»Aber er hat ihm doch eh alles genommen und nur ein paar Knochen zum Abnagen gelassen.«
»Ich bin es leid, statt seiner daran herumzunagen. Hast du wenigstens etwas Brauchbares gefunden?«
»Ich hätte da schon so eine Idee, aber Omar Sfa ziert sich noch.«
»Wer hat Hamerlaine überhaupt gesteckt, dass ich in Spanien war?«
»Kein Mensch wusste davon. Aber ein Anruf beim Flughafen genügt doch schon, um herauszubekommen, wer das Land an welchem Tag zu welcher Stunde verlassen hat, wie schwer sein Gepäck war und was sich laut Scan darin befunden hat ...«
Sido setzt sich auf einen Stuhl und legt die Füße hoch. Auf einen goldbronzenen Beistelltisch. Nach längerem Nachdenken bemerkt er schließlich:
»Weißt du, Eddie, die Leute fangen an, es seltsam zu finden, dass wir uns so auf Ex-Minister Amar Daho einschießen. Wir haben eine Menge anonymer Schmähbriefe bekommen, ganz zu schweigen von den ordinären Kommentaren im Internet.«
»Lass die Hunde nur bellen. Das ist doch ihre Lebensaufgabe, oder nicht?«
»Sie können aber auch beißen, vor allem, wenn sie tollwütig sind. Diese Geschichte wird uns nochmal im Halse stecken bleiben.«
Ed runzelt die Brauen und streicht sich mit dem Finger über den Nasenrücken.
»Ich bin es ja nicht, der so scharf auf Dahos Ohren und seinen Schwanz als Jagdtrophäe ist, sondern Hamerlaine. Und wer wagte es schon, einem Hamerlaine zu widersprechen? Er hat das Schicksal aller Dinge in diesem Land in der Hand ...«
»Gewiss, nur dass ...«
»Nur dass was, gottverdammt? Auf welchem Stern lebst du eigentlich? Wenn Hamerlaine was beschließt, kommt keiner dagegen an ... Hast du denn gar keine gute Nachricht für mich? Ich habe die ganze Nacht über kein Auge zugetan.«
»Doch, eine ganze Menge sogar ...«, antwortet Sido, auf Ausgleich bedacht. »Unser Umsatz übersteigt bei Weitem unsere kühnsten Prognosen.«
»Und der Vertrag mit Seynooks?«
»In zwei Wochen haben wir einen Termin mit den Unterhändlern.«
»Und wie lässt es sich an ...?«
»Wir drücken die Daumen, ohne die Hände in den Schoß zu legen.«
»Das ist keine Antwort.«
Sido steht auf, geht vor bis zum Panoramafenster, kehrt um und setzt sich mit halbem Hintern auf eine Ecke der Schreibtischplatte. Sinnierend blickt er seinen Chef an, während sich auf seiner Stirn eine senkrechte Falte bildet.
»Wir sind nicht die Einzigen, die an dem Projekt dran sind, Eddie. Und die Konkurrenz ist gefräßig. Wir haben alles Nötige in die Wege geleitet, aber wir wissen nicht, wie die anderen vorgehen.«
»Ich mag es nicht, wenn deine Stimme so zaghaft klingt wie eben jetzt, Sido. Ich will dieses Projekt.«
»Ich auch, Eddie, ich auch. Ich habe unsere feinsten Spürnasen an die Sache gesetzt. Wir haben die Konkurrenz so sehr geschmiert, dass sie ins Schleudern kam. Zwei Mitbewerber sind jetzt im Vorfeld ausgeschieden, doch die DzaïrRoom-Gruppe, die Gebrüder Soltani und Magic Store sind noch im Rennen – und sie weigern sich, aus dem Feld zu gehen.«
»Sie sind zäh, aber wir sind clever. Wir müssen den richtigen Dreh finden. Ich will unbedingt das Geschäft mit Seynooks machen. Das ist unser einziges Schlupfloch, um von hier wegzukommen, wenn die Lage sich verschlechtert. Die Situation im Land wird immer ungemütlicher, die Wut der Straße hallt in unseren Mauern wider. Ich wüsste nicht, wie ich einen Volksaufstand meistern sollte.«
Sido erhebt sich. Er wirkt weitaus weniger angespannt als sein Chef.
»Algerien hat seine Krise hinter sich, Eddie. Ich glaube kaum, dass das Land Lust auf eine zweite hat. Die Warnlichter stehen auf Rot, sicher, aber es wird nicht zum erneuten Crash kommen.«
»Das hoffe ich, Sido, ich hoffe es von ganzem Herzen.«
»Weil du am Ende gar ein Herz hast, Chef? Du hast mir doch beigebracht, dass dieses Organ Quell aller Enttäuschungen ist. Und dass die beste Art, ein erfülltes Leben zu leben, darin besteht, es auf Eis zu legen.«
»Falsch ist das nicht ... Jetzt zieh Leine ... Ich muss noch jemanden anrufen.«
»Bin schon weg ... Ach, fast hätte ich es vergessen. Da sind noch zwei Intellektuelle, die schon ewig im Empfangssaal auf dich warten.«
»Am frühen Morgen ein schlechtes Zeichen. Wenn zwei algerische Intellektuelle sich vertragen ...«
»... dann geht das immer auf Kosten eines Dritten«, fährt Sido fort, während er die Tür hinter sich schließt.
10.
Im Empfangsraum warten zwei junge Männer in granatroten Ledersesseln ungeduldig darauf, Ed ihre Aufwartung zu machen. Der eine ist J’ha, Gründer eines angesagten Verlags, der andere ein franko-algerischer Autor, welcher eigens aus Paris angereist ist, um sein neuestes Buch zu promoten. Das lange Warten am hinteren Ende des Korridors hat ein wenig ihre Züge verzerrt, die ein breites Lächeln buchstäblich in letzter Sekunde vor der Entgleisung rettet, als Ed Dayem sich endlich zu ihnen gesellt.
Eilig fordert er sie auf, doch wieder Platz zu nehmen: »Tut mir sehr leid, dass ihr so lange warten musstet. Ich komme gerade von einer Rundreise durch Europa zurück, und auf meinem Schreibtisch stapeln sich die Akten, eine dringender als die andere.«
»Allein meine Schuld«, erwidert der Verleger entgegenkommend. »Ich bin schließlich ohne Voranmeldung gekommen.«
»Du bist doch hier zu Hause, J’ha. Du brauchst dich nicht anzumelden ...« Ed blickt angelegentlich auf seine Armbanduhr. »Also, was kann ich für dich tun?«
»Ich habe diesen jungen Autor hier in Lizenz herausgebracht. Er ist wahnsinnig talentiert. Ich fände es gut, wenn du uns helfen könntest, ihn hierzulande bekannt zu machen.«
»Hat dein Wunderkind auch einen Namen?«
»Verzeih, ich hab die elementaren Höflichkeitsregeln außer Acht gelassen. Lieber Eddie, darf ich dir Baasous Llaz vorstellen, einen Autor, der ...«
»Sieh an ...!«, unterbricht ihn Ed, »der gnadenlose Kritiker unseres berühmtesten Schriftstellers.«
Die Stirn des jungen Romanciers glättet sich. Er ist geschmeichelt, dass einer der größten Pressemagnaten Algeriens ihn kennt.
»Ich habe seine Copy-and-Paste-Artikel gelesen. Welch ein Furor! Welch ein Irrsinn! Es hat mich umgehauen. Hätte er mir seine Dienste angeboten, ich hätte ihn vom Fleck weg engagiert. Einen Blog auf so renommierten Online-Seiten wie der des Nouvel Observateur oder Mediapart zu eröffnen, dort die schamlosesten Unterstellungen zu verbreiten und dann so zu tun, als wären es besagte Online-Seiten, die unseren berühmten Schriftsteller derart verunglimpfen, ehrlich, auf so was muss einer erst mal kommen.«
Der junge Autor, der nicht versteht, worauf Ed hinauswill, weiß nicht mehr, ob er weiterhin lächeln oder sei Lächeln lieber ablegen soll.
Der Magnat zieht ein kleines Notizbuch aus der Innenseite seiner Jackentasche, blättert kurz, hält inne und beginnt, mit tönender Stimme vorzulesen:
»Laut Malek Bennabi gibt es den Kolonisierten und den Kolonisierbaren. Die Kolonisierten streben danach, sich dem Joch, das sie knechtet, zu entziehen; die Kolonisierbaren brauchen auch, wenn sie frei sind, beständig einen Herrn. Manche versuchen, sich in Paris anzubiedern und lassen, wenn sie keine Interessenten finden, ihre Wut an den Erfolgreichen aus. Andere verschreiben sich ungeniert jenen Lobbies, die allem Schönen und Großen in unserem Land den Kampf ansagen, und lassen nichts unversucht, das Bild jener Gerechten zu entstellen, die es in Algerien noch gibt, um sich selber umso wirkungsvoller in Szene zu setzen. Man applaudiert ihnen, lobt sie und behängt sie mit Orden, dann drängt man sie, in devoter Dankbarkeitgenau das zu verkünden, was Musik in den Ohren ihrer