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Lara saß vor dem halb fertigen Text und war innerlich so aufgewühlt, dass sie Mühe hatte, sich auf den Artikel zu konzentrieren. Okay, er ließ sie mal wieder allein. Hatte er gesagt, wie lange er dieses Mal wegblieb? Nein, jedenfalls nicht, dass sie sich erinnern konnte. Wenn es nur ein, zwei Wochen waren, dann konnte sie gut damit leben. Mehr noch, sie hatte sich sogar schon bei dem Gedanken ertappt, dass sie das Alleinsein genoss. Meist traf sie sich dann häufiger mit ihrer Freundin Vanessa. Aber wenn es sich wieder um ein oder zwei Monate handelte, dann fühlte sie sich mit der Arbeit in Haus und Garten im Stich gelassen. Das letzte Mal, als sie sich darüber beklagt hatte, war die Situation eskaliert. Er verstand nicht, dass es ihre Kräfte überstieg, das alles neben ihrer eigentlichen Tätigkeit zu bewältigen.
Michael war es gewesen, der entschieden hatte, etwas weiter außerhalb der Stadt ein Haus im Grünen zu kaufen. Sie hatte dieses Nest schon mehr als einmal verflucht. Man war weitab vom Schuss und sie hatte das Gefühl, ständig unter der Beobachtung von spießigen Nachbarn zu stehen. Andere würden diese Vorstadtidylle mit den geometrisch geschnittenen Hecken, den akkuraten Beeten und den perfekt gemähten Rasenflächen für das Nonplusultra halten. Lara aber fühlte sich isoliert. Sie war es gewohnt gewesen, mitten in der City zu wohnen. Das pulsierende Leben um sich herum zu spüren, war für sie wichtig gewesen, sonst fiel ihr schnell die Decke auf den Kopf. Michael hatte sie aber geschickt schachmatt gesetzt. Ihr war bewusst, dass er es nicht gerne sah, wenn sie ab und an aus der trauten Zweisamkeit ausbrechen wollte. Ohne einen fahrbaren Untersatz war man hier lebendig begraben. Darum hatte sie gleich nachdem sie hier eingezogen waren auch endlich ihren Führerschein gemacht. Sogar Michael war stolz auf sie gewesen, weil sie sehr schnell gelernt und die Prüfung mit Bravour bestanden hatte. Doch bei einer ihrer ersten eigenen Fahrten passierte das Unglück: Sie hatte nach einer Feier bei Freunden extra auf Alkohol verzichtet, um Michael ihre Fahrtüchtigkeit zu demonstrieren. Doch dann war ihr im Dunklen ein Rentner, der ohne Licht mit seinem Fahrrad unterwegs gewesen war, geradewegs vor das Auto gefahren. Nach dem Unfall brachte sie es nicht mehr fertig, sich hinter das Steuer zu setzen. Obwohl es dem Mann nach kurzem Krankenhausaufenthalt sehr schnell wieder gut gegangen war, stellte dieser Zwischenfall für sie immer noch ein Trauma dar. Jedes Mal, wenn sie es abermals probierte, war sie wie blockiert und hatte es nach einer Weile Michael allein überlassen. Die meisten ihrer alten Bekannten und Freunde hatten es irgendwann sattgehabt, so weit hinauszufahren, um sie zu besuchen. Michael konnte es auch nicht ausstehen, wenn Fremde über Nacht blieben. Und ein Taxi für den weiten Weg wollte sich kaum jemand leisten. Also gehörten die gemütlichen Abende mit ein paar Gläschen Wein und heiteren Geschichten, die sie früher mit ihren Freunden sehr oft erlebt hatte, bald der Vergangenheit an.
Lediglich ihre beste Freundin aus alter Zeit, die sie erst vor wenigen Monaten wiedergetroffen hatte, hielt zu ihr und kam in regelmäßigen Abständen vorbei. Vanessa, diese quirlige taffe Person, bewunderte und verehrte sie. Wenn sie doch etwas mehr wie sie wäre. Dann hätte sie sicher nicht Michaels Drängen nachgegeben, in diesen trostlosen Vorort zu ziehen. Aber was tat man nicht alles, wenn man jung und verliebt war.
Als sie noch in der kleinen Stadtwohnung gelebt hatten, war sie unabhängig gewesen. Wenn er fortfuhr, hatte sie schnell ein paar Freunde zusammengetrommelt und sie waren um die Häuser gezogen. Aber jetzt, hier draußen, war das nicht möglich.
Er hatte sie immer wieder vertröstet und sie gebeten, ihm den Rücken freizuhalten, schließlich täte er das ja nicht nur für sich allein, sondern für sie beide. Seine Unschuldsbekundungen verstand sie, das machte die Sache aber nicht wirklich besser. Klar war es nicht seine Schuld, dass er so oft ins Ausland musste, das brachte sein Job schließlich mit sich. Auch wenn sie Verständnis dafür hatte, das Gefühl des Verlassenseins wurde dadurch nicht gemildert.
Und sie wusste, wenn sie ihre Verzweiflung jetzt zur Sprache brachte, wurde das Diskussionsthema Nummer eins wieder unnötigerweise aus der Schublade gekramt. Wenn sie Kinder hätten, dann wäre sie nicht mehr allein. Damit traf er immer wieder ihre Achillesferse. Er wollte sie einfach nicht verstehen. Sie hatte ihm gefühlte tausend Mal gesagt, dass sie noch nicht bereit war, Mutter zu werden. Mit ihren neunundzwanzig Jahren hatte sie endlich ihre beruflichen Interessen unter einen Hut gebracht und war glücklich mit dem, was sie tat. Wenn sie ein Kind zu versorgen hätte, dann müsste sie bei allem Abstriche machen, wofür sie so hart gekämpft hatte. Es gab Frauen, die waren für das Kinderkriegen einfach nicht geschaffen. Lara glaubte, zu ihnen zu gehören. Sie war eindeutig noch nicht bereit dafür, eine solch schwerwiegende Entscheidung zu treffen, die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen. Heute wurden die Mütter immer älter, sie hatte noch genügend Zeit. Sie hätte sich von ihm mehr Verständnis für ihre Situation erhofft.
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Kurz vor 22.00 Uhr hatte sie es tatsächlich noch geschafft, den Artikel an den Verlag zu senden. Zufrieden klappte sie den Laptop zu: »So, Feierabend.«
Als sie auf dem Weg ins Bad am Wohnzimmer vorbeikam, bemerkte sie, dass Michael vor dem Fernseher eingenickt war. Wenn er so schlief, erinnerte sie sich daran, wie sie ihn kennengelernt hatte. Sein jungenhaftes Aussehen und sein verschmitztes Lächeln hatten sie damals verzaubert. Er war ein paar Jahre älter als sie und machte ihr von Anfang an den Hof. Seine Ausdauer diesbezüglich hatte ihr imponiert, und obwohl sie es eigentlich total verrückt fand, nahm sie seinen Antrag an und heiratete ihn. Ihre Familie war damit überhaupt nicht einverstanden gewesen und das hatte bei ihr eine Trotzreaktion hervorgerufen. Endlich konnte sie ihnen beweisen, dass sie auf eigenen Beinen stand. Michael hatte gerade sein Diplom gemacht und einen Job angenommen. Am Anfang mussten sie sparsam haushalten, aber sie waren zusammen. Die Liebe lässt einige Entbehrungen leichter ertragen. Wenn man glücklich ist, dann braucht man nicht viel. Und manchmal wird man unglücklich, wenn man zu viel hat.
Sie machte sich für die Nacht fertig, schaltete im Wohnzimmer den Fernseher aus und setzte sich neben ihren Mann auf das Ledersofa.
»Micha, hey, aufwachen! Komm mit ins Bett.« Sacht rüttelte sie ihn an seiner Schulter und strich ihm das Haar aus dem Gesicht. In den letzten zwei Jahren war es lichter geworden. Deutlich traten immer höhere Geheimratsecken zutage. Dass er sich darüber ärgerte, wusste sie. Er war schon immer sehr eitel gewesen. Wann immer er Zeit hatte, fuhr er ein paar Kilometer mit dem Rad und jeden Morgen kontrollierte er sein Gewicht auf der Waage. »Schatz, komm schon hoch.«
»Mhm.« Er öffnete die Augen. »Wie spät?«
»22.30 Uhr, es wird Zeit! Du kommst sonst morgen nicht aus dem Bett.«
»Geh schon vor. Ich komme gleich nach.« Langsam erhob er sich und schlurfte ins Bad.
Das Schlafzimmer hatte sie eingerichtet. Damals hatten sie sich darauf geeinigt, dass er das Wohnzimmer aussuchen durfte und sie das Schlafzimmer. Das war ein guter Deal gewesen, denn sein nüchterner Möbelgeschmack hätte diesen Raum mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu der Wohlfühloase gemacht, die er jetzt war.
Das große französische Bett stand an der rechten Wand, daneben eine Relax-Liege, auf die sie sich ab und an zurückzog, wenn sie ein Buch lesen oder etwas auf dem Tablet-PC recherchieren wollte. Vor den Fenstern hingen Gardinen und üppige Pflanzen zauberten eine besonders entspannende Atmosphäre. Diesem Raum hatte sie eindeutig ihren Stempel aufgedrückt und er stand in einem krassen Gegensatz zu der supermodernen Hightech-Landschaft ihres Wohnzimmers. Den Beamer hatte sie ihm ausreden können, aber bei der schwarzen Ledergarnitur und der hochglänzenden Schrankwand hatte er nicht mit sich handeln lassen.
Sie schloss das automatische Rollo mit einem Knopfdruck. Das leise Summen des Motors war für sie das Signal zur Nachtruhe. Sie schlug die Decke zurück und legte sich ins Bett. Seine Nachttischlampe ließ sie an, damit er problemlos ins Bett finden konnte. An diesem Morgen hatte sie die Bezüge gewechselt, der Duft des Weichspülers hing noch im Zimmer und sie sog die Luft tief ein. Kaum zehn Minuten später kam Michael schlaftrunken angetrottet und legte sich neben sie. Vermutlich war es ein Fehler, ihn jetzt danach zu fragen, aber sie war einfach zu neugierig.
»Wie lange musst du weg?«
»Zwei