»Das sind alle?«, fragte er niemand Bestimmten.
Eine schlanke, in die Jahre gekommene, Frau mit honigblonden Haaren trat vor. Sie gehörte zu der Sorte Mensch, die selbst mit Krähenfüßen an den Augen attraktiv aussah. »Ich bin Tessa.«
Er musterte sie einmal von oben bis unten. »Aha, war aber keine Antwort auf meine Frage.«
»Wir sind vollständig«, beeilte sie sich zu sagen und trat zurück in die Reihe.
»Ich bin Savior, der Anführer der Sinners. Für diejenigen unter euch, die es noch nicht mitbekommen haben: Ich bin der neue Boss hier, demnach arbeitet ihr jetzt für mich.«
Da standen dreißig halbnackte, heiße Frauen mit ihm gemeinsam in einem Raum und er konnte nur an Abby denken. Sie hatte seinen Kopf richtig schön verdreht. Verdammtes Miststück! Früher hätte er sich eine Runde amüsiert und erst im Anschluss erklärt, wie es weiter ging.
»Um eines gleich mal klarzustellen, wer nicht freiwillig hier ist, sollte sich jetzt verpissen. Das Angebot mache ich kein zweites Mal.«
Die Frauen blickten sich gegenseitig fragend an.
Abwartend zog er eine Augenbraue hoch. Niemand regte sich. Er presste die Kiefer fest aufeinander und sah auffordernd zu dieser Tessa.
»Die Frauen dürfen wirklich gehen?«, hakte sie leise nach.
Drückte er sich etwa undeutlich aus?
»Ja, sie können gehen. Ich halte nichts von Zwangsprostitution.« Er sah ein paar Frauen prüfend an. »Und auch nichts von Sex mit Minderjährigen. Nehmt eure Sachen und haut ab. Das Gleiche gilt für alle, die hier nicht arbeiten wollen – letzte Chance!«
»Warum machst du das?« Tessa sah ihn nachdenklich an.
»Weil ich es kann.« Er verschränkte die Arme vor der Brust.
Eine minderjährige Brünette flüsterte Tessa etwas ins Ohr. »Sie möchte wissen, ob ihr oder ihrer Familie Gefahr droht, wenn sie geht.«
Gestresst rieb er sich die Stirn. Würde ihn diese Art Gespräche in den anderen Bordellen ebenfalls erwarten? Er sollte Tessa als Vermittlerin mitnehmen. Die Huren hier schienen auf sie zu hören.
»Ich versichere euch, dass niemandem etwas passieren wird.«
Savior sah auf die Uhr. Dom sollte gleich hier sein, er wollte mit ihm das Gebäude durchsuchen und inspizieren. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sich das mit den Frauen in die Länge ziehen würde.
»Krümel, hast du kurz Zeit für mich?«
Abby blickte von ihrer Zeichnung auf und legte den Stift beiseite. »Natürlich, Dad. Was ist los?«
Die vergangene Woche hatte er viele Termine wahrgenommen und war nur selten zu Hause gewesen. Sie vermutete, dass es mit dem bevorstehenden Umzug zu tun hatte. Richtig geäußert hatte er sich darüber allerdings nicht. Genauso gut hätte er wieder auf einer Selbstmordmission sein können.
Er schloss die Tür und setzte sich zu ihr an den Tisch. Sein ernster Gesichtsausdruck beunruhigte sie.
»Hast du schon eine Entscheidung getroffen, ob du mitkommen oder hierbleiben willst?«
»Die Entscheidung fällt mir nicht leicht. Ich möchte das alles nicht zurücklassen, wiederum möchte ich auch nicht alleine sein.«
Ihr Dad lächelte sanftmütig. »Wärst du das denn – alleine?«
Hilflos hob sie die Schultern. Wen hatte sie schon außer ihren Dad? Bevor sie bei den Sinners gewesen war, war ihr nie aufgefallen, wie einsam sie sich fühlte.
Er legte seine Hand auf ihre. »Was ist denn mit Hailey und den restlichen Sinners?«
»Ich glaube nicht, dass ich dort noch erwünscht bin.«
»Weil Damian täglich hier ist? Schieß ihn in den Wind. Was willst du überhaupt mit dem? Hailey hat mir erzählt, wie er dich auf dieser einen Party behandelt hat. Das hast du doch gar nicht nötig.«
Irritiert sah sie ihrem Dad ins Gesicht. »Wann hast du mit Hailey gesprochen?« Und wieso war er scharf darauf, sie ein weiteres Mal zu Savior zu stecken? Sie hatte angenommen, er wäre froh darüber, dass sie wieder zu Hause war und nichts mehr mit ihm zu schaffen hatte.
»Als sie das letzte Mal hier war. Du warst noch nicht von deinem Treffen mit Damian zurück. Wir sind übrigens beide der Ansicht, dass er ein Blender ist. Irgendwas stinkt an dem Kerl bis zum Himmel.«
»Okay«, antwortete sie gedehnt, amüsiert darüber, dass ihr Dad sich so viele Gedanken zu Damian machte. »Damian ist aber nicht der Grund, warum ich nicht zu den Sinners kann.«
»Das mit Savior renkt sich schon wieder ein. Geh einen Schritt auf ihn zu, redet miteinander. Du wirst sehen, das wirkt manchmal wahre Wunder«, sagte ihr Dad zuversichtlich.
Abby kratzte sich verlegen an der Nase. Sie wollte sich nicht eingestehen, dass ihr Dad vielleicht recht hatte. Sie wechselte das Thema. »Warum hast du mir nicht erzählt, dass Francine untergetaucht ist?«
Seine Miene verdüsterte sich. »Sie ist weg und darüber sollten wir glücklich sein.«
»Glaubst du nicht auch, dass sie irgendwann wieder auftaucht? Willst du deshalb gehen und mich zurück zu den Sinners stecken?«
Ihr Dad lächelte traurig. »Es wäre mir einfach lieber, wenn dich jemand rund um die Uhr beschützen würde.«
»Können wir nicht einen Mittelweg finden? Ich will nicht, dass du gehst.«
»Es ist besser so, Krümel. Ich habe meine Chance vertan und jetzt ist es zu spät.«
»Was meinst du damit?«
Er zögerte. »Dass ich sie nicht töten konnte, als ich die Gelegenheit dazu hatte.« Er lächelte gequält. »Zweimal.«
Abby schluckte. Ihr Dad hatte zweimal versucht, Francine zu töten, und war gescheitert. Der sarkastische Teil in ihr dachte, dass Savior das garantiert nicht passiert wäre.
»War sie damals anders?« Die Frage hatte Abby sich in der letzten Zeit häufiger gestellt. Irgendwas musste ihre Mutter an sich gehabt haben, was ihren Dad fasziniert hatte. Er hätte sich niemals in eine falsche Schlange verliebt. Sie selbst konnte sich nur daran erinnern, dass Francine immer bösartig und habgierig gewesen war.
»Allerdings. Sie war einst sanftmütig und kein bisschen egozentrisch. Sie besaß Träume, die nichts mit Menschenhandel und dergleichen zu tun hatten. Sie wollte die Welt bereisen und eine große Familie haben mit mindestens drei Kindern. Schon bevor sie schwanger wurde, war sie jedoch wie ausgewechselt.«
»Was ist mit ihr passiert?«, fragte Abby neugierig. Es war das erste Mal, dass sie offen über Francine sprachen. Bisher hatten sie das Thema immer vermieden oder nur das Nötigste besprochen. Meistens hatte ihr Dad sie einfach nur getröstet, wenn ihre Mutter nach wenigen Minuten wieder abgehauen war.
»Ich weiß es nicht. Jedes Mal, wenn ich sie auf ihre Veränderung ansprach, schrie sie mich an oder verließ fluchtartig das Haus. Irgendwann habe ich es aufgegeben und sie machen lassen. Ehrlicherweise muss ich gestehen, dass es mir noch immer das Herz zerreißt. Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn ich nicht einfach aufgegeben, sondern gekämpft hätte.«
Abby musste unbedingt ihre Mutter finden und mit ihr reden. Ganz gleich, wie verrückt die Frau war. Abby brauchte Antworten und die war Francine ihr verdammt noch mal schuldig!
»Du dummes Miststück!«, kreischte jemand schrill auf dem Flur vor Saviors Büro. Er verdrehte genervt die Augen und überlegte kurz, es einfach zu ignorieren, entschied sich dann jedoch dagegen. Wollte