Wir kommen wieder!. Hermann economist Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann economist Schmidt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783895338335
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      Das liegt uns schon im Blut.

      Und hat das Lebensschiff ein Leck,

      In Hamburg bleiben wir an Deck,

      In Hamburg, ja, da bleiben wir an Deck.

      Fanlied des FC St. Pauli

      Musik: Herbert Trantow

      Text: Hanns Stani

      Gesang: Hans Albers

      Teil 1

      DER AUFSTIEG

      KAPITEL 1

      DER BUSINESS-SEAT

      Vor der Aufstiegssaison 2009/10 hatte ich versucht, eine zweite Karte für die Haupttribüne am Millerntor zu bekommen, die mir ein Bekannter in der Geschäftsstelle zum Preis von rund 500 Euro in Aussicht gestellt hatte. Dann aber teilte mir mein Kontaktmann mit, dass auf der Haupttribüne nichts mehr frei sei. Stattdessen könne er mir einen Business-Seat auf der Südtribüne anbieten, ausnahmsweise zum Preis vom Vorjahr. Ich machte mir keine Gedanken darüber, was eine solche Karte kosten würde. Es schien sich ja ganz offensichtlich um ein Sonderangebot zu handeln. Ich wollte die Karte für Freunde oder Verwandte nutzen, die mal ein Spiel unseres Vereins sehen wollten. Dass wir dann getrennt voneinander sitzen müssten, war in meinen Augen vertretbar. Vor und nach dem Spiel würden wir ohnehin zusammen ins „Shamrock“ gehen.

      Der Kontaktmann vom Verein schickte mir die Karte und die Rechnung. Auf der Karte stand: „Business-Seat, Block S2, Reihe 14, Platz 10“, und ganz fett: „SPONSOR“, und klein darunter: „Hermann H. Schmidt“.

      Ehrlich gesagt, ich hatte über meine Mitgliedschaft hinaus nie eine Sponsorentätigkeit beim FC St. Pauli angestrebt. Zwar war ich seit einiger Zeit in den „Freundeskreis des FC St. Pauli“ berufen worden, in dem mehrere Unternehmer und Manager die Geschicke des Vereins wohlwollend begleiteten, doch bei meinen vergleichsweise überschaubaren Vermögensverhältnissen war ich als Sponsor eher nicht geeignet.

      Die Höhe des Rechnungsbetrags für die Dauerkarte auf der Südtribüne raubte mir den Atem. Es musste eine Verwechslung vorliegen. Um das mir avisierte Schnäppchen zum einmaligen Sondertarif, dem Dauerkartenpreis vom Vorjahr, konnte es sich nicht handeln. Ich hätte für diese Summe angesichts meiner bescheidenen Ansprüche auf Malle überwintern können. Aber ich nahm es wie ein Mann: Andere Männer meiner Gehaltsklasse besitzen ein Segelboot, fahren einen Porsche oder unterhalten eine Zweitpartnerschaft in Sewastopol. Ich hingegen besaß nun neben meinem Stammplatz auf der Haupttribüne einen Business-Seat im Stadion des FC St. Pauli.

      Na gut, weil ich nicht frei von Stolz bin, gebe ich zu: Es wäre mir peinlich gewesen, die Karte an den Verein zurückzuschicken. Womöglich hätten die, die mich dort kannten, gedacht, dass ich verarmt bin, weil ich meine Kohle mit Kumpels versaufe oder verzocke oder mit wildfremden Weibern durchbringe. Nein, diese Blöße wollte ich mir nicht geben.

      Ich behielt die Karte, bezahlte die Rechnung und saß beim Saison-Eröffnungsspiel gegen Rot-Weiß Ahlen auf der Südtribüne, während ich meine Haupttribünen-Dauerkarte an einen Kollegen aus einem befreundeten Verlag verliehen hatte.

      Der Platz auf der Südtribüne war nicht schlecht, aber die Ultras brüllten von der ersten bis zur letzten Minute, und als das Spiel fertig war, hatte ich gerade mal zwei Bier getrunken, eine Wurst gegessen und Kopfschmerzen von den Gesängen der Hardcore-Fans. Ich begann darüber nachzudenken, wie ich trotz meiner großen Liebe zum FC St. Pauli mit der Business-Karte mal ein richtig gutes Geschäft machen und einen entsprechenden Gegenwert erhalten könnte.

      Es war kein Trost für mich, dass ich, wie mir in einem mehrere Seiten umfassenden Begleitschreiben zu Karte und Rechnung vom Präsidium mitgeteilt worden war, nun in der Stadionzeitung und im Treppenflur des Aufgangs zur Südtribüne namentlich als Mitglied der „EHRENWERTEN GESELLSCHAFT“ aufgeführt sein würde und dass außerdem der mit braunem Kunststoff bezogene Klappsitz mit meinem Namen beschriftet werden sollte.

      Wenn ich den Preis der Südtribünen-Dauerkarte durch die Anzahl der Punktspiele der kommenden Saison teilte, dann kam ich auf einen Betrag von rund 160 Euro, die ich pro Spiel gelöhnt hatte. Mir war klar, dass ich persönlich diesen Betrag niemals durch freies Essen und Trinken im Ballsaal und auf der Tribüne würde ausgleichen können.

      Und dies, obwohl ich in einem Ort geboren und aufgewachsen bin, der in Deutschland nach der bayerischen Landeshauptstadt den zweithöchsten „pro-Kopf-Bierverbrauch“ nachweisen kann. Aber im Gegensatz zu den Münchnern haben wir alles selbst gesoffen, denn Touristen verirren sich nach Biedenkopf an der Lahn so gut wie gar nicht.

      Es lag aber auf der Hand, dass ich nicht mehr der Mann war, der im Laufe eines Spiels den Preis der Dauerkarte wegsaufen kann.

      Ich beschloss, den zukünftigen Einsatz der Dauerkarte mit meinen Söhnen Kai und Henning zu besprechen. Von beiden lässt sich sagen, dass sie nicht aus der Art geschlagen sind. Kai, der Ältere, kann sehr viel Bier trinken und auch große Portionen essen. Aber irgendwann ist auch bei ihm Schluss. Es steht ihm dann Oberkante Unterlippe. Trinkt er nur ein Glas zu viel, dann wird ihm schlecht. Kai lehnte es also ab, die Gegengerade zu verlassen und testhalber gegen den Business-Seat einzutauschen.

      Henning ist ganz ohne Zweifel derjenige in unserer Familie, der am meisten trinken kann. Er trank mir schon als kleiner Junge immer den Schaum vom Pils ab und wollte sich bereits bei der Konfirmation seines älteren Bruders, als er noch nicht einmal zur Schule ging, ein Gedeck (Bier und Korn) bestellen. Fragte man ihn damals, was er sich zum Geburtstag oder zu Weihnachten wünsche, dann sagte der Junge: „Ein Bier und was zum Lesen.“ Henning verträgt nicht nur Bier, sondern auch andere alkoholische Getränke. Nur: Wenn Henning trinkt, dann isst er grundsätzlich nichts. Einen Betrag in Höhe des umgerechneten Dauerkartenpreises pro Spiel allein durch Trinken wieder auszugleichen: Das schien selbst für so einen zähen Kämpfer wie Henning eine aussichtslose Sache zu sein.

      Er war es schließlich, der die rettende Idee hatte. Da gab es noch seinen Kumpel Jakob, mit dem er vor Jahren den Ortsverein der POGO-Partei in Norderstedt gegründet hatte. Jakob, gelernter Dachdecker, arbeitete jetzt im Hamburger Hafen. Er gierte seit Jahr und Tag danach, immer dann, wenn er nicht selbst mit seinem Verein in der Kreisliga in Elmshorn spielen musste, Spiele des FC St. Pauli anzusehen.

      Zum zweiten Spiel der Zweitliga-Saison gegen die Zebras aus Duisburg würde Jakob, den meine Söhne als den „Mann aus Eisen“ bezeichneten, zum Einsatz auf der Südtribüne kommen. Henning und Kai hatten ihn an mehreren Abenden auf seine Aufgabe vorbereitet.

      Kai, Henning und ich holten Jakob, den Mann, auf den ich alles gesetzt hatte, am Samstag, den 22. August, um neun Uhr zu Hause ab und fuhren mit ihm ins „Shamrock“ in der Feldstraße.

      Jakob trug ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „THE CHAMPION“ auf dem Rücken und eine kurze Hose, die unterhalb der Knie endete. Ich bestellte drei Becks für die Jungs und für mich ein Wasser. Jakob sah beeindruckend aus. Er war 1,90 Meter groß, an den Beinen stark behaart. Ein kantiges Kinn verlieh ihm etwas Kämpferisches, und seine hellblauen Augen ließen mich vermuten, dass er einen Zapfhahn zum Glühen bringen konnte.

      „Jakob“, sagte ich, „Jakob, du sitzt heute allein auf der Südtribüne. Essen und Trinken, alles ist frei.“

      „Alles klar, Chef“, antwortete Jakob, „I’ll do my very best.“

      Ich fragte Jakob: „Wie viel kannst du trinken, Junge?“

      „Es kommt auf die Tagesform an“, antwortete Jakob, „aber heute habe ich ein sehr gutes Gefühl.“

      Wir rechneten gemeinsam aus, was Jakob konsumieren müsste, um auf einen Gegenwert von 100 Euro zu kommen. Alsbald stritten wir darüber, ob sie im Catering des FC St. Pauli in 0,3 oder 0,4 l ausschenken und was ein Glas Bier 0,33 l im Durchschnitt in Deutschland kostet.

      Es war uns allen klar, dass, was auch immer geschehen würde, die Aufgabenstellung für Jakob sehr anspruchsvoll war. Anderthalb Stunden vor Spielbeginn verließen wir die