Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe). Jean Jacques Rousseau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jean Jacques Rousseau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788075837929
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Tages aus freien Stücken ein Bekenntniß abzulegen, das ich jeden Augenblick auf dem Rande Ihrer Lippen sah. Ich habe mich in nichts getäuscht; Sie haben Alles gehalten, was ich mir von Ihnen versprochen hatte. Als ich mir eine Gattin wählen wollte, wünschte ich an ihr eine liebenswerthe, kluge, glückliche Gefährtin zu haben. Die beiden ersten Bedingungen sind erfüllt; mein Kind, ich hoffe, daß uns auch die dritte nicht fehlen wird. Bei diesen Worten konnte ich, trotz aller meiner Anstrengung, ihn durch nichts zu unterbrechen, als durch meine Thränen, mich nicht enthalten, ihm um den Hals zu fallen und auszurufen: Mein theurerMann! O bester und geliebtester der Menschen! Sagen Sie mir, was mir zu meinem Glücke fehlt, wenn nicht das Ihrige, und daß es besser verdient wäre .... — Sie sind so glücklich, als es möglich ist, sagte er, mich unterbrechend; Sie verdienen es zu sein, aber es ist Zeit, in Frieden ein Glück zu genießen, das Ihnen bisher so viel Sorge gekostet hat. Wenn mir Ihre Treue genügt hätte, so war Alles geschehen von dem Augenblicke an, da Sie sie mir versprochen. Ich habe aber gewollt, daß sie Ihnen leicht und angenehm würde, und daran haben wir beide in Gemeinschaft fort und fort gearbeitet, ohne gegen einander ein Wort darüber zu verlieren. Julie, es ist uns besser gelungen, als Sie vielleicht glauben. Das einzige Unrecht, das ich an Ihnen finde, ist, daß Sie das Vertrauen zu sich nicht wieder gewinnen konnten, das Sie sich schuldig sind, und daß Sie sich nicht nach Ihrem Werthe schätzen. Eine übertriebene Bescheidenheit hat so gut ihre Gefahren als der Eigendünkel. Wie eine Ueberschätzung unserer Kräfte uns zur Machtlosigkeit verdammt, so raubt uns das Mißtrauen in dieselben ihren Gebrauch. Die wahre Klugheit besteht darin, daß man seine Kräfte kenne und sich innerhalb ihrer Gränzen halte. Sie haben in Ihrem neuen Stande neue Kräfte gewonnen. Sie sind nicht mehr das unglückliche Mädchen, das seine Schwäche bejammerte, währendes sich ihr überließ; Sie sind die tugendhafteste der Frauen, die keine anderen Gesetze kennt, als die der Pflicht und Ehre, und der man keinen andern Fehler vorwerfen kann, als eine zu lebhafte Erinnerung an ihre Fehltritte. Stehen Sie also davon ab, gegen sich selbst Vorsichtsmaßregeln zu gebrauchen, die beleidigend für Sie sind, und lernen Sie auf sich selbst bauen, um immer sicherer auf sich bauen zu können. Verbannen Sie ein ungerechtes Mißtrauen, das nur dazu dienen kann, die Gefühle, denen es seinen Ursprung verdankt, bisweilen wieder zu erwecken. Wünschen Sie sich vielmehr Glück, daß Sie einen rechtschaffenen Mann zu wählen wußten, in einem Alter, wo es so leicht ist, sich in dieser Hinsicht zu täuschen, und daß Sie einen Liebhaber erkoren hatten, den Sie jetzt unter den Augen Ihres Gatten selbst zum Freunde haben können. Kaum war ich mit euerem Verhältnisse bekannt geworden, so gewann ich euch, Jeden um des Andern willen, lieb. Ich sah, welcher trügerische Enthusiasmus euch beide irre geführt hatte; er wirkt nur auf schöne Seelen; er führt sie manchmal allerdings in's Verderben, aber immer durch einen Zauber, der nur sie verführen kann. Ich schloß, daß derselbe Geschmack am Guten, welcher eure Verbindung gestiftet hatte, sie lockern würde, sobald sie strafbar geworden und daß das Laster sich in Herzen, wie die eurigen, hineinstehlen, nicht aber darin Wurzel schlagen könnte.

      Von Augenblick an erkannte ich, daß es ein Band zwischen euch gäbe, welches man nicht zerreißen müßte, daß euere gegenseitige Anhänglichkeit so viel Löbliches zu ihrem Grunde hätte, daß man sie eher regeln, als zu nichte machen müßte, und daß keiner von beiden den Andern vergessen könnte, ohne viel von seinem Werthe zu verlieren. Ich wußte, daß harter Kampf die heftigen Leidenschaften nur noch mehr stachelt, und daß gewaltsame Anstrengungen, wenn sie auch die Seele üben mögen, ihr doch Qualen kosten, deren anhaltende Dauer fähig ist, ihr Niederlagen zuzuziehen. Ich benutzte Juliens Milde, um ihre Strenge zu mäßigen. Ich nährte ihre Freundschaft für Sie, sagte er zu Saint-Preux; ich benahm derselben, was an ihr wieder zu viel werden konnte, und ich glaube, Ihnen von ihrem Herzen vielleicht mehr bewahrt zu haben, als Ihnen geblieben wäre, wenn ich sie sich selbst überlassen hätte.

      Mein Erfolg machte mir Muth, und ich wollte es versuchen, Sie zu heilen, wie es mir bei Julie gelungen war; denn ich schätzte Sie, und allen Vorurtheilen lasterhafter Seelen zum Trotz, habe ich stets erkannt, daß es nichts Gutes gebe, was man nicht von schönen Seelen durch Offenheit und Vertrauen erlangen könnte. Ich sah Sie, und Sie haben mich nicht betrogen, werden es auch ferner nicht, und obwohl Sie noch nicht das sind, was Sie werden müssen, finde ich Sie doch fortgeschrittener, als Sie glauben, und bin zufriedener mit Ihnen, als Sie mit sich selbst. Ich weiß wohl, daß mein Benehmen wunderlich aussieht und alle gemeinen Regeln über den Haufen wirft; aber die Regeln verlieren an Gemeingültigkeit, je mehr man in den Herzen liest, und Juliens Gatte muß nicht wie ein anderer Mann verfahren. Meine Kinder, sagte er zu uns, mit einem Tone, der um so ergreifender war, als er von einem ruhigen Manne kam, seid nur ihr selbst, und wir werden alle zufrieden sein. Die Gefahr liegt nur in der Meinung; habt keine Furcht vor euch, und ihr werdet nichts zu fürchten haben; denket nur an die Gegenwart und ich stehe euch für die Zukunft. Ich kann euch heute nicht mehr sagen, aber wenn meine Pläne zu Stande kommen und meine Hoffnung mich nicht trügt, so wird sich unser aller Schieksal besser erfüllen, und ihr werdet beide glücklicher sein, als wenn ihr einander angehört hättet.

      Er stand auf, und umarmte uns, er verlangte, daß auch wir uns umarmen sollten, an diesem Orte .... an diesem nämlichen Orte, wo einst .... Clara, o gute Clara, wie du mich immer geliebt hast! …. Ich machte keine Schwierigkeit; ach! wie unrecht hätte ich gehabt, es zu thun! Dieser Kuß hatte nichts von jenem, der mir das Bosket so furchtbar gemacht hatte; ich wünschte mir mit Betrübniß Glück dazu, und erkannte, daß mein Herz mehr verwandelt war, als ich bis dahin mir zu glauben getraut hatte.

      Als wir den Weg nach dem Hause wieder einschlugen, hielt mich mein Mann bei der Hand fest, und sagte, auf das Bosket deutend, aus dem wir eben getreten waren, mit Lächeln: Julie, fürchten Sie dieses Asyl nicht mehr, es ist nun profanirt. Du willst es mir nicht glauben, Cousine, aber ich schwöre dir, daß er eine übernatürliche Gabe besitzt, in der Tiefe der Herzen zu lesen; möge der Himmel sie ihm immer erhalten! Bei so viel Ursache mich zu verachten, ist es ohne Zweifel nur diese Kunst, der ich seine Nachsicht verdanke.

      Du siehst bis hierher noch keinen Rath zu geben; Geduld, mein Engel, wir sind schon zur Stelle; aber das Gespräch, das ich dir eben mitgetheilt habe, war nöthig um das Uebrige zu verstehen.

      Auf dem Rückwege sagte mir mein Mann, der in Étange schon lange erwartet wird, daß er dorthin zu gehen gedächte, dich im Vorbeigehen besuchen und fünf oder sechs Tage wegbleiben würde. Ohne Alles zu sagen, was mir eine so unzeitige Abreise zu denken gab, stellte ich ihm nur vor, daß sie nicht so unerläßlich wäre, um ihn zu nöthigen, einen Gast, den er selbst in's Haus gerufen, zu verlassen. Wollen Sie denn, antwortete er, daß ich ihm Honneurs mache, um ihn zu erinnern, daß er nicht bei sich, zu Hause ist? Ich bin für die Gastlichkeit der Walliser. Ich hoffe, er wird deren Treuherzigkeit auch hier finden, und uns ihre Freiheit gönnen. Da ich sah, daß er mir kein Gehör geben wollte, nahm ich eine andere Wendung und suchte unsern Gast zu veranlassen, daß er die Reise mit ihm machte. Sie werden einen Ort finden, sagte ich zu ihm, der seine Schönheiten hat, und sogar solche, wie Sie sie lieben. Sie werden meiner Väter und mein Erbgut besuchen; der Antheil, den Sie an mir nehmen, läßt mich nicht glauben, daß es Ihnen gleichgültig sein könnte, es zu sehen. Ich hatte schon den Mund offen, um hinzuzusetzen, daß dieses Schloß dem von Milord Eduard gleiche, welches .... aber glücklicher Weise hatte ich Zeit, mir auf die Zunge zu beißen. Er antwortete mir ganz einfach, ich hätte Recht, und er würde thun, was mir gefiele. Aber Herr von Wolmar, der mich aufs Aeußerste treiben zu wollen schien, versetzte, er sollte doch thun, was ihm selber gefiele. Was ziehen Sie vor, mitzukommen oder zu bleiben? Zu bleiben, antwortete er, ohne sich zu besinnen. Nun gut, so bleiben Sie, entgegnete mein Mann, indem er ihm die Hand drückte. Redlicher und wahrer Mensch, ich bin sehr zufrieden mit diesem Worte. Es ließ sich darüber vor dem Dritten, der uns hörte, nicht viel mit ihm wortwechseln. Ich schwieg. konnte aber meinen Verdruß nicht so verbergen, daß ihn mein Mann nicht bemerkt hätte. Wie! rief er mit unzufriedener Miene in einem Augenblicke, da Saint-Preux von uns entfernt war, hätte ich denn vergeblich Ihre Sache gegen Sie selbst geführt? Und will sich Frau von Wolmar mit einer Tugend begnügen, die es nöthig hat, sich ihre Gelegenheiten auszusuchen? Ich für meinen Theil bin schwieriger; ich will die Treue meiner Frau ihrem Herzen und nicht dem Zufalle verdanken, und es genügt mir nicht, daß sie mir treu bleibt, es kränkt mich, daß sie an sich zweifelt.

      Hierauf führte er uns in sein Cabinet, wo ich aus den Wolken zu fallen