Es gesellte sich während des ersten Tages zu der Annehmlichkeit dieser Abwechslungen die Ruhe, welche ich in meiner Seele wieder entstehen fühlte. Ich staunte über die Macht, welche auf unsere heftigsten Leidenschaften die unempfindlichsten Wesenheiten üben, und verächtlich kam mir die Philosophie vor, daß sie nicht einmal soviel über die Seele vermag als eine Reihefolge lebloser Gegenstände. Da aber dieser friedvolle Zustand die Nacht überdauert hatte und am andern Tage noch zunahm, so konnte ich nicht umhin, zu schließen, daß er noch eine andere mir unbekannte Ursache haben müßte. Ich gelangte an diesem Tage zu Bergen von der geringsten Erhebung, und dann, nachdem ich ihre Wellungen zurückgelassen hatte, zu solchen, welche die größte Höhe hatten, die mir erreichbar war. Nachdem ich durch die Wolken geschritten war, erreichte ich eine klarere Region, von welcher aus man zur Zeit Donner und Ungewitter unter seinen Füßen sich bilden sieht; ein leider eitles Bild der Seele des Weisen, welches nie verwirklicht worden oder nur an den Stätten allein zu verwirklichen ist, von denen man es entlehnt hat.
Da entdeckte ich allmählig in der Reinheit der Luft, worin ich mich befand, die wahre Ursache des Wechsels, der in meiner Stimmung vorgegangen war, und der Rückkehr jenes Innern Friedens, den ich seit so langer Zeit verloren hatte. In der That ist dies ein allgemeiner Eindruck, welchen alle Menschen empfinden, obwohl sie nicht alle darauf achten, daß man auf hohen Bergen, wo die Luft rein und dünn ist, mit größerer Leichtigkeit athmet, mehr Federkraft im Körper, mehr Heiterkeit im Geiste spürt; das Lustgefühl ist dort weniger hitzig, die Leidenschaften sind gemäßigter. Die Gedanken nehmen etwas Großes, Erhabenes an, wie es den Gegenständen entspricht, die uns vor Augen liegen, eine gewisse selige Ruhe, worin nichts Brennendes und Sinnliches ist. Es scheint, als ob man, sich erhebend über die Wohnstätten der Sterblichen, alle niederen, irdischen Gefühle zurückließe, als ob die Seele, je mehr man sich der ätherischen Region nähert, etwas von deren unwandelbarer Reinheit annähme. Man fühlt sich ernst gestimmt ohne Wehmuth, friedvoll ohne Schlaffheit, froh des Daseins und des Denkens; jede zu lebhafte Begierde dämpft sich ab, verliert den scharfen Stachel, der sie schmerzhaft macht, und läßt im Herzen nichts als eine leichte sanfte Erregung; und so bewirkt ein glückliches Klima, daß zur Glückseligkeit des Menschen die Leidenschaften dienen, welche ihm anderwärts zur Marter werden. Ich glaube nicht, daß irgend eine heftige Gemüthsbewegung, irgendein krankhafter Zustand, der aus dem Magen stammt, gegen einen längern Aufenthalt in solchen Gegenden Stich halten könnte, und ich wundere mich, daß nicht Luftbäder in heilsamer, wohlthätiger Bergluft zu einem Hauptmittel gegen leibliche und geistige Leiden gemacht werden:
Qui non palazzi, non teatro o loggia; Ma 'n lor vice un abete, un faggio, un pino Trà l' erba verde e 'l bel monte vicino Levan di terra al ciel nostr' inteletto.
[Nicht sind's Theater, Hallen und Paläste, Nein, etwas Eichen, Buchen oder Fichten, Die zwischen Wiesengrün und Berggelände Den Geist vom Staub empor zum Himmel richten.
Petrarca.]
Nehmen Sie alle die Eindrücke zusammen, welche ich geschildert habe, und Sie werden sich einigermaßen eine Vorstellung machen von dem köstlichen Zustande, in welchem ich mich befand. Denken Sie sich diese tausend Wunder von Größe, Schönheit, mannigfaltiger Pracht; das Vergnügen, sich von lauter ganz neuen Gegenständen umringt zu sehen, von seltenen Vögeln, wunderlich geformten, unbekannten Pflanzen, gewissermaßen eine andere Natur zu schauen und sich in einer neuen Welt zu befinden. Das alles stellt ein unbeschreibliches Gemisch vor Augen, dessen Reiz noch erhöht wird durch die Reinheit der Luft, welche die Farben lebhafter macht, die Formen schärfer hervorhebt, alle Gesichtspunkte näher bringt, die Entfernungen scheinen geringer als auf der Ebene, wo die Dicke der Luft das Land mit einem Schleier bedeckt, der Horizont bietet den Augen mehr Gegenstände dar, als er fassen zu können scheint: kurz, das Schauspiel hat etwas Zauberisches, Uebernatürliches, was den Geist und die Sinne hinreißt; man vergißt Alles, man vergißt sich selbst, man weiß nicht mehr, wo man ist.
Ich würde die ganze Zeit meiner Reise blos in dem Entzücken über die herrliche Landschaft hingebracht haben, wenn mich nicht der Umgang mit den dortigen Bewohnern in ein noch süßeres Entzücken versetzt hätte. Sie werden in meinem Berichte eine leichte Skizze von ihren Sitten, von ihrer Einfalt, von der gleichmäßigen Stimmung ihrer Seelen und von der friedlichen Ruhe finden, worin sie glücklich sind, mehr weil frei von Schmerzen, als vieler Genüsse wegen. Aber was ich Ihnen nicht schildern konnte, und was man sich gar nicht vorstellen kann, ist ihre uneigennützige Menschenfreundlichkeit und der gastliche Eifer, mit dem sie jedem Fremden entgegenkommen, den Zufall oder Neugierde zu ihnen führt. Ich hatte davon die überraschendsten Beweise, ich, den Niemand kannte, und der ich mich nur mit Hülfe eines Führers zurecht finden konnte. Wenn ich Abends in ein Dörfchen kam, so boten mir Alle mit so großer Beflissenheit ihre Häuser an, daß ich in Verlegenheit war, welches ich wählen sollte; und der, welcher endlich den Vorzug erhielt, schien dadurch so erfreut, daß ich hinter dieser Dienstfertigkeit das erste Mal Habgier suchte. Aber wie erstaunt war ich, als mein Wirth, bei dem ich mich beinahe wie in einem Gasthof benommen hatte, am anderen Morgen keine Bezahlung annehmen wollte, und sogar böse wurde, daß ich sie ihm anbot; und ebenso fand ich es überall. Es war also der lautere gastliche Sinn, den man sonst gewöhnlich lau genug findet, welchen ich seiner Lebhaftigkeit wegen für Gewinnsucht gehalten hatte. Ihre Uneigennützigkeit war so vollkommen, daß ich auf der ganzen Reise keinen Patagon [Münze des Landes.] habe anbringen können. In der That, wie sollte man zu Ausgaben kommen in einem Lande, wo die Herren für ihre Unkosten keine Wiedererstattung annehmen und die Diener nichts für ihre Mühwaltung und wo man keinen Bettler antrifft? Indessen ist das Geld in Hoch-Wallis sehr selten; eben deswegen sind die Bewohner in einer behaglichen Lage; denn die Lebensmittel sind in Ueberfluß vorhanden, ohne Abzugskanäle nach außen, ohne Verbrauch von Luxusartikeln im Innern und ohne daß deshalb der gebirgische Landmann minder fleißig sei, denn an seiner Arbeit hat er sein Vergnügen. Werden sie jemals zu mehr Geld gelangen, so werden sie unfehlbar ärmer werden. Sie sind klug genug, es einzusehen, und die Goldminen, die es im Lande giebt, dürfen nicht ausgebeutet werden.
Ich war anfänglich sehr überrascht von dem Gegensatze, welchen diese Gewohnheiten mit denen im Nieder-Wallis bilden, wo, auf dem Wege nach Italien, der Reisende täglich geschröpft wird; und ich konnte mir nicht recht erklären, wie doch ein und dasselbe Volk zu so verschiedenartigen Sitten käme. Ein Walliser erklärte mir die Ursache. Unten im Thale, sagte er mir, sind die Fremden, welche durchreisen, Kaufleute und andere Solche, die nichts weiter im Auge haben als ihr Geschäft und ihren Gewinn. Es ist billig, daß sie uns einen Theil von ihrem Nutzen lassen, und wir behandeln sie, wie sie die Anderen behandeln. Aber hier, wohin keine Geschäfte die Fremden locken, können wir gewiß sein, daß nicht Eigennutz sie heraufführt; so nehmen wir sie auch uneigennützig auf. Es sind Gäste, die uns besuchen, weil sie uns gut sind, und wir begegnen ihnen mit Freundschaft.
Uebrigens, setzte er lächelnd hinzu, ist diese Gastfreundschaft nicht kostspielig; es fällt wenig Leuten ein, Gebrauch davon zu machen. Oh, ich glaube es, antwortete ich ihm. Was sollte man bei einem Volke, welches lebt, um zu leben, nicht um zu erwerben oder um zu glänzen? Ihr Glücklichen, und werth, es zu sein, ich glaube gern, daß man euch in irgend einer Sache gleichen muß, um in eure Mitte zu kommen.
Was mir an ihrer