter gegen uns zu mildern und daß sie Alles gethan hat, was in ihren Kräften stand, um uns auf Kosten ihrer selbst zu rechtfertigen. Auch Ihre Briefe tragen in dem Ausdrucke einer übermäßigen Liebe eine Art Entschuldigung in sich, die meiner Tante nicht entgangen ist; sie macht weniger Ihnen den Mißbrauch ihres Vertrauens zum Vorwurfe, als sich selbst die Einfalt, daß sie es Ihnen geschenkt hat. Sie schätzt Sie genug, um anzunenmen, daß kein anderer Mann an Ihrer Stelle besser widerstanden haben würde; sie schreibt Ihre Fehltritte selbst auf Rechnung Ihrer Tugendhaftigkeit. Sie sehe jetzt ein, sagt sie, was es mit der allzu leicht gepriesenen Rechtschaffenheit der Gesinnung auf sich habe, die doch einen braven Mann, der verliebt ist, nicht abhält, wenn er kann, ein sittsames Mädchen zu verführen und unbedenklich eine ganze Familie zu entehren, um die Wuth eines Augenblick? zu befriedigen. Aber was nützt