Wir kommen wieder!. Hermann economist Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann economist Schmidt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783895338335
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      Es wurde bereits dunkel, als wir am Campingplatz eintrafen. In der Nähe des Ufers gab es Grillplätze, an denen man ein Feuer machen durfte. Jasper, Kai und Henning sammelten Holz. Am anderen Ufer des Sees sah man die Scheinwerfer von Autos, die zwischen den Waldlichtungen durch die mondlose Nacht fuhren. Als ich das Feuer ansteckte, flogen die Funken über das knisternde Holz hinweg hoch in die Luft. Der Wind vom Kellersee her wurde stärker, und Henning erzählte die Geschichte vom totgefahrenen Hund aus dem Kosovo. So lange hatte ich ihn noch nie an einem Stück reden hören. Kai war in der Zeit schon eingeschlafen. Für mich war es ein wunderbarer Tag gewesen: Allein mit meinen beiden Söhnen und deren gutem Freund Jasper auf dem Rad unterwegs zu einem Pauli-Spiel. Der Krebs verschwunden, vielleicht besiegt? Alles würde gut werden. Vielleicht.

      Am nächsten Morgen war ich gegen fünf Uhr wach. Auf der Toilette traf ich einen alten Mann, der mich fragte, ob ich Angler sei. Ich verneinte. Er sagte, ich sähe aber aus wie ein Angler. Ich und aussehen wie ein Angler? Unglaublich! Waren einzelne Holsteiner denn schon am frühen Morgen betrunken? Ich ging unter die Dusche, das Wasser war angenehm warm.

      Gegen acht Uhr hatten wir alle gefrühstückt und machten uns auf die lange Heimreise in Richtung Süden. Als wir in Henstedt-Ulzburg ankamen, waren wir insgesamt dreimal nass bis auf die Haut gewesen, glücklicherweise aber auch dreimal wieder von der Sonne getrocknet worden.

      Teil 2

      DIE HINRUNDE

      KAPITEL 5

      DAS FÄNGT JA GUT AN

      In der Woche vor dem Bundesligastart am 20./21./22. August marschierte ich am Mittwoch brav zur BCG-Therapie bei meinem Urologen. Es war die 21. Einspritzung der Tuberkulose-Bakterien seit Ausbruch meiner Krankheit. An den eigentlichen Eingriff hatte ich mich längst gewöhnt. Wahrscheinlich war meine Harnröhre inzwischen durch die ständigen Installierungen so geweitet, dass allein deshalb alles ganz einfach ging.

      Das Fieber kam immer am späten Nachmittag, auch bei dieser vorletzten „Installation“, wie Dr. Bernd Hoffmann das nannte. Ich begann schrecklich zu schwitzen. In der Nacht machten sich meine Nieren schmerzhaft bemerkbar. Was das wohl zu bedeuten hatte?

      Ein weiteres Gespräch bei der Rentenberatung in Norderstedt hatte ergeben, dass ich zwar früher in Rente gehen könne, in jedem Fall aber die Kündigungsfrist meines Geschäftsführervertrags einhalten müsse. Da die Frist ein Jahr betrug, kündigte ich am Mittwoch, dem Tag meiner Therapie, zum 31. August 2011. Ich wollte nicht mehr und ich konnte nicht mehr.

      Am Freitagabend fuhr ich mit meinem vierjährigen Enkel Bjarne nach Dahme in meine Ferienwohnung. Die Sommersonne schien noch warm vom Himmel. Allerdings stand hoch im Norden eine dunkle Wolkenwand über dem ostholsteinischen Land. Unendliche Stoppelfelder dehnten sich jenseits der Autobahn nach Westen. Auf der Straße zwischen Neustadt und Grömitz sah man hinter Büschen und Bäumen die sanft gewellte Ostsee in tiefem Blau in der Sonne glitzern. Hier wollte ich den wesentlichen Teil meines letzten Lebensabschnitts verbringen, lesen, schreiben, an den Wochenenden nach Hamburg zu den Spielen fahren.

      Im Auto sang ich Bjarne Lieder aus meiner Kinder- und Jugendzeit vor, denn er mochte Musik. Ich sang für ihn „Es gibt kein Bier auf Hawaii“ und auch das lustige Lied von Georg Danzer aus dem Café „Hawelka“ in Wien „Jö schau, so a Sau“.

      Als wir hinter dem Deich von Dahme entlangfuhren, konnte Bjarne schon die Zeile „Es ist so heiß auf Hawaii, kein kühler Fleck, und nur vom Hula-Hula geht der Durst nicht weg“ singen.

      Auf der Strandpromenade in Dahme warben einzelne Kneipen damit, dass sie das Freitagsspiel zwischen Bayern und dem VfL Wolfsburg übertragen würden. Es waren viele Menschen unterwegs, einzelne blieben auf unserer Höhe stehen und schauten uns lange hinterher.

      Denn Bjarne, im braunen St.-Pauli-Trikot, sang nun auch hier unter den Augen und Ohren der deutschen Urlauber aus dem Frankenund Bayernlande unentwegt und ungeniert das Lied, das ich ihm im Auto beigebracht hatte: „Es gibt kein Bier auf Hawaii …“. Wenn er die Zeile mehrere Male hintereinander weg gesungen hatte, rief er im Stakkato: „Sankt Pauliii, Sankt Pauliii, Sankt Pauliii!“, während er gleichzeitig wie bei einer Demo der Achtundsechziger ruckartig die linke Faust hob und nach vorne reckte. Ich glaube, dass es Dinge gibt, die angeboren sind, die in den Genen liegen. Denn die Geste mit der Faust hatte ich ihm nur ein einziges Mal zu Hause in Henstedt gezeigt, und das war schon vor Wochen.

      Um Bjarne auf andere Gedanken zu bringen, kaufte ich ihm bei einem „Dit un dat“-Laden einen knallroten Plastikrasenmäher. Wie sich herausstellte, machte der Rasenmäher aber, wenn man ihn vor sich her schob, einen Heidenlärm. Deshalb schlug ich Barni vor, in einen Biergarten zu gehen, um uns das Spiel der „Bayern“ anzusehen und etwas zu trinken. Bjarne bestellte sich eine Apfelschorle und ich mir ein Pils. Nachdem Bjarne einen Schluck genommen hatte, lief er mit seinem Rasenmäher vor der Kneipe mit Biergarten auf und ab, wobei er immer noch rhythmisch seine Begeisterungsbekundungen für den FC St. Pauli ausstieß. Es störte mich nicht weiter. Bjarnes Gesänge und Ausrufe fand ich aber angenehmer als das nervende Gerassel des Rasenmähers. Ja, dieser Junge war wahrscheinlich ein geborener Anarchist. Keine Macht für niemand!

      „Was ist bloß mit diesem blonden Jungen los, da platzt einem ja der Kopf“, sagte ein älterer Mann zu seiner Begleiterin an einem Nebentisch.

      „Das Kind gehört längst ins Bett“, antwortete die grauhaarige Frau.

      Ich tat so, als hörte ich die Leute nicht.

      „Sankt Pauliii!“, schrie Bjarne auf der Promenade, und dann fing er wieder an zu singen, nun aber ein Lied, das ich gar nicht kannte, dabei bewegte er seinen Kopf ruckartig von oben nach unten, als sei er ein Indianerhäuptling oder Sänger einer Punk-Band. Ich stand auf und kassierte den Rasenmäher ein. „Der Sprit ist alle“, sagte ich zu Bjarne. Er leistete keinen Widerstand.

      „Die sind alle verrückt, diese Leute vom Kiez, von Kindesbeinen an“, sagte der alte Mann am Nachbartisch und schüttelte den Kopf.

      „Sie werden dazu erzogen von ihren Hartz-IV-Eltern“, stimmte ein Mann mit ungepflegtem Vollbart zu.

      „Ja“, bestätigte der alte Mann, „die Eltern und Großeltern bringen es den Kindern systematisch bei, wie man randaliert.“

      „Und später werden Terroristen oder Zuhälter daraus.“ Die grauhaarige Frau neben dem Bartmann hatte es so laut gesagt, dass ich es hören sollte.

      Aber ich reagierte gar nicht. Ich sah hinaus aufs Meer und nahm noch einen Schluck Bier.

      Ich schnappte mir Bjarne und ging mit ihm zurück in die Wohnung, um zu Abend zu essen.

      Als ich ihn in sein Bett legte, schlief er schon fest und machte keinen Mucks mehr. Am Samstagmorgen weckte Bjarne mich um 6:30 Uhr auf. Wir duschten. Ich zog ihm sein weißes FC-St.-Pauli-Auswärtstrikot mit der Nummer 17 an, auf dem der Name BARNI gedruckt war. Nummer 17, weil Fabian Boll der Lieblingsspieler von Barni war.

      Nach dem Frühstück gingen wir hinüber zum Strand, mieteten einen Strandkorb und begannen eine Sandburg zu bauen. Gegen Mittag aßen wir zwei Fischfrikadellen und tranken etwas. So langsam begann es in mir zu kribbeln. Nach dem Mittagsmahl schlief Bjarne im Strandkorb ein, und im Westen zogen Wolken auf.

      Um Schlag 15 Uhr verließen wir den Strand und gingen zurück zur Wohnung. Ich wollte im Radio einen Sender suchen, auf dem wir uns das gesamte Spiel anhören könnten. Vielleicht würde es ja auch vom NDR übertragen. Weit gefehlt! Ich landete nach langem Suchen immer wieder bei Moderator Uwe Bahn, dem bekennenden HSV-Fan. Dann, endlich, 15:30 Uhr. Das erste Spiel des FC St. Pauli in der Bundesligasaison 2010/11! Bjarne saß so gespannt vor dem Radio, als würde darin gleich etwas ganz Außergewöhnliches passieren.

      Aus dem Äther war bei der ersten Liveschaltung nach Freiburg zu erfahren, dass der FC St. Pauli frisch von der Leber weg nach vorne spielte. Gegen Freiburg wiesen wir mit drei Siegen, zwei Remis und nur einer Niederlage bisher eine gute Bilanz auf. Es nervte mich sehr, dass ständig Berichte aus allen Spielen einander abwechselten und dass aus