Als er am nächsten Morgen aus ihrem Bett gestiegen war, waren sie sich darüber einig gewesen, dass es nicht das letzte Mal gewesen sein sollte. Vanessa war der Ansicht, dass Sex ein super Katalysator zum Stressabbau war. Schließlich trieben es deshalb die Bonobo-Affen auch den ganzen Tag. Und Menschen waren doch auch nur eine weiterentwickelte Affenart, besonders wenn es ums Vögeln ging. Das war ihre gegenwärtige Lebensphilosophie. Die Absprache zwischen ihnen war eindeutig, es ging um heiße Dates – ohne Verpflichtungen. Und das hatten sie jetzt schon fast ein Jahr über ganz ohne jeden einengenden Zwang so praktiziert.
In den nächsten Tagen war Ben aber nicht verfügbar und am Wochenende hatte sie ihrer Freundin Lara versprochen, mal wieder vorbeizuschauen. Sie atmete tief durch, seufzte und gab dann die Anweisung für den Start zum Dreh der Wiederholungsszene: »Und Action.«
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Marcs Tag im Büro war sehr nervig gewesen. Nicht nur, dass der Abgabetermin für die Ausschreibung drückte, er hatte außerdem ein Gutachten auf dem Tisch liegen, bei dem er sich keinen Fehler erlauben durfte. Des Weiteren klingelte pausenlos das Telefon mit überflüssigen Anfragen von diesem unfähigen Bauleiter, dem das Großprojekt für das Erlebnishotel wohl langsam über den Kopf wuchs. Dabei brauchte der sich doch nur mal die Pläne genau anzuschauen und die Arbeiten dementsprechend zu organisieren, schließlich war das sein Job. Und als sei das nicht genug, rief dann noch die Melzer an. Zum hundertsten, vielleicht sogar zum tausendsten Mal musste er mit der Kundin die Bauzeichnungen durchgehen. Sie war immer noch nicht zufrieden und verlangte einen sofortigen Vor-Ort-Termin. Dabei waren die Pläne für das Atelier schon längst abgeschlossen, besiegelt und von allen Seiten akzeptiert worden, sodass in Kürze die Umbaumaßnahmen beginnen konnten. Aber Frau Melzer hatte dann noch dies und das und überhaupt, vielleicht ist es ganz anders ja viel besser. Wieder und wieder die gleiche Litanei. Es war für Marc nicht ganz einfach, immer die Gelassenheit zu bewahren. Doch sie war eine Kundin und er lebte von solchen Aufträgen. Deshalb machte er sich am späten Nachmittag noch auf den Weg in dieses Dorf vierzig Kilometer von Berlin entfernt.
Dorothee Melzer war eine alleinstehende Multimillionärin, die sich ein Anwesen auf dem Land gekauft hatte. Sie hatte kürzlich die Malerei als ihren neuen Lebensinhalt entdeckt und wollte den Dachboden der alten Scheune zu einem Atelier ausbauen lassen, während sie im unteren Geschoss einen Galeriesaal plante. Die Bausubstanz war ordentlich, seiner Meinung nach trotzdem die reinste Geldverschwendung. Er zweifelte daran, dass die Kunst von Frau Melzer jemals einen ernsthaften Interessenten erreichen würde. Aber diese Ansicht behielt er natürlich für sich.
Die Kundin empfing ihn auf dem Hof des Anwesens. Sie war gerade aus dem Haus getreten, hinter dem die Scheune stand. Sie trug einen bunten chinesischen Seidenkimono und glitzernde Riemchensandaletten. Er konnte nicht genau sagen, ob es sich bei ihrem Umhang um einen Bademantel oder ein Zirkuskostüm handelte. Irgendwie wirkte das auf diesem verlassenen Bauernhof, wo es normalerweise intensiv nach Kühen und Schweinen duftete, reichlich deplatziert. Er schätzte sie auf Ende vierzig, Anfang fünfzig, ihre Aufmachung sollte aber mindestens zehn Jahre davon ungeschehen machen. Dennoch war sie recht attraktiv, sodass das Bemühen, jünger zu wirken, noch nicht die Grenze zur Peinlichkeit überschritt. Ihre schwarzen Haare trug sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, ihr bleiches Gesicht glänzte, als habe sie gerade eine Antifaltenkur aufgetragen.
Die Begrüßung fiel überschwänglich aus, Bussi auf die Wange links, Bussi auf die Wange rechts. Längst hatte Dorothee ihm das »Du« angeboten und Marc zweifelte langsam daran, dass es ihr überhaupt um den Ausbau des Dachgeschosses ging, sie schien einfach nur wieder einmal nach seiner Aufmerksamkeit zu gieren. Es war in den letzten Wochen kaum ein Tag vergangen, an dem sie ihn nicht unter irgendeinem Vorwand angerufen hatte. Irgendwann musste damit Schluss sein. Vielleicht war heute der richtige Tag, ihr das klarzumachen. Nur deshalb hatte er sich überhaupt die Mühe gemacht, hier herauszufahren.
Sie plapperte wie ein Wasserfall, sodass er kaum zu Wort kam. Am Ende ihres Monologs bat sie ihn, dass er sich doch noch mal die Lage auf dem Dachboden anschauen möge, wo das Atelier geplant war. Sie habe inzwischen Zweifel, ob das mit dem Lichteinfall hinhaue. Seinen Einwand, dass die Beleuchtungssituation mit den momentanen Dachluken überhaupt nicht mit der zu vergleichen sei, welche bei den späteren riesigen Atelierfenstern herrschen würde, ließ sie nicht gelten. Er solle sich das bloß noch einmal anschauen, wenn er dann immer noch der Meinung sei, dass die geplante Lage auf der Südseite des Dachbodens in Ordnung wäre, würde sie für immer schweigen wie ein Grab. Marc betete heimlich, dass sie das wörtlich nehmen würde, er hatte aber eigentlich kaum eine berechtigte Hoffnung.
Es gab noch keine Treppe in dem Gebäude, sodass sie den Dachboden über eine Leiter erklimmen mussten, wie es in den alten Bauernscheunen üblich war. Dorothee stieg vorweg, mit dem bunten Seidenmantel und den offenen Schuhen nicht gerade optimal