Von Gottes Gnaden - Band II. Nataly von Eschstruth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nataly von Eschstruth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711448175
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recht unfertiger Façon!“ Sie blickte lächelnd auf ihr raffiniert elegantes Negligee nieder und liess sich die Hände küssen. „Und Erika kommt bereits von einem Spaziergang heim, wie mir Doris starr vor Staunen mitteilte. Wird sich bald legen, diese Passion; heute sehen wir allerdings nur Gäste zu Tisch bei uns, aber morgen Premiere, und dann Nacht für Nacht die Feste! Am Ende der Woche schläfst du auch bis zwölf Uhr, petite!“

      „Sie sehen so erhitzt aus, Bäschen!“ lächelte Joël, mit schnellem Blick in das noch immer vor Verlegenheit glühende Gesichtchen. „Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?“

      „Nein, nein, mein Jungchen, Erika legt besser in ihrem Zimmer ab! Nicht wahr, Herzchen? Und dann kommst du schnell wieder zu mir zurück! Ich möchte nämlich mal die unvermeidliche Toilettenfrage mit dir erörtern, ob du für die Campagne, welche dir bevorsteht, auch genügend gerüstet bist!“

      „Davon kannst du doch überzeugt sein, Mamachen; sieh sie doch an, wie allerliebst und chic sich selbst ein Heideblümchen anziehen kann, wenn Geschmack dahinter sitzt! — Vor Erika ist mir absolut nicht bange, aber das Exterieur des guten Wigand lastet wie ein Alp auf mir. Bei ihm ist kein Ding unmöglich in dieser Beziehung, selbst eine Düffeljoppe und Schmierstiefeln zum Diner nicht! — Wie sah er gestern abend wieder aus! — rasend! — Hätte ich ihn auf der Strasse begegnet, hätte ich: „Guten Morgen, Onkel Bräsig!“ gerufen!“

      „Er beabsichtigt, sich neu zu equipieren!“ — wagte Erika begütigend einzuwerfen, aber bei dem Anblick des hypereleganten jungen Herrn vor ihr fiel der Kontrast zwischen den Pflegebrüdern auch ihr etwas beängstigend auf. —

      „Na, dann haltet die Daumen, Kinder, dass er nicht zu irgend einem Winkelschneider läuft und die grosse Ausgabe an antidiluvianischem Schnitt wieder einspart. Ich kann mich leider nicht darum bekümmern, weiss so wie so nicht, wo mir heute der Kopf steht. Jetzt will ich noch auf einen Moment in die Probe fahren und dann ... ach so, meine Damen ... gut, dass es mir einfällt, leider — ich sage leider! — kann ich heute nicht mit euch frühstücken, ich musste gestern abend mein Wort geben — wie das so ...“

      „Armer Schelm! — unterbrach Frau Elly, hinter dem Spitzentuch gähnend. „Was will man denn schon wieder von dir!!“ —

      „Muss mit der Dorflurle und ihren Partnern Austern essen, Mamachen! — hilft nichts — die Mädels sind es gewöhnt, dass man ihnen die Cour macht!“ —

      „Natürlich — natürlich. Ich verstehe. Selbstredend beurlauben wir dich. Sei nur präcise zum Diner zurück, du weisst, es kommt recht viel auf einzelne Persönlichkeiten an!“ —

      „Unbesorgt, — ich bin so pünktlich, dass die Sonne sich künftighin bei mir nach der Zeit erkundigen soll!“ —

      Er verabschiedete sich und ging. Erika zog sich in ihr Zimmer zurück, um abzulegen. Ihre Schläfen hämmerten. Ein beinahe erloschenes Feuer war jählings wieder in ihrem Herzen aufgeflammt, aber seltsam — schon zogen Rauchschatten verdunkelnd darüber hin. Im ersten Augenblick hatte Joëls Benehmen einen tiefen berauschenden Eindruck auf sie gemacht und ihr Auge geblendet, — je mehr aber das Blut wieder aus ihren eigenen Wangen wich, desto klarer blickte auch ihr geistiges Auge.

      Warum änderte er sein Benehmen so vollständig, als die Geheimrätin eintrat? Schämte er sich seines Empfindens oder fand er dasselbe ungehörig? Ja, das war das richtige Wort dafür. Die Art und Weise, wie er ihre Hände drückte und küsste, wie er sie ansah, war nicht respektvoll, und auch die leidenschaftlichste Liebe darf einer Dame gegenüber nie den Respekt ausser acht lassen, will sie nicht zur Beleidigung werden.

      Erika grub die Zähnchen in die Lippe. In Joëls Augen ist ja die Liebe nichts anderes, als eine amüsante kleine Episode, welche täglich die Heldin wechselte. Auch sie ist ihm nichts anderes, als die Vertreterin solch einer entwürdigenden Eintagsrolle.

      Warum hat Wigand sich niemals eine ähnliche Kühnheit erlaubt, wie sein Pflegebruder? Warum ist seine Verehrung so völlig andrer Art, derart, dass ein junges Mädchen in seiner Gegenwart nie voll Scham zu erröten braucht, dass sie sich in seiner Gegenwart beschützt und ritterlich behütet weiss, als schritten Pflicht und Ehrgefühl verkörpert an ihrer Seite? —

      Wigand hat wohl niemals die Liebe derart in den Staub getreten wie Joël, sie auch niemals so tief, tief im Sumpf gesucht, wie er!

      Erika ist eine viel zu feinfühlige Natur, um nicht instinktiv den unlauteren Hauch zu empfinden, welcher die sonst so peinlich elegante, parfümierte Erscheinung des jungen Dandy umgibt. Und in dieser Beziehung steht sie noch vor einem Rätsel, welches weder ihr Herz noch ihr Verstand lösen können.

      Ist Joël wirklich die gottbegnadete, geistig so hoch entwickelte, ideale Persönlichkeit, welche laut der mütterlichen Versicherung ein unsterbliches Werk geschaffen — wie kann alsdann sein Denken und Empfinden doch so niedrig stehen, — wie kann neben der strahlenden, fleckenlosen Vollkommenheit des Genies so viel Unbeständigkeit, Leichtsinn und Untugend bestehen? —

      Ist es nicht ganz natürlich, dass die Kunst einen Menschen veredelt? — Ist wirklich derjenige gottbegnadet, welcher so wenig göttliche Regungen in seinem Innern nährt? —

      Wunderbares Ringen und Kämpfen zwischen Herz und Verstand! — In derselben Stunde, welche ihr Herz in hochauflammender Liebe einem Mann von neuem entgegen trug, richtete ihr Verstand denselben so erbarmungslos und scharf wie noch nie vorher. Sie hob das Köpfchen voll stolzer Entschiedenheit auf den Schultern. Mochten Hunderte von Weibern und Mädchen ihre Liebe und sich selber wegwerfen an einen Mann, welcher sie, cynisch lächelnd — gleich wie eine Rose pflückt, um sie tags darauf gelangweilt beiseite zu werfen; — bei einer soll ihm kein Sieg und Lohn werden. Das schlichte Heideblümchen neigt sich nicht einer jeden Hand, welche es zur Kurzweil entblättern will. —

      XV.

      Vor dem Opernhaus herrschte das aussergewöhnlich rege Leben, Hasten und Treiben, welches jede Premiere mit sich zu bringen pflegt.

      Pünktlicher wie gewöhnlich rollten die Equipagen herzu, elegante Schleppen rauschten durch die Foyers, Uniformen blitzten, eine auffallende Menge von Herren in Frack und Klapphut befand sich unter dem erregten Publikum.

      Wahrhafte Freunde der Musik, kunstsinnige Laien und ausübende Künstler, Fremde im markierten Reisekostüm und skandalsüchtige Mitglieder der Gesellschaft, welche keine Erstaufführung versäumen wollen, in der Hoffnung, einen „kleinen Radau“ zu erleben. —

      Eine neue Oper ist immer ein Ereignis, und mit welch ausserordentlicher Spannung es diesmal erwartet wurde, bewies der Ausdruck der Gesichter, das lebhafte Gestikulieren, das Für- und Widerreden der einzelnen Trupps, welche plaudernd zusammenstanden.

      Die grimme Schar der Kritiker, teils wohlwollend unparteiisch, teils von vornherein absprechend und missgünstig nach den unbedeutenden Erstlings-Kompositionen des jungen Künstlers urteilend und um ihretwillen sofort alle weiteren Leistungen verurteilend, nahmen voll hoher Erwartung ihre Plätze ein, die Brillengläser putzend, wie ein Schlächter das Messer wetzt.

      Agenten tauschten ihre Hoffnungen und Befürchtungen aus, die „Geschäftsleute“ der Musikbranche berechneten und überlegten ... aller Augen hafteten an dem Vorhang, als hinge das Wohl und Wehe eines Weltalls von seinen Enthüllungen ab.

      Der erste Rang war von sehr vielen Damen besetzt. Die Mütter voll stolzer Genugthuung, dem Hause des jungen Komponisten gesellschaftlich nahe zu stehen, die Töchter glühend und fiebernd in freudiger Ungeduld, alle aber überzeugt davon, dass der heutige Abend ein grosser, eminenter Triumph für Joël Eikhoff und seine Anhänger werden müsse.

      Waren nicht schon so viele alarmierende Nachrichten in die Öffentlichkeit gedrungen, wie die Intendanz, die Kapelle und die Sänger begeistert von dem neuen Werke wären?

      Ein Klopfen am Notenpult des Kapellmeisters. Das leise Schrillen und wirre Durcheinander des Geigenstimmens bricht ab. —

      In die Loge des Intendanten ist die Mutter des Komponisten getreten. Eine wundervolle Toilette glimmert und schillert in leuchtenden Atlasfalten um ihre elegante Figur. Sie