Remedium. Thomas Lohwasser. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Lohwasser
Издательство: Bookwire
Серия: Die Erben Abaddons
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783966293020
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keine Männer mehr«, erwiderte Nele.

      Tora ging zu einem der Käfige, packte mit ihrem dicken Handschuh eine der Nacktratten, trug das strampelnde und quiekende Tier zur Schlachtnische und ließ ein Hackbeil auf dessen Nacken niedersausen. Es knallte dumpf, das Quieken erstarb.

      »Nele … eine Frau sollte sich gelegentlich wie eine Frau fühlen dürfen. Sogar ich gönne mir ab und zu …«

      »Nein«, unterbrach Nele.

      Tora seufzte. »Vergeude deine Jugend nicht. Warum gibst du ihm keine Chance? Ist ein netter Kerl.«

      »Du weißt warum.«

      Tora hängte die Nacktratte zum Ausbluten über den Bottich. Dann wandte sie sich zu Nele um.

      »Kleines, Gazael ist …«

      »… mein Blutsgefährte, mein Mann, wie du es nennen würdest. Und er wird der Einzige bleiben. Eines Tages werden wir miteinander zwischen den Bäumen in den Urwäldern der Warangötter spazieren. Gib’s auf, ich bin durch damit.« Sie leckte das Pastetenfett von den Fingern und stand auf. »Hab vielen Dank für die Silberlinge. Ich muss los.«

      »Lass dir von Himos nichts gefallen, hörst du«, sagte Tora.

      Nele nickte ihr zu und verließ die Garküche. Sie mochte die Ältere gern, und sie war sich bewusst, dass sie in anderen Garküchen gewiss nur halb so viele Silberlinge für ihre Fänge erhalten würde wie hier. Bei üblicher Entlohnung hätte sie längst keine Steuern mehr zahlen können. Anfangs musste es lediglich Toras Mitgefühl nach der Katastrophe in Neles Leben gewesen sein, weshalb ein paar Silberlinge mehr in ihrem Beutel landeten – in den vergangenen Monaten aber hatte sich echte Freundschaft zwischen ihnen entwickelt. So etwas war von unschätzbarem Wert in einer Welt, in der man selbst vom engsten Nachbarn nur das Schlimmste zu erwarten hatte.

      Himos trug Gelb, kaum einer in Braunbabel tat das. Genau genommen konnte niemand sich farbige Stoffe leisten, abgesehen von einigen halsabschneiderischen Händlern, die in Buntbabel Schrott kauften, um ihn überteuert an die Braunen weiterzugeben.

      »Welch seltener, erfreulicher Besuch!«, posaunte Himos und stieg von einer Trittleiter an einem vollgestopften Wandregal herunter. Seine schmalen Lippen präsentierten hinter dem anzüglichen Grinsen eine breite Lücke, wo die Schneidezähne hätten sitzen sollen, weshalb seine Aussprache immer etwas zischelte.

      Neles Magen zog sich zusammen. Sie verabscheute diesen Mann mit seiner Schmierigkeit, den gierigen Händen, die bei jeder Gelegenheit nach ihr grapschten, sie hasste seine kleinen, berechnenden Augen und seinen unangenehmen Geruch. Aber er war nun mal der Einzige, der ihr gefiltertes Wasser zu einem erträglichen Preis verkaufte. Über den Grund dafür mochte sie nicht nachdenken.

      »Hallo Himos.«

      »Was führt dich zu mir, meine Süße?« Er kam auf sie zu und breitete die Arme aus, um sie zu umarmen.

      Nele wich ihm aus. »Sicher nicht das

      Selbstgefällig lehnte sich Himos gegen seinen Tresen. »Lass mich raten, du brauchst eine Waffe, um dich gegen all die bösen Kerle zu wehren«, sagte er spöttisch. Er pulte mit dem Fingernagel etwas zwischen seinen Zähnen hervor, das er anschließend genüsslich ablutschte. »Du bist egoistisch, Nele, gönn uns Männern doch mal was. Das Leben ist hart genug. Nebenbei – wer sagt, dass es dir nicht auch Spaß machen kann, hm? Glaub mir, ich weiß, wie so was geht.«

      Nele rann ein Schauder über den Rücken, als er ihr zuzwinkerte.

      »Du verkaufst wieder Waffen?«, fragte sie, um das Thema zu wechseln. Außerdem interessierte es sie, denn für gewöhnlich konnte sich in diesen Vierteln kaum einer eine richtige Waffe leisten. Bedroht, verletzt und getötet wurde mit Schrott und Selbstgebautem.

      »Aber ja! Seitdem die drüben auf die Idee gekommen sind, die beschissene Steuer zu erhöhen, will jeder eine. Nicht, dass ich jedem eine geben würde, bin ja kein Schenk-mir-was-Laden. Aber wer die entsprechenden Penunzen zusammenkratzt, für den findet sich auch was. Sind echte Investitionen, solche Waffen. Du weißt ja, die mit der besten Ausrüstung kriegen ihre Steuern immer am schnellsten zusammen.«

      Er lachte kurz und heiser. »Hab Schusswaffen ab zwanzig Silberlingen aufwärts, Süße, nicht sehr präzise, aber effektiv. Keramik- und Blechdolche mit scharfen Langschneiden gibt’s schon ab sieben Silbernen. Und für dich hab ich sogar ein ganz besonderes Angebot: Gleich zwei Waffen auf einmal. Die eine gibt’s zum Sonderpreis, wenn du die andere auch nimmst. Du weißt schon.« Er ließ seine Augenbrauen tanzen und machte mit der Hand eine eindeutige Geste vor seinem Schritt. Dabei grinste er unverhohlen. »Diese da ist kostenfrei, aber dafür effektiv und präzise. Na, was meinst du?«

      »Ich will bloß Wasser«, sagte Nele. Als er die Hand sinken ließ und Anstalten machte, hinter den Tresen zu gehen, um das schmuddelige Rohwasser zu holen, fügte sie schnell hinzu: »Ich will das gute. Das filtrierte.«

      »Oho, heute mal was Besonderes? Tja, das Zeug wurde mir schon nach meiner Ankunft aus den Händen gerissen.« Er zuckte mit den Schultern und blinzelte ihr erneut zu.

      »Was kostet eine Amphore?«, fragte sie und schlang automatisch die Arme um den Oberkörper. Bloß keine Spielchen, bloß schnell wieder raus hier.

      Er tat, als dächte er nach. »Wer weiß, vielleicht hast du Glück. Ich glaube, ich hab noch eine oder zwei … Lass mich nachsehen, ob ich recht hab, dann machen wir das mit dem Preis.«

      Der grobschlächtige Mann verschwand in seinem Lagerraum. Nele ließ den Blick über die unzähligen Waren in den Kisten und Regalen schweifen. Es hieß, in dieser Händlerbude konnte man fast alles bekommen, auch Dinge, die nicht im Verkaufsraum zu sehen waren. Man musste bloß genügend Silberlinge in der Tasche haben. Es war nicht verwunderlich, dass bei Himos sogar die Leute aus der Nähe der Grenze zu Buntbabel kauften. Dort lebten die Braunen mit den meisten Penunzen, wie der Händler es nannte.

      »Eine ist noch da!«, kam es dumpf aus dem Lager.

      »Wie viel verlangst du, Himos?«, rief sie.

      Er tauchte wieder auf. »Mmmh, es macht mich an, wenn du mich fragst, wie viel ich verlange. Vier Silberlinge, meine Süße.«

      Ich gebe dir zehn, wenn du mich nie wieder Süße nennst, lag es ihr auf der Zunge, doch sagte sie nur: »Zwei.«

      Himos kam um den Tresen herum und schwenkte die unterarmlange, versiegelte Amphore vor ihrem Gesicht. Dann stellte er das Gefäß neben seinen Füßen ab und kam noch näher. Sein Atem stank nach faulen Zähnen.

      »Das ist die Letzte. Drei Silberne, Süße, und eine Umarmung zum Abschied für den großzügigen Himos, der es doch immer gut mit dir meint, hm? Einen besseren Preis kriegst du nirgends.«

      Wortlos drückte sie ihm das Geld in die ausgestreckte Hand, der der Daumen fehlte. Diesen hatte ihm angeblich eine Frau abgebissen, weshalb er seither vorsichtiger war.

      Himos steckte die Münzen weg und zog Nele an sich. Ihre verschwitzten Nackenhärchen unter dem langen Zopf stellten sich auf, als sein aufdringlich herber Körpergeruch sie einhüllte. Seine Arme umschlangen sie, heiße Feuchtigkeit drang unter seinen Achseln hervor und tränkte ihre Schultern. Nele versteifte sich, während seine Hände gierig über ihren Rücken und den Hintern glitten. Er strich ihre Haare aus dem Nacken, doch nach zwei heißen Atemstößen an ihrem Hals entwand sie sich seinem Griff.

      Er trat zurück und grinste zufrieden. Seine daumenlose Hand wanderte zu der Beule in seinem Schritt. »Du solltest dein Potenzial nutzen, meine Süße«, sagte er heiser. »Es könnte dir so viel besser gehen …«

      Nele schnappte die Amphore, entkorkte sie und warf einen Blick hinein. Kein Schmutz, keine Brösel, nichts als reines Wasser. Ihr trockener Mund begann zu pochen, doch sie verschloss das Gefäß wieder. Trinken würde sie später, nicht hier, nicht vor Himos.

      Sie hatte sich schon umgedreht und die Tür zu seiner Händlerbude aufgestoßen, als Himos sagte: »Ach ja, die Steuer steht an.«

      Nele