tage, sie ist ihnen behülflich bei den Mühwaltungen, die das Haus erfordert; sie erwirkt vielleicht Einem von der Dienerschaft, der unbesonnen war, Verzeihung, sie ertheilt vielleicht Ermahnungen im Stillen; sie erbittet vielleicht eine Gunst für irgend einen anderen. Zu einer andern Zeit beschäftigt sie sich ungelangweilt mit den Arbeiten ihres Geschlechtes; sie schmückt ihre Seele mit nützlichen Kenntnissen; sie fügt ihrem angeborenen Schönheitssinn die Ausbildung in den schönen Künsten und die im Tanze ihrer natürlichen Grazie hinzu. Bald sehe ich einen geschmackvollen und einfachen Putz Reize zieren, die dessen nicht bedürfen. Hier sehe ich sie einen ehrwürdigen alten Hirten über den nicht bekannten Kummer einer dürftigen Familie befragen; dort der betrübten Witwe oder der verlassenen Waise Trost oder Hülfe bringen. Bald entzückt sie eine achtbare Gesellschaft durch ihre sinnigen und sittsamen Reden; bald ruft sie, im Schäfern mit den Freundinnen, eine junge Ausgelassene zu dem Tone der Artigkeit und Schicklichkeit zurück. Einige Augenblicke, ach, verzeihe, wage ich selbst mit mir dich beschäftigt zu sehen: ich sehe deine Augen mit Rührung einem meiner Briefe durchlaufen: ich lese in ihrem sanften Schmachten, daß die Zeilen, welche du schreibst, an den beglückten Geliebten gerichtet sind; ich sehe, daß er es ist, von dem du so zärtlich bewegt mit deiner Cousine sprichst. O Julie, meine Julie! Und wir sollten nicht vereinigt sein? Unsere Tage sollten uns nicht mit einander verfließen? Und wir könnten auf ewig getrennt werden? Nein! O, möge sich nie dieser schreckliche Gedanke meinem Geiste darbieten! In einem Augenblick verwandelt er alle meine Wehmuth in Wuth; der Grimm jagd mich von Höhle zu Höhle; unwillkührlich stoße ich Gestöhn' aus und schreie laut; ich brülle wie eine gereizte Löwin; ich bin zu Allen fähig, nur nicht dich aufzugeben; und es giebt nichts, nein, nichts, was ich nicht thäte, um dich zu besitzen oder zu sterben.
Hier war ich mit meinem Briefe und erwartete nur eine sichere Gelegenheit, um ihn Ihnen zu schicken, als ich von Sion den letzten erhielt, den Sie mir von dort geschrieben haben. Wie hat der Trübsinn, den er athmet, dem meinigen wohlgethan! Wie fand ich darin ein schlagendes Beispiel dessen, was Sie mir sagten von der Uebereinstimmung unserer Seelen in der Ferne! In Ihrer Betrübniß, ich gestehe es, ist mehr Geduld; die meinige ist heftiger; aber es muß ja auch das nämliche Gefühl seine Färbung von den Charakteren annehmen, in denen es wirkt, denn es ist so natürlich, daß der größte Verlust die größten Schmerzen verursacht. Was sage ich, Verlust? Ha! wer könnte ihn ertragen! Nein, erkennen Sie es endlich, o meine Julie! ein ewiger Beschluß des Himmels hat uns für einander bestimmt; dies ist das vornehmste Gesetz, dem man gehorchen muß; dies die vornehmste Sorge des Lebens, sich demjenigen Wesen zu verbinden, welches es uns versüßen soll. Ich sehe wohl, ich sehe es mit Seufzen, du verwirrt dich in deinen eitlen Plänen, du willst Schranken überspringen, die unübersteiglich sind, und vernachlässigst die einzigen möglichen Mittel; die Begeisterung für das, was ziemlich ist, raubt dir die Besinnung und deine Tugend ist nur noch ein Wahnsinn.
Ach, wenn du immer jung und schön bleiben könntest wie jetzt, so würde ich um nichts den Himmel bitten, als dich ewig glücklich zu wissen, dich nur einmal jedes Jahr in meinem Leben zu sehen, ein einziges Mal und meine übrigen Tage damit hinzubringen, von ferne deinen Wohnsitz zu betrachten, unter diesen Felsen dich anzubeten. Aber, ach! siehe den schnellen Lauf dieses Gestirns, das nimmer still steht; es fliegt dahin und die Zeit entflieht, die Gelegenheit entrinnt: deine Schönheit, deine Schönheit selbst wird ihrvZiel haben; sie muß abnehmen und einst welken wie eine Blume, welche dahin sinkt, ohne gebrochen zu sein; und ich indessen seufze, leide, meine Jugend verzehrt sich in Thränen und verblüht im Schmerz. Bedenke, Julie, bedenke, daß wir schon nach Jahren die für den Genuß verlorene Zeit zählen können. Bedenke, daß sie nicht wiederkehren werden; daß es mit denen ebenso sein wird, die uns noch übrig sind, wenn wir sie wieder entschlüpfen lassen. O blinde Geliebte! Du suchst ein erträumtes Glück für eine Zeit, wo wir nicht mehr sein werden; du hast eine entfernte Zukunft im Auge und siehst nicht, daß wir uns unaufhörlich verzehren, und daß unsere Seelen, erschöpft von Liebe und Schmerz, zerfließen und verrinnen wie Wasserbäche. [Sicut aqua effusus sum. (Ich bin ausgeschüttet wie Wasser.) Psalm XXII, 15 – Omnes morimur et quasi dilabimur in terram. (Wir sterben des Todes, und wie das Wasser in die Erde verschliefet, das man nicht aufhältII. Reg. (Samuel) 14, V. 14.] Kehre um, noch ist es Zeit, kehre um, meine Julie, von diesem verderblichen Irrthum. Laß deine Pläne fahren und sei glücklich! Komm, meine Seele du, komm, in den Armen deines Freundes die beiden Hälften unseres Wesens zu vereinigen: komm, um im Angesichte des Himmels, der unsere Flucht leite und Zeuge unserer Schwüre sei, einander Treue in Leben und Tod zu schwören. Du, o, ich weiß es wohl, du hast nicht nöthig, daß man dich über die Furcht vor Dürftigkeit erst noch beruhige. Laß uns glücklich und arm sein, ach! welchen Schatz werden wir gewonnen haben! Aber laß uns nicht der Menschheit diesen Schimpf anthun, zu glauben, daß die ganze Erde keinen Zufluchtsort für zwei unglücklich Liebende haben werde. Ich habe Arme, ich bin rüstig; das mit unserer Arbeit erworbene Brot wird dir köstlicher dünken als die Leckerbissen der Schmäuse. Kann eine Mahlzeit, welche die Liebe würzt, je unschmackhaft sein? O, meine zärtliche, theure Geliebte! sollten wir auch nur einen einzigen Tag glücklich sein, willst du denn dieses kurze Leben verlassen, ohne das Glück geschmeckt zu haben?
Ich habe Ihnen nur noch Ein Wort zu sagen, Julie! Sie kennen den alten Dienst des Felsens der Leucate, der letzten Zuflucht so vieler unglücklich Liebenden. Dieser Ort hier gleicht ihm in vieler Hinsicht: der Felsen ist steil, das Wasser ist tief und ich bin in Verzweiflung.
Siebenundzwanzigster Brief.
Von Clara.
Mein Schmerz läßt mir kaum Kraft genug, Ihnen zu schreiben. Ihr Unglück und das meinige ist auf dem Gipfel. Die liebenswürdigs Julie ist in den letzten Zügen und hat vielleicht nur noch zwei Tage zu leben. Die Anstrengung, welche es sie kostete, Sie von sich zu entfernen, machte zuerst ihre Gesundheit wankend; die Unterredung mit ihrem Vater in Betreff Ihrer fügte neue Erschütterungen hinzu: anderer späterer Kummer hat ihre Aufregung gesteigert und Ihr letzter Brief hat das Uebrige gethan. Er hat sie so ergriffen, daß sie nach einer in fürchterlichem Kampfe hingebrachten Nacht gestern in ein hitziges Fieber verfiel, welches beständig im Wachsen blieb und sie endlich zum Phantasiren gebracht hat. In diesem Zustande nennt sie Sie jeden Augenblick und spricht von Ihnen mit einer Heftigkeit, welche zeigt, wie sehr sie mit Ihnen beschäftigt ist. Man hält ihren Vater so viel möglich fern; dieses beweist hinlänglich, daß meine Tante Verdacht geschöpft hat: sie hat mich sogar mit Unruhe gefragt, ob Sie noch nicht zurück wären, und ich sehe, daß da die Gefahr ihrer Tochter für den Augenblick jedes andere Bedenken ausschließt, sie Sie nicht ungern hier sehen würde.
Kommen Sie also ohne Verzug. Ich habe dieses Boot expreß gemiethet, um Ihnen diesen Brief zu bringen; es ist zu Ihrem Befehl, bedienen Sie sich desselben, um herüber zu kommen, und vor allen Dingen, verlieren Sie keinen Augenblick, wenn Sie die zärtlichste Geliebte, die je gelebt hat, noch sehen wollen.
Achtundzwanzigster Brief.
Julie an Clara.
Wie verbittert mir deine Abwesenheit das Leben, das du mir wieder geschenkt hast! Welche Genesung! Eine Leidenschaft, fürchterlicher als das Fieber und die Irre reißt mich ins Verderben hin. Grausame! Du verlässest mich, da ich deiner am meisten bedarf; auf acht Tage hast du mich verlassen, du wirst mich vielleicht nie wiedersehen. O, wenn du wüßtest, was mir der Unsinnige anzutragen wagt! .... Und mit welchem Tone! Fliehen! Ihm folgen! Eine Entführung! .... Der Unselige! .... Ueber wen beklage ich mich? Mein Herz,