Wir kommen wieder!. Hermann economist Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann economist Schmidt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783895338335
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Sonntagszeitung“. Keiner der Spielberichte wurde dem tatsächlichen Hergang des Spiels gerecht. Niemand schrieb, dass wir mit Bene Pliquett oder Thomas Kessler wahrscheinlich gewonnen hätten, und niemand schrieb über das, was Manuel Gräfe gepfiffen hatte. Aber vielleicht blickte ich es ja nicht mehr so ganz.

      KAPITEL 7

      EIN HSV-GARTENZWERG, EIN ZIMTSTERN UND EIN ABSEITSTOR

      Die Nationalmannschaft bescherte der Bundesligasaison eine 14-tägige Zwangspause, kaum dass sie begonnen hatte. So konnten wir Fans des FC St. Pauli tagelang den einstelligen Tabellenplatz genießen.

      Die Kölner würden wir ja wohl in deren eigenem Stadion weghauen!

      Immer wieder ging mir nebenbei durch den Kopf, dass sie nun bald meinen Führerschein einkassieren würden, weil ich innerhalb von drei Wochen gleich zweimal auf der Autobahn Hamburg-Berlin geblitzt worden war, einmal mit 31 km/h über dem Limit und einmal mit 41 km/h über der erlaubten Geschwindigkeit. Vielleicht waren es klammheimliche Fans von Hansa Rostock, die es auf Autos mit FC-St.-Pauli-Aufklebern abgesehen hatten und diese Knips-Vogelkästen an der Autobahn aufstellten. Bald würde ich zu den Auswärtsspielen mit dem Fanbus fahren müssen.

      Weil es mir infolge der BCG-Therapie nicht gut ging, verzichtete ich auf den Trip nach Köln. Zudem musste ich am Montagmorgen in aller Frühe aufstehen, um über Stuttgart nach Baden-Baden zur Presse-Grosso-Tagung zu gelangen.

      Das Spiel gegen den einst so großen FC sah ich mir bei Kiri, dem Griechen, in der „Stadtschänke“ Kaltenkirchen an. Ich war der erste Gast an diesem späten Nachmittag in Kiris Gaststätte. Sie zeigten gerade die letzte Viertelstunde des Spiels FSV Mainz 05 gegen den 1. FC Kaiserslautern. Die Mainzer führten 2:1, das fand ich gut, obgleich ich Teams wie Mainz, Freiburg, Frankfurt, Hannover und eben auch den 1. FC Köln zu unseren unmittelbaren Konkurrenten im Abstiegskampf zählte.

      Ich war mir hundertprozentig sicher, dass wir gegen die Geißböcke gewinnen würden. Ich hielt die aktuelle Mannschaft des 1. FC Köln für einen zusammengewürfelten Haufen, eine Truppe ohne Herz und Seele.

      Und außer Podolski und Mondragon waren da gar keine richtigen Fußballer drin. Wenn wir gegen die verlieren würden, dann „Gute Nacht“.

      Statt Matthias Hain spielte Thomas Kessler bei uns im Tor. Es sollte sich an diesem Nachmittag herausstellen, dass Stani eine weise Entscheidung getroffen hatte. Denn Kessler entpuppte sich als der beste Mann auf dem Platz.

      Bei Kiri saß eine sehr junge, sehr blonde Frau im braunen Dress mit zwei Begleitern an einem der Tische. Auf dem Rücken des Trikots stand: ZIMTSTERN. Alle Männer bei Kiri sahen wie gebannt hinüber zum Zimtstern. Ich hatte das Spiel für mich alleine. Nur ein auf dem Tresen hockender Gartenzwerg in HSV-Montur blickte auch in Richtung Fernseher.

      Ich drehte den HSV-Zwerg einfach um. Mir gegenüber hatte ein muskulöser Mann im T-Shirt mit seiner dunkelhaarigen Freundin am Tresen Platz genommen. Die beiden verstanden sich gut. Die Frau hatte eine beachtliche Figur, doch angesichts der Oberarme ihres Begleiters vermied ich es, der Frau direkt in die Augen zu sehen. An einem der Tische hatte sich der Medizinmann der Kaltenkirchener TS mit anderen Fans zusammengesetzt. Nach und nach kamen weitere Bekannte ins Lokal, die ich von den Heimspielen der Kaltenkirchener kannte.

      Nach einer halben Stunde traf auch Tobias Günther ein, der Sechser von Fetihspor Kaltenkirchen. Er hatte seinen Teamkollegen Alexander Baranow mitgebracht. Alexander ist in Alma-Ata (heute Almaty) geboren, ein Kasache also, aber er spricht und fühlt wie ein Deutscher. Kurzum: Er ist ein Deutscher – und sein Verein ist der FC St. Pauli. Tobias ist sicher einer der besten Fußballer in Kaltenkirchen und weit darüber hinaus. Gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Torben hat er Fetihspor zu einem Aushängeschild des Fußballs nördlich von Hamburg gemacht. Nach 20 Minuten lagen wir mit 1:0 zurück, einer der namenlosen Allerweltsfußballer des 1. FC Köln hatte einen Abpraller nach einem Podolski-Freistoß unerreichbar für Thomas Kessler verwandelt. Wir besaßen in den ersten 45 Minuten nicht den Hauch einer Chance! Der schlimmere Teil des braun-weißen Kicks war Tobias und Alexander also erspart geblieben. Zum ersten Mal schwante mir jetzt, dass wir in dieser Saison tatsächlich gegen den Abstieg spielen würden. Wer gegen ein Team wie das der Kölner so schwach aussah, der würde wahrscheinlich absteigen müssen.

      In der zweiten Halbzeit aber wendete sich das Blatt. Stani hatte unseren Leuten beim Pausentee wohl die Leviten gelesen. Aber der große Kämpfer, der Mann, der das Spiel herumreißen könnte, der war immer noch nicht auszumachen. Es stimmte wohl, dass Spieler wie meine Lieblinge Marcel Eger oder Flo Lechner nicht in der 1. Bundesliga auf die Welt gekommen waren. Aber in einem war ich mir sicher. Sie hätten sich an diesem Sonntagnachmittag den Hintern aufgerissen, um doch noch zu punkten.

      In der 89. Minute fiel dann der langersehnte Ausgleich.

      Kiris Taverne bebte, wir alle fielen uns um den Hals, weil keine Sau mehr mit einem Unentschieden gerechnet hatte, wir tobten über den Teppich und um die Tische herum. Bis dann irgendjemand merkte, dass der Linienrichter eine Abseitsstellung erkannt hatte.

      In der Zeitlupe konnte man die Richtigkeit seiner Entscheidung besichtigen. Prost, Mahlzeit und gute Nacht. Ich verabschiedete mich von Tobias, der am nächsten Morgen in die Türkei fliegen wollte. Den hinreißenden Zimtstern hatte ich ganz aus den Augen verloren.

      Am nächsten Morgen musste ich um sechs Uhr aufstehen, um mit dieser ernüchternden Niederlage nach Stuttgart zu düsen und dann im Badischen mit all den „bedeutenden“ Managern aus unserer Branche des Pressevertriebs zusammenzutreffen.

      KAPITEL 8

      MÜDER HSV AM MILLERNTOR

      In der Tagungsstadt Baden-Baden angekommen, ging ich eine Weile alleine am Flüsschen mit dem Namen Oos entlang, um mich ein wenig zu erholen. Das Wasser plätscherte über die in Beton gegossene Flussrinne, und einzelne Blätter trieben über die glatt geschliffenen Steine hinweg. Der Herbst zeigte sich in den Farben der Bäume an den Berghängen. Ein müder, abgestandener Sommerwind züngelte um die Häuser der Stadt. Die Jungmanager unserer Branche (im Alter zwischen 40 und 50) saßen in den Cafés herum, dabei immer ganz wichtig aussehend, und tauschten die jüngsten Gerüchte aus. Jeder wusste alles. Doch: Viele fühlen sich berufen, nur wenige sind auserwählt.

      Selbst zu dem bevorstehenden Spiel des allmächtigen HSV am Millerntor hatten sie eine Meinung, und fast alle waren sich einig, dass wir eine Klatsche bekämen. Ich stellte mir vor, dass wir 3:1 gegen den HSV gewinnen würden.

      Als ich aus Baden-Baden zurückkam, lag die Hauptstadt des deutschen Fußballs im Fieber. Selbst die, die noch nie etwas mit Fußball zu tun gehabt hatten, sprachen über das Derby.

      Am Sonntagmorgen war ich schon um sechs Uhr aufgestanden. Im Fernsehen sah ich mir eine Sendung über Sibirien an. Dann duschte ich und zog die zurechtgelegten Klamotten an: braune Socken, braune Unterhose, braunes FC-St.-Pauli-Sweat-Shirt, braune Hose, braunen Pullover. Der Vormittag verging wie im Flug.

      Für den Business-Seat meiner Firma hatten wir einen jungen Verlagskollegen aus Dresden eingeladen, der bereits am frühen Morgen mit dem Zug in Hamburg eingetroffen war, weil er vor dem Spiel noch über die Reeperbahn ziehen wollte. Die Karte hatten wir ihm von der Firma aus vorab per Post zugeschickt. Um halb zwei waren wir im „Shamrock“ gelandet. Mit den „Shamrock“-Fans stand ich zwischen den Sitzbänken und der Feldstraße auf dem Trottoir, als mich der Kollege aus Dresden anrief.

      Er kündigte an, dass er direkt ins Stadion käme. Er sitze im „Lehmitz“ und habe dort eine nette Dame kennengelernt, die ihm noch eine andere Kneipe auf dem Kiez zeigen wolle. Der Kollege aus Dresden klang sehr euphorisiert, was vielleicht auch mit der Frau an seiner Seite zu tun haben konnte. Ich hatte noch nie eine Frau im „Lehmitz“ kennengelernt. Ich war da immer wegen der Musikbox hingegangen.

      Ich beschied den Mann aus Dresden mit einem „Is okay“, und Ali, mein Freund und Geschäftspartner aus Elmshorn, bestellte die nächste Runde.

      Noch nie war das „Shamrock“ vor einem Spiel so voll gewesen wie an diesem Sonntagmittag. Hier waren