Christentum und Europa. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783374058549
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3. Das Lutherdenkmal zu Worms.

      Das schwierige Thema der Beziehung Luthers zu den Juden ist jedoch nicht der Grund, weshalb ich Luther an dieser Stelle erwähne. Da ich meinen Vortrag im Lutherjahr gehalten habe, in dem eine revidierte Fassung der Lutherbibel erschienen ist, ist mein Anliegen, anhand von ein paar Bibelstellen eine dunkle Seite der europäischen Bibelauslegung zu beleuchten, nämlich wie Bibelübersetzungen zum Ausdruck der europäischen Überheblichkeit wurden. Obwohl die Bibel kein europäisches Buch ist, wurde sie doch im Guten wie im Bösen zum Ausdruck des europäischen Geistes gemacht.

      Zu Anfang meiner Ausführungen habe ich kurz auf Mozarts Zauberflöte angespielt, als ich »diese heil’gen Hallen« erwähnt habe. Diese bekannte Arie wird von dem Priester Sarastro gesungen, der in dieser Oper das Gute verkörpert. Bösewichte gibt es in dieser Oper genügend. Doch einer setzt sich von den anderen durch seine Hautfarbe ab. Der schwarze Sklave Monostatos singt über sich selbst: »und ich muss die Liebe meiden, weil ein Schwarzer hässlich ist«. Dies ist für einen Opernliebhaber wie mich eine der peinlichsten Stellen der Opernliteratur, denn sie bringt einen tiefverwurzelten Rassismus zum Ausdruck, der die schwarze Hautfarbe mit dem Bösen und dem Hässlichen assoziiert, auch wenn der Vogelfänger Papageno sogleich danach bemerkt: »Es gibt ja schwarze Vögel in der Welt, warum denn nicht auch schwarze Menschen?«

      Obwohl die schwarze Sklaverei in Mozarts Europa nicht mehr betrieben wurde, gibt es eine Anzahl an Gemälden aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die biblische Szenen mit schwarzen Sklaven bevölkern, da man sich keine anders aussehenden Sklaven oder Diener mehr vorstellen konnte.

      Diese beschämende Verbindung der schwarzen Hautfarbe mit dem Bösen oder dem Hässlichen spiegelt sich auch in Auslegungen und Übersetzungen der Heiligen Schrift wider. Versetzen wir uns kurz in den amerikanischen Süden in den Jahrzehnten vor dem Bürgerkrieg von 1861–1865. Das mag in diesem Zusammenhang erlaubt sein, weil die amerikanische Gesellschaft aus der europäischen hervorgegangen ist. Die Wirtschaft der Südstaaten basierte hauptsächlich auf der Produktion von Baumwolle, für die die Ausbeutung von afrikanischen Sklaven unentbehrlich schien. Das schlechte Gewissen, das man vielleicht hegte, konnte man mit Hilfe der Bibel überspielen.

      Denn in der Sintflut-Erzählung der Genesis fand man eine Rechtfertigung für die Unterdrückung und Versklavung seiner Mitmenschen. Nach dem Ende der Sintflut soll Noah einen Weinberg gepflanzt haben, wovon er trunken wurde und sich entblößte:

      22»Als nun Ham, Kanaans Vater, seines Vaters Blöße sah, sagte er’s seinen beiden Brüdern draußen. 23Da nahmen Sem und Jafet ein Kleid und legten es auf ihrer beider Schultern und gingen rückwärts hinzu und deckten ihres Vaters Blöße zu; und ihr Angesicht war abgewandt, damit sie ihres Vaters Blöße nicht sähen.

      24Als nun Noah erwachte von seinem Rausch und erfuhr, was ihm sein jüngster Sohn angetan hatte, 25sprach er: Verflucht sei Kanaan und sei seinen Brüdern ein Knecht aller Knechte! 26Und sprach weiter: Gelobt sei der HERR, der Gott Sems, und Kanaan sei sein Knecht! 27Gott breite Jafet aus und lasse ihn wohnen in den Zelten Sems und Kanaan sei sein Knecht!« – Genesis 9,22–27 (Lutherbibel 1984)

      Weil die drei Söhne Noahs als die Ahnherren der Bewohner der verschiedenen Erdteile betrachtet wurden und Ham als der Urvater der Afrikaner galt, hat man in einer rassistischen Auslegung in Ham bzw. Kanaan den Afrikaner gesehen und damit in diesem Text eine religiöse Begründung für die Versklavung von schwarzen Afrikanern gefunden. Obwohl die Kanaanäer – die vermeintlichen Nachkommen von Ham und seinem Sohn Kanaan – eigentlich in der Levante zuhause waren, diente dieser Text der Unterdrückung einer versklavten Bevölkerung von nicht-europäischem Ursprung.21

      Ein zweites Beispiel für eine eher rassistische Auslegung finden wir im Hohelied. Im ersten Kapitel sagt die Geliebte:

      5»Ich bin braun, aber gar lieblich,

      ihr Töchter Jerusalems,

      wie die Zelte Kedars,

      wie die Teppiche Salomos.

      6Seht mich nicht an, dass ich so braun bin;

      denn die Sonne hat mich so verbrannt.« – Hohelied 1,5–6 (Lutherbibel 1984)

      Dieser Text wurde nicht missbraucht, um die Unterdrückung von Menschen zu rechtfertigen. Dennoch ist die gewählte Übersetzung bezeichnend. Das Zitat aus der Zauberflöte hat schon angedeutet, dass Schwarzsein in der europäischen Kultur als etwas Schlechtes betrachtet wurde. Dies äußert sich auch in der Übersetzung: »Ich bin braun, aber gar lieblich«. Abgesehen davon, dass das Wort genau genommen mit »schwarz« bzw. »dunkel« und nicht mit »braun« zu übersetzen ist – obwohl ich verstehen kann, warum man sich in der deutschen Übersetzung für »braun« entschieden hat –, hat man sich interessanterweise entschieden, das hebräische Präfix waw mit »aber gar« zu übersetzen. Der hebräische Buchstabe waw kann als Präfix unterschiedlich übersetzt werden, üblicherweise als Kopula »und«. Gelegentlich ist aber auch die adversative Übersetzung »aber« möglich. Sich in diesem Fall für »aber« zu entscheiden, deutet auf eine europäische Perspektive hin, die dunkle Haut bestenfalls als etwas Unerwünschtes betrachtet und schlimmstenfalls als etwas Böses. Erfreulicherweise haben die Bearbeiter der neuen Lutherbibel sich für eine andere Übersetzung entschieden, nämlich: »Ich bin schwarz und (Hervorh. C. S. E.) gar lieblich«. Mit dieser kleinen Änderung hat man die automatische Verbindung von dunkler Hautfarbe und Hässlichkeit bzw. dem Bösen getrennt, um dem biblischen Text seine eigentliche Bedeutung zurückzugeben. Natürlich finden sich solche ideologisch bedingten und etwas peinlichen Übersetzungen nicht nur in der deutschen Tradition der Bibelübersetzung. Ich hätte mich genauso gut auf vergleichbare englische Übersetzungen stützen können. Aber sie sind beispielhaft für die europäische Übersetzungstradition insgesamt.22

      Aus einer kolonialen Perspektive könnte man behaupten, dass Europa überall zu finden ist, wo Europäer Kolonien gegründet haben. Wenn wir das britische Imperium zu Europa zählen, was in Anbetracht des Brexit nicht mehr unproblematisch ist, könnte man etwa auf das viktorianische Zeitalter verweisen, als es hieß, dass die Sonne im britischen Imperium nicht untergehe. Im neunzehnten Jahrhundert konnte es so aussehen, als ob es rund um den ganzen Erdkreis britische Kolonien gäbe. In Anbetracht dessen, dass auch andere europäische Mächte Kolonien gegründet und auf diese Weise die christliche Religion weltweit verbreitet haben, kann man die Frage stellen, ob große Teile der Welt inzwischen europäisch geworden sind. Die Antwort auf diese Frage hängt zum Teil davon ab, ob man Europa mit der christlichen Kultur gleichsetzt oder nicht. Wenn ja, dann könnte man behaupten, dass die eigentlichen Erben der europäischen Kultur heute nicht mehr im nachchristlichen Europa zu finden sind, sondern in Afrika, in Nordamerika, in Südamerika und in Asien. Es ist also sicher kein Zufall, dass der jetzige Papst aus Argentinien stammt; und ich bin sicher, dass der nächste oder übernächste aus Afrika stammen wird.

      Obwohl es seit eh und je Juden in Europa gab und sie besonders nach ihrer Emanzipation in öffentlicher Weise zur europäischen Kultur beitragen konnten, wurde ihr Beitrag vorher oftmals nicht anerkannt – und hernach in tragischer Weise verpönt. Jedoch ist die jüdische nicht eine europäische Kultur, oder – besser gesagt – nicht eine ausschließlich europäische Kultur, da die jüdische Gemeinschaft sich mehr oder weniger zwischen christlicher bzw. aschkenasischer Welt und islamischer bzw. sephardischer Welt aufgeteilt und zwischen zwei Welten gelebt hat. Nichtsdestoweniger spricht man in Nordamerika von einer gemeinsamen jüdisch-christlichen Kultur, die die Grundlage der amerikanischen Identität und Kultur bildet, obwohl dieser vielleicht zu optimistische Begriff von einigen auch angegriffen wird.23

      Auf jeden Fall scheinen die nicht-europäischen Erben der christlich-europäischen Kultur jetzt diejenigen zu sein, die heute die zentrale Bedeutung des biblischen Textes, der einst im Mittelpunkt der europäischen Kultur gestanden hat, weiterführen. Während der Einfluss der Kirchen in Europa abnimmt und, wie ich auf meinen Reisen durch Europa gesehen habe, mehr und mehr Kirchen geschlossen werden, ist es in Argentinien, Brasilien, Äthiopien, Nigeria, Südkorea und den Vereinigten Staaten anders: Hier blühen und gedeihen die Kirchen und die Bibel steht noch im Mittelpunkt