Von Gottes Gnaden - Band II. Nataly von Eschstruth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nataly von Eschstruth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711448175
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und es soll ebenso sieghaft glücken, wie schon so manches andere. —

      Joëls Blick sprang plötzlich ab und streifte Erika. Er lächelte, lächelte über sich selber und sein flatterhaftes, unberechenbares Herz.

      Soeben hatte er neben der kleinen Unschuld vom Lande Platz genommen, mit dem Vorsatz, ihr ein wenig die Cour zu machen und sich an dem naiven, übermächtigen Eindruck zu ergötzen, welchen ein derartiger Triumph auf ein so unberührtes, weltfremdes Kinderherz machen musste, und nun sitzt er an ihrer Seite und liegt mit allen Gedanken in dem Zauberbann eines fremden, koketten Weibes. just, als habe klein Erika der Erdboden verschlungen, Wie ist er überhaupt auf die absurde Idee gekommen, dieses nüchterne, duftlose Blümlein hierher unter Belladonna und fliegende Herzen zu holen?

      Wenn er ihr beinahe starres, heute so bleiches und kühl abweisendes Gesichtchen ansieht, begreift er nicht, was ihm eigentlich an dem Beifall dieses so absolut uninteressanten Wesens liegen konnte!

      Je nun, der Abwechslung halber hatte er sich einmal mit einem Heideblümchen schmücken wollen, weil er sich an dem modernen Blumenflor der leichtlebigen Grossstadt satt geschaut hatte.

      Nun war etwas Unerwartetes dazwischen getreten.

      Der Lorbeer, welcher die verzauberte Daphne birgt, ist vielleicht der seltenste und eigenartigste Schmuck für einen Künstler.

      Die mandelförmigen, träumerischen Augen der schönen Griechin brennen immer heisser in den seinen. Sie macht kaum noch ein Hehl daraus, dass Joël Eikhoff das einzige Wesen im weiten Weltraume ist, welches sie interessiert.

      Wer aber hätte an dem heutigen Abend anders empfunden?

      Wohin der gefeierte Mann blickt, grüsst ihn die Bewunderung und Begeisterung aus jedem Auge, und dennoch kehrt sein Blick stets zu dem einen Antlitz zurück, welches sich mit dem reizenden Schleier des Geheimnisvollen umhüllt. Wie gleichgültig, wie teilnahmlos sitzt Erika an seiner Seite!

      Das thörichte Ballett, harmlos wie Zuckerwasser und poetisch solide wie eine Kindergeschichte, scheint sie derart zu fesseln, dass sie ganz und gar vergisst, neben wem sie eigentlich sitzt.

      Was würden sämtliche anwesende Damen darum gegeben haben, in dieser Stunde neben dem Komponisten der Dorflurle sitzen und zeigen zu dürfen, dass ein verwandtschaftliches, freundschaftliches, oder noch zarteres Band sie aneinander fesselt. Wie leicht hätte die Kleine ein paar Strahlen seiner Ruhmessonne auch auf sich hinüberleiten können, wie leicht die Aufmerksamkeit der Menge auch auf sich lenken, um Zinsen daraus zu schlagen, so dicht am Brennpunkt des allgemeinen Interesses zu stehen!

      Aber der Begriff Eitelkeit schien für das harmlose Kind ein völlig unbekannter zu sein und so sehr, wie sonst das Ewig-Weibliche es liebt, sich in gutem Lichte zu präsentieren und vor einer neugierigen Menge alle Mittel spielen zu lassen, so gleichgültig und verständnislos wies Erika jeden Vorteil zurück, sie zerrann wie ein fahler Nebelstreif in dem Strahlenglanz des aufgehenden Ruhmesgestirns eines Joël Eikhoff.

      Die Vorstellung näherte sich dem Ende; ein Applaus welcher nur wie ein schwaches Echo des Vorhergegangenen erklang, erstarb schnell in dem lauten Geräusch des allgemeinen Aufbruchs.

      Stühle klappten, Stimmen brausten durcheinander, Lachen, Rufen, Schlurren, ein Begrüssen und Lebewohlsagen.

      Wieder waren Mutter und Sohn Eikhoff der stürmisch umringte Mittelpunkt einer Menge, welche gar nicht Worte genug finden konnte, ihren Enthusiasmus dem „göttlichen Unsterblichen“ gegenüber auszudrücken. Erika stand weit zur Seite und liess sich von Wigand den Mantel um die Schultern legen.

      „Was fehlt dir, Kousinchen? Du siehst so ... so absonderlich aus, als ob die Dorflurle auf dich nicht den Eindruck gemacht hätte, wie auf die Schar jener Sterne dort, welche die Sonne umkreisen! — Gefiel dir die Oper nicht? Auf mich hat die Musik einen schönen, wirklich grossen Zauber ausgeübt!“

      Sie nestelte mit bebenden Fingern an dem Mantelhaken, so eifrig, dass sie nicht aufblickte.

      „Und der Text?“ fragte sie leise, —„wie gefiel dir der?“

      Er zuckte die Achseln. „Das dürfte allerdings Geschmackssache sein. Mir ist es unfasslich, warum die moderne litterarische Kunst sich meist so anstössige Vorwürfe wählt. Man hätte die Dorflurle mit Leichtigkeit zu einer schuldlosen, sehr sympathischen Frauengestalt machen können. Aber diese Verirrung des Dichters darf man doch unmöglich dem Komponisten zum Vorwurf machen!“

      „So? — wahrlich nicht?“ Ihre Stimme klang so eigentümlich gedehnt, dass er sie überrascht anblickte.

      „Hältst du Joël etwa auch für den Librettisten?“

      Sie schüttelte beinahe heftig, mit ironischem Lächeln das Köpfchen. „Nein!“

      „Nun, wie wäre er alsdann verantwortlich?“

      „Lass uns nachher darüber sprechen.“

      „Warum später? Wir stehen hier so isoliert, dass kein Mensch auf uns achtet oder hört.“

      „Gut. Denke dir, ich habe die Überzeugung, dass Joël den Text abgeändert hat, dass er den Dichter bestimmte, ein Werk, seinem Geschmack angemessen, in solch schmutzige Tinten zu tauchen.“

      „Glaubst du? Das wäre empörend. — Warum taxierst du aber Joëls Geschmack so sehr niedrig? Lag in seiner Musik nicht ein so edler, idealer Zug, dass man kaum an eine realistische Richtung glauben konnte?“

      „Nach Joëls eigenem Ausspruch interessiert ihn kein weibliches Wesen, welches als Verkörperung der Tugend erscheint!“

      „Und das sagst du?!“ — Heisse Glut stieg in Landens Antlitz, er neigte sich vor, als habe er nicht recht verstanden.

      Erika senkte in momentaner Verlegenheit die Augen. „Und warum soll ich es nicht sagen? — Können wir alle uns nicht täglich davon überzeugen? Machte er ein Hehl daraus, dass ihm die Dame in dem griechischen Kostüm, welches du tadeltest, lebhaft interessierte, so lebhaft, dass er ununterbrochen mit ihr kokettierte?“

      Momentan schwieg Wigand. Die Freude, welche er soeben empfunden, neigte schon wieder schmerzlich enttäuscht das Haupt.

      Eifersucht! — Was er für klaren, ruhigen Scharfblick gehalten, war nichts anderes, als ein Gefühl bitterer, leidenschaftlicher Eifersucht!

      Wie war das auch anders möglich! — Welch ein Herz, dessen Liebe einem Joël Eikhoff gehört, konnte an diesem Abend gleichgültig bleiben, wo dem jungen Komponisten nicht nur Lorbeeren, sondern auch ungezählte purpurrote Rosen zu Füssen gelegt wurden?

      „Das ist leider die hässliche Angewohnheit und Einbildung von so vielen Künstlern, dass sie in dem frivolen Wahn stehen, nicht nur für eine, sondern für alle leben zu müssen! Die Bräute und Frauen berühmter Männer dürfen nicht eifersüchtig sein, sondern müssen das Herz des Geliebten mit der ganzen Welt teilen. Dafür ist die Ehre und Auszeichnung, unter Tausenden die Erkorene zu sein, der einzige Lohn!“

      Erika presste die Lippen zusammen. „Wie schlimm wäre es, sollte es von dieser bösen Regel nicht auch Ausnahmen geben! — Glaubst du auch, dass es die Künstlerinnen den Künstlern gleichthun?“

      „Ich kenne zu wenig berühmte Damen, um darüber urteilen zu können. Aber ich gestehe dir ehrlich, dass ich der Ansicht bin: Wer so mit allen Gedanken und allem Schaffen und Arbeiten nur für das Publikum, die Menge, lebt, kann unmöglich das Herz in einen so kleinen, engbegrenzten Horizont einer einzigen Liebe zwängen!“

      Sie blickte beinahe entsetzt zu ihm empor. Ihr Antlitz brannte wie in Schamesglut.

      „Gott im Himmel, wie furchtbar wäre es, wollten alle so urteilen, wie du. Leider Gottes mag sich viel Leichtsinn und Flatterhaftigkeit hinter den Schild der freiliebenden Künstlerseele flüchten, aber diese Menschen sind wohl nicht die massgebenden und echten Künstler, sie sind nicht die von Gottes Gnaden, sondern nur deren Zerrbilder, welche die gesamte Genossenschaft in Misskredit bringen.“

      Sie unterbrach sich, wandte sich erregt um und folgte der Geheimrätin, welche