Christentum und Europa. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783374058549
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Deutschland, dann nimmt man 30% Katholiken, 30% Protestanten, 30% Konfessionslose und 10% sonstige Konfessionen an, wie es der Randverteilung entspricht (random migrant assumption).

      Schließlich muss man noch die Säkularisierungstendenz nach Alter, Geschlecht und Religionsgemeinschaft anhand der offiziellen Zahlen über Kircheneintritte und Kirchenaustritte schätzen. Weil es so etwas wie Kircheneintritte oder Kirchenaustritte bei Muslimen nicht gibt und daher auch nicht gezählt werden kann, haben die Autorinnen die Ergebnisse einer in diese Richtung zielenden Frage des »Gender and Generation Surveys« verwendet.

      Goujon, Jurasszovich und Potančoková haben mehrere Szenarien gerechnet, wobei eines davon ausgeht, dass die internationale Migration bis 2021 zum Stillstand kommt – das ist unrealistisch, aber man benötigt immer ein Referenzszenario. Veränderungen der religiösen Struktur werden in so einem Fall nur mehr aufgrund der Mortalität, Fertilität und der religiösen Mobilität – sprich Ein- und Austritte – hervorgerufen. Was ist das Ergebnis? Die Gruppe der Konfessionslosen wächst am schnellsten und stellt 2046 fast ein Drittel der Bevölkerung dar, die Katholiken erleben den stärksten Rückgang auf knapp die Hälfte der Bevölkerung. Der Anteil der Muslime steigt aufgrund ihrer hohen Fertilität auf rund 12%, der Anteil der Protestanten sinkt auf rund 4%.

      Die Studienautoren haben dazu unter anderem ein Kontrastszenario berechnet. Sie gehen von der hohen Zuwanderung des Jahres 2015 aus – +100.000 Zuwanderungssaldo pro Jahr –, lassen diesen Saldo aber auf +50.000 langfristig sinken. Neben den traditionellen Herkunftsgebieten kommt die zusätzliche Zuwanderung – so die Annahme – aus dem Nahen Osten, Nordafrika (MENA) sowie den afrikanischen Subsahara-Ländern. Die Zusammensetzung der Zuwanderung verschiebt sich damit in Richtung Muslime. Es überrascht daher auch nicht, dass der Anteil der Katholiken sinkt und zwar bis 2046 auf 42% und der Anteil der Muslime auf 21% steigt. Konfessionslose werden ebenso 21% ausmachen und Protestanten stagnieren bei rund 5%. In Wien steigt der Anteil der Muslime sogar auf 30% und wäre damit die Religionsgemeinschaft Nummer 1 vor den Konfessionslosen (24%) und den Katholiken (22 %).

      So ein Szenario ist nicht sehr realistisch, denn die Politik hat erfolgreich das offene Tor aus Richtung Nordafrika und Naher Osten geschlossen. Das empfinden manche Kirchenvertreter und manche NGOs als nicht fair und nicht menschenrechtskonform, aus einer demographischen Perspektive ist das aber verständlich: Ein durch Zuwanderung induziertes Bevölkerungswachstum wie jenes von 2015, welches gleichzeitig eine nur mäßig qualifizierte Zuwanderung war, würde die Republik über einen längeren Zeitraum in einen erheblichen Wachstumsstress bringen, der im Bereich Schule, Wohnen, Arbeitsmarkt und Sozialleistungen besondere Anstrengungen und finanzielle Ausgaben notwendig machen würde. Auch muss man darauf aufmerksam machen, dass die Ergebnisse eine begriffliche Einheitlichkeit über die Religionsgemeinschaften suggerieren, die es so gar nicht gibt. Gerade bei den Muslimen ist die Spannweite zwischen traditionellen Wahhabiten auf der einen Seite und den liberal und säkular eingestellten Muslimen auf der anderen Seite sehr groß. Die Szenarien können dies aber nicht abbilden, weil darüber auch keine verlässlichen Daten vorliegen.

      Unabhängig davon sind die Tendenzen klar und eindeutig: Es kommt mit Sicherheit zu einem Rückgang der christlichen Glaubensgemeinschaften, zu einer Zunahme der Muslime und insgesamt auch zu einer Zunahme der religiösen Pluralität. Das gilt nicht nur für Österreich, sondern gleichermaßen auch für Deutschland, die Schweiz, Frankreich und viele andere Staaten Europas.

       3. Wachsende religiöse Pluralität – konkrete Konflikte

      Die wachsende religiöse Pluralität ist ein Faktum. Unabhängig davon kann aber auch nach einer gesellschaftspolitischen Bewertung gefragt werden: Ist Pluralität ausschließlich Bereicherung oder ist Pluralität auch konfliktbeladen? Und wie sollen die öffentliche Hand und die Politik mit der wachsenden Pluralität umgehen?

      Die erste und allgemeine Antwort lautet: Pluralität ist Bereicherung und kein Problem, wenn der Staat sich weiterhin religionsneutral verhält, wenn die Trennung von Staat und Kirche konsequent betrieben wird, und wenn sich die Religionsgemeinschaften bei den normativen Vorgaben zur Gestaltung des täglichen Lebens ihrer Gläubigen zurückhalten, insbesondere dann, wenn es zum Konflikt mit rechtlichen Grundsätzen kommen könnte. Oder umgekehrt formuliert: Wenn der Staat einzelne Religionen bevorzugt, die Trennung von Staat und Kirche unscharf werden lässt, und die Religionsgemeinschaften den einzelnen Gläubigen durch religiöse Vorgaben in Konfliktsituationen treiben, dann haben alle Beteiligte ein Problem. Religionsgemeinschaften würden nämlich dann zum Konfliktverursacher werden, weil sie kulturelle, moralische und vielleicht sogar rechtliche Normaussagen tätigen, die im Widerspruch zu Normaussagen des Staates oder der Mehrheitsgesellschaft stehen können. Dann entstehen Brüche und Konflikte, und religiös motivierte Konflikte zeichnen sich immer durch ein Übermaß an Irrationalität aus, wie die Geschichte und die Gegenwart zeigen.

      Um diese allgemeine Antwort zu präzisieren, werden konkrete Beispiele nachgereicht, die der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration in seinem Jahresgutachten von 2016 aufgearbeitet hat.

       3.1 Glaubensloyalität versus Recht auf Wiederverheiratung

      Ein Beispiel betrifft den berühmten Fall eines Chefarztes eines katholischen Krankenhauses, der im Jahr 2000 dort seine Stelle angetreten hat. Die Grundordnung des Dienstvertrages schrieb ihm die Anerkennung und Beachtung der Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre vor. Eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen kann – so der Arbeitsvertrag – nur bei schwerwiegenden Loyalitätsverstößen gerechtfertigt sein. Ein solcher lag aus Sicht der Krankenhausleitung vor, als der Chefarzt nach erfolgter Scheidung seine neue Lebensgefährtin heiratete. Die Krankenhausleitung kündigte den Arbeitsvertrag. Dagegen klagte der Chefarzt und bekam vom Arbeitsgericht als auch vom Landgericht Düsseldorf Recht, das Bundesverfassungsgericht hob diese Entscheidungen 2014 jedoch wieder auf, mit der Begründung, die Vorinstanzen hätten sich nicht so detailliert mit dem kirchlichen Arbeitsverhältnis auseinandersetzen dürfen. Die Sache wurde vom Bundesverfassungsgericht an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen, welches nun eine Überprüfung des Falles durch den EuGH fordert.

      Die Kündigung und die schwierige Urteilsfindung sind für einen Nichtjuristen schwer nachvollziehbar. Es ist einzusehen, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eines katholischen Krankenhauses keine offene oder verdeckte Agitation gegen die katholische Kirche unternehmen dürfen – weder in der Dienstzeit noch in der Freizeit. Man würde es auch als eine Verletzung der Loyalität gegenüber dem kirchlichen Arbeitgeber empfinden, wenn der Chefarzt am Wochenende von Haus zu Haus geht und für die Zeugen Jehovas Werbung betreibt. Aber die eheliche Legitimierung einer Partnerschaft als Grund für die Kündigung zu sehen, nur weil es die zweite Ehe ist und er damit gegen die dogmatische Norm der Unauflöslichkeit der Ehe verstoßen hat, geht als Begründung wohl zu weit, weil es mit der eigentlichen Aufgabe eines Chefarztes in keinerlei Beziehung steht. Das weltliche Recht auf Wiederverheiratung gerät mit dem kirchlichen Arbeitsrecht in Konflikt, in so einem Fall könnte man für Mäßigung plädieren.

       3.2 Kindeswohl versus elterliches Recht auf religiöse Prägung

      Eine andere Sache, die in den vergangenen Jahren viel Staub aufgewirbelt hat, ist die Frage, wie weit das Recht auf religiöse Prägung von Kindern gehen darf. 2011 sind bei einem beschnittenen Jungen zwei Tage nach dem Eingriff Nachblutungen aufgetreten, die in der Kindernotaufnahme eines Krankenhauses behandelt werden mussten; dadurch wurde die Staatsanwaltschaft auf den Fall aufmerksam. Das damit befasste Amtsgericht sprach den Arzt, der die Beschneidung durchgeführt hat, zunächst frei. Die Staatsanwaltschaft legte gegen dieses Urteil Berufung ein und bekam vom Landgericht in Köln Recht. Das Gericht beurteilte das Verhalten des Arztes als rechtswidrig, ohne ihn aber zu bestrafen. Es lag ein sogenannter Verbotsirrtum vor. Der Fall reflektiert eine klassische Normkollision: das Recht auf körperliche Unversehrtheit und ebenso die negative Religionsfreiheit des Kindes auf der einen Seite und das Recht auf religiöse Erziehung des Kindes durch die Eltern auf der anderen Seite.

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