Wir kommen wieder!. Hermann economist Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann economist Schmidt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783895338335
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Eisen, nicht mehr zurück. Er hob die linke Faust zum Gruß wie einst 1968 die Black-Panther-Sympathisanten Tom Smith und John Carlos bei der Siegerehrung zum 200-m-Finale im Olympiastadion von Mexico-City. Ich erschauerte in Ehrfurcht.

      „Wir holen dich nach dem Spiel hier an Ort und Stelle wieder ab“, rief ich Jakob noch hinterher.

      Unmittelbar vor Spielbeginn klingelte ich Jakob über Handy an, um die Lage zu peilen und den Zwischenstand zu erkunden.

      „Ey Alter“, sagte Jakob sehr ruhig und bestimmt, „ich habe schon zwei Currywürste mit Pommes verdrückt und bis jetzt sieben Bier getrunken.“

      „Das kann sich sehen lassen“, erwiderte ich anerkennend, „aber mach schön langsam, übernimm dich nicht. Nicht, dass dir noch schlecht wird.“

      „Mir und schlecht werden“, äffte Jakob mich nach, „sehe ich vielleicht aus wie ein Mann, dem nach sieben Bierchen schlecht wird?“

      Ich gab keine Antwort, und dann sagte Jakob noch: „Aber es ist ein geiler Platz, den du da gekauft hast. Hier, direkt an der Treppe, kommt die Kellnerin alle fünf Minuten vorbei. Bei jedem zweiten Mal lasse ich mir drei Bier geben. Das flutscht nur so. Schluck, schluck, schluck, und weg ist das Astra.“

      „Gemach, gemach“, gab ich zu bedenken, „in der Ruhe liegt die Kraft. Denk dran, Jakob: Ein Spiel hat 90 Minuten.“

      „Jawohl, Herr Lehrer“, gab Jakob zur Antwort, „ich esse jetzt erst mal vier Scheiben von dem Schweinebraten und ein bisschen Rotkohl dazu.“

      Tut. Tut. Tut. Jakob hatte das Gespräch beendet. Ich suchte die Südtribüne mit bloßem Auge ab und sah von ferne, wie ein großgewachsener Mann in halblangen Hosen die Tribünentreppe hinunterschritt. Die Sonne knallte auf den Rasen. Der Schiedsrichter pfiff das Spiel an.

      Ich überschlug kurz, was Jakob schon geleistet hatte: sieben Bier, zwei Currywürste mit Pommes, und nun kämen noch mal vier Scheiben Schweinsbraten mit Rotkohl und mindestens drei weitere Biere hinzu. Da kamen schon mal locker schlappe 50 Euro zusammen.

      Das Spiel gegen den MSV Duisburg war wirklich kein Knaller. Der Kick plätscherte so vor sich hin. Was Jakob jetzt wohl trieb? Gottlob schenkten sie keinen Schnaps aus im Ballsaal.

      Ich dachte, dass es gut sei, wenn er öfter zum Klo ginge, denn eine gute Verdauung schafft Platz für Nachschub, und wie der Engländer schon ganz richtig sagt: „What comes in, must come out.“

      In der Halbzeit meldete sich Jakob wieder. Seine Stimme klang gedämpft, die Sprache hatte an Fahrt verloren.

      „Alter“, sagte er langsam, „mein Alter, ich sehe mir jetzt das Spiel auf der Großbildleinwand im Ballsaal an. Ich sitze an der Theke. Und dreimal darfst du raten, was hinter der Theke ist.“

      Ich schwieg einen Moment, um zu überlegen.

      Und wieder Jakob: „Nu rate mal, Alter!“

      „Woher soll ich das wissen“, entgegnete ich, „nun lass schon die Katze aus dem Sack. Jakob, was ist hinter der Theke?“

      „Na, was schon“, tönte Jakob, „was ist hinter der Theke, was wird da wohl sein, du Eimer. Eine rattenscharfe Alte ist hinter der Theke.“

      Jakob schien schon ganz schön knülle zu sein. Auf dem Platz lag eine Niederlage gegen die Zebras in der Luft.

      „Jakob“, sagte ich, „reiß dich zusammen, solche sexistischen Sprüche kannst du beim FC St. Pauli nicht bringen, und schon gar nicht in diesem noblen Ballsaal. Sie werden dich noch rausschmeißen.“

      „Mann“, sagte Jakob, „Mann, Hermann, mich und rausschmeißen. Die Frau hinter der Theke heißt Lucy und sieht aus wie eine Zigeunerin, einfach hinreißend. Und ich kommunisiere mit ihr.“

      „Wie“, fragte ich, „was soll das heißen, du kommunisierst mit ihr.“

      „Ja, kommunisieren, das ist schon etwas mehr als reden“, antwortete Jakob, „die Sprache ist nämlich die Quelle aller Missverständnisse.“

      „Soso“, sagte ich resignierend.

      „Und“, ergänzte Jakob, „wie sagte schon der berühmte französische Flugzeugpilot und Dichter Saint-Exupéry, kurz bevor er in der afrikanischen Wüste abstürzte, er sagte ganz einfach: ‚Man sieht nur mit den Augen gut.“‘

      Ich konnte nur noch den Kopf schütteln.

      „Das wird noch böse enden“, dachte ich.

      Nun flüsterte Jakob: „Ja, und sie hat mir schon aus der Hand gelesen. Augen hat sie, die Lucy, schwarz wie die Nacht. Damit hat sie mir aus der Hand gelesen. Ich sage dir, sie verfolgt jeden Millimeter meiner Hand-Innenfläche, jede Spur und jede Linie, und sie sagt, dass in der Lebenslinie geschrieben steht, dass ich treu und ehrlich bin und im Mai des kommenden Jahres wird etwas ganz Unglaubliches passieren.“

      „Was soll passieren im nächsten Frühjahr“, fragte ich ganz ruhig.

      „Darauf kommst du nie, Alter“, sagte Jakob nun wieder lauter.

      „Nee, keine Idee“, antwortete ich.

      „Der FC St. Pauli steigt auf“, sagte Jakob bedeutungsschwanger, „es steht in meiner Hand geschrieben.“

      Ich war sprachlos.

      „Da staunst du, was?“ fragte Jakob.

      Ich sagte nichts mehr.

      „Lucy, mach mir noch mal drei Bier“, hörte ich ihn von ferne sagen. Jakob hatte sich wohl die nächste Runde bestellt.

      „Ich bin bei Bier Nummer 13“, erklärte er wieder leise und fügte dann flüsternd hinzu: „Ich verschwinde nun mal kurz in der Besenkammer.“

      „Jakob“, sagte ich, „Jakob, hör jetzt auf mit dem Scheiß, die Toilette ist einen Stock höher.“

      „Die Besenkammer such ich“, sagte Jakob, „nicht die Toilette.“

      Ich war mit den Nerven fertig. Hoffentlich zeigte der meine Dauerkarte mit dem Namen HERMANN SCHMIDT nicht herum. Das konnte ja noch heiter werden. Wo doch sexuelle Belästigungen und jedwede andere Unverschämtheit in unserem Verein von Corny & Co. mit drakonischer Härte verfolgt wurden.

      Nach 90 mittelmäßigen Minuten stand das Spiel 2:2, und der Schiedsrichter pfiff ab. Florian Bruns war der überragende Mann auf dem Platz gewesen. Henning, Kai und ich warteten vor der Südtribüne auf Jakob. Nach einer Viertelstunde stand Jakob mit einem strahlenden Lächeln vor uns. Neben ihm stand eine dunkelhaarige, junge Frau, die so schön war, dass es meinen Söhnen und mir die Sprache verschlug. Sie sah aus wie die jüngere Schwester von Julia Roberts, nur noch verführerischer.

      „Und ab geht die Lucy“, sagte Jakob, und Lucy zwinkerte uns zu.

      Er legte den rechten Arm um ihre Hüfte, gab mir die Dauerkarte zurück und verabschiedete sich. Wohin sie anschließend gegangen sind, das wird Jakobs Geheimnis bleiben und ebenso, ob Jakob tatsächlich 13 Bier an diesem Nachmittag getrunken hat.

      Die Investition für die Business-Karte aber hat sich durch eine glückliche Fügung bezahlt gemacht. Wir haben dem Mann von der Kartenabteilung des FC St. Pauli ein Schnippchen geschlagen. Lucy und Jakob haben sich nämlich zu Weihnachten 2009 verlobt. Wo kriegt man schon eine Frau fürs Leben zu einem solchen Spottpreis?

      Das größere Wunder freilich war der von Lucy vorhergesagte Aufstieg des FC St. Pauli ein paar Monate später.

      KAPITEL 2

      EIN TRAUM WIRD WAHR

      Im Jahr 2009 war ich insgesamt viermal an Blasenkrebs operiert worden. An dem Tag, an dem der Urologe Bernd Hoffmann aus Ulzburg meine Krankheit entdeckt hatte, dem 30. Januar 2009, wusste ich noch nicht, was mir in den kommenden Monaten bevorstehen würde.

      Wenn mir jemand ernsthaft vor der Saison 2009/10 prophezeit hätte, dass der FC St. Pauli in die Bundesliga aufsteigen würde,