Von Gottes Gnaden - Band II. Nataly von Eschstruth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nataly von Eschstruth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711448175
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ein derart tumultuarischer Applaus das Haus erschüttert, wie an diesem Abend, und als Joël wieder und immer wieder erscheinen musste, als die Lorbeerkränze dichter und dichter zu seinen Füssen niederfielen, da hob der gefeierte Künstler das Haupt stets selbstbewusster auf den Schultern und das Lächeln, mit dem er dem Publikum dankte, war nicht mehr so liebenswürdig, wie zuvor, sondern drückte nur noch nachlässige Huld aus. —

      Wenige Augenblicke danach erschien er in der Loge, um seiner Mutter die Hand zu küssen. Es geschah in der ihm eigenen, etwas theatralischen Weise, welche stets den Effekt bei dem Zuschauer berechnet. —

      Wieder stürmte die Schaar der begeisterten Freunde, der Agenten und Neugierigen die Loge, die Ovationen „en detail“ zu wiederholen, und Erika stand im fernsten, dunkelsten Eckchen und wunderte sich, mit welch blasierter Gleichgültigkeit Joël seinen Erfolg plötzlich aufnahm. Hatte sie doch seine fiebernde Aufregung gesehen, in welcher er vor Beginn der Oper im Salon daheim auf und nieder gerast war.

      Da zitterte er in dem Gedanken, dass irgend eine Widerwärtigkeit, ein tückischer Zufall, eine Rancüne seiner Gegner und Neider die Dorflurle noch im letzten Augenblick zu Fall bringen könne, und nun stand er so erhaben lächelnd, als sei ihm keinen Augenblick ein Zweifel an seiner Unfehlbarkeit gekommen. Wie war ein solches Wesen in dieser Stunde möglich? — Das junge Mädchen begriff es nicht.

      Ehe die herbe, schmähliche Enttäuschung kam, welche sie durch die Verunstaltung des von ihr geschriebenen Textes erlitten, war ihre ganze Seele voll Licht, voll inniger, dankbarster, warmherzigster Begeisterung.

      Wie musste die tiefe Bewegung, das Glücksgefühl dieser erhebenden Stunden sich erst auf Joëls Antlitz spiegeln, bei ihm, dessen höchstes Ziel, dessen jahrelang brennender Wunsch, dessen ganzes Streben und Verlangen an diesem Abend so glänzend erfüllt wurde! — Und nun stand er da, kaum sich höflich verneigend, das Haupt selbstbewusst im Nacken, mit der Miene eines Triumphators, der nicht seinen Tribut vom Volke dankbar entgegen nimmt, sondern ihn fordert.

      Die Lorbeerkränze hatte er achtlos beiseite auf einen Sessel geworfen, seine Augen suchten aufblitzend in den Reihen des Publikums, als wolle er noch von jedem einzelnen Gesicht einen Hymnus der Verzückung ablesen.

      Da ein kleines Ballett die Vorstellung beschliessen sollte, nahm die Menge ihre Plätze nach kurzer Pause wieder ein.

      Joël trat hinter den Sessel seiner Mutter. „Ich hatte eigentlich die Absicht, dich hinter die Coulissen zu führen, liebe Mama, damit du den Sängern auch ein paar Worte der Anerkennung sagen solltest. Die Zeit ist aber zu knapp geworden und ich denke, du holst das Versäumte nachher in unserm Hause nach. Mit deiner gütigen Erlaubnis habe ich die mitwirkenden Künstler eingeladen, noch ein Glas Sekt auf das Wohl des ‚Neugeborenen‘ bei uns zu leeren. Wie ich hörte, hast auch du soeben noch Einladungen ergehen lassen. Sind wir irgendwie an Platz und Raum gebunden?“

      „Durchaus nicht, Darling! Ich habe mich auf viele Gäste eingerichtet und darum Buffet bestellt.“

      Die Sprecherin wandte sich hastig um, zu Mister Smith, welcher mit einem gigantischen Blumenstrauss erschien, um auch der Mutter des Gefeierten eine Huldigung darzubringen.

      Sie war entzückt, brillierte sehr laut mit ihrem tadellosen Englisch und nahm den ziemlich schweigsamen Sohn Albions durch zahllose kleine Liebenswürdigkeiten derart in Anspruch, dass weder er noch sie Zeit für ihre Umgebung hatten.

      Mister Smith lächelte wie ein Kater im Sonnenschein und liess die Koketterie der schönen Frau widerstandslos über sich ergehen.

      Joël wandte sich zum erstenmal zu Erika und Wigand, ihnen gönnerhaft die Hände entgegen zu strecken.

      „Nun, Kinder — seid ihr ganz — oder halb weg?“ — scherzte er. —

      „Erika ist sprachlos und Landen wortlos — na — auch in diesem Verstummen liegt eine Eloge, dieselbe, welche die schöne Helena empfand, als sie in den Rat der Männer trat und diese bei ihrem Anblick vor Staunen und Entzücken ebenfalls — — sich ... ausschwiegen!“ — Er lachte wohlgelaunt auf, gleicher Zeit sich etwas vorneigend und starr in die gegenüber liegende Loge schauend

      „Die schöne Helena!! bless me! wenn man von dem Fuchs spricht, steht er bereits hinter der Hecke! — Sehen Sie doch einmal, Heideblümchen, welch eine eigenartige Frauengestalt mir soeben die Ehre erweist, ihr Opernglas auf mich zu richten! — Erkennen Sie die Dame, Erika? Ich meine die weissgekleidete — à la griechische Statue anzuschauen!“ —

      „Sie ist mir bereits als interessante Schönheit aufgefallen!“ — nickte das junge Mädchen zerstreut, während Wigand etwas missbilligend das Haupt wegwandte.

      „Ihre Erscheinung ist derart auffallend, dass ich noch nicht ganz einig mit mir bin, auf welches Genre von Emancipation ich sie taxieren soll!“ —

      „Auffallend! — o du keuscher Josef! Wenn du diese decente Toilette schon auffallend nennst, was wirst du erst beim Anblick unserer extravaganten Schönen sagen! Jene Dame hat sich etwas griechisch gekleidet — der goldene Gürtel, die Frisur mit dem antiken Diadem — findest du es etwa geschmacklos? ich nicht. Ah! endlich lässt sie das Glas sinken. Welch scharmantes Lächeln! Ich glaube ‚sie errötet unter meinem Blick! — Geistvolles, pikantes Gesicht, ganz meine Passion! Aha ... Madame will ein wenig kokettieren ... gut, ich nehme Amors Fehdehandschuh auf!“ —

      Joël strich das dunkle Schnurrbärtchen herausfordernd empor, und blitzte das fremdartige Gegenüber mehr kühn wie respektvoll an.

      Die Dame in Weiss wandte sich brüsk ab und redete sehr lebhaft mit den Herren und Damen ihrer Umgebung.

      „Länger wie zwei Minuten schmollt sie nicht; wetten Wigand?“ — lachte Eikhoff.

      Keine Antwort.

      Statt dessen ein leises Auflachen des Sprechers.

      „Da haben wir sie schon wieder! — ‚Blickchen hin und Blick hinüber!‘ — zappelt bereits wie ein Fisch an der Angel. Was auf der Bühne passiert, ist ihr absolut gleichgültig. Mein Wort darauf — im Foyer begegnen wir uns nachher.“

      Da Erika und Landen mit vollstem Interesse dem sehr poetischen und hübschen Ballett zu folgen schienen, widmete sich der Komponist der Dorflurle mit um so ungeteilterer Aufmerksamkeit der schönen Ausländerin. —

      Ausländerin! Wie ein Blitz schoss ihm jählings ein Gedanke durch den Kopf. Daphne! Wäre es denkbar, dass er die Gesuchte hier vor Augen hat?

      Die Beschreibung, welche man ihm in Gutland von ihr gemacht, könnte genau stimmen.

      Das leicht gewellte Haar, sehr tief in die Stirn gelegt, die dunklen, geistsprühenden Augen, das zarte, etwas wachsbleiche Gesicht mit den schön gezeichneten Lippen ... ihre aussergewöhnliche Kleidung, welche fraglos eine Nachahmung griechischen Gewandes sein soll ...

      Aber unglaublich! wie sollte sie diese kleine Komödie, diese übermütige Reisetollheit auch hier in der nüchternen, nordischen Hauptstadt fortführen? Spielt sie etwa auch hier die göttliche Daphne, welche vor einem Apollo flieht?

      Eikhoff lächelt mit der Miene des sieggewohnten Frauenlieblings.

      „Bah, kleine Unsterbliche — den Apollo sollst du finden! und wenn ich genug gelernt in Weiberaugen zu lesen, — so entfliehst du ihm dieses Mal nicht! — einen Teil von dir habe ich heute schon erbeutet, den Lorbeer, in welchem deine verzauberte Seele wohnt!“

      Es war, als ob die eigenartige Frau seine Gedanken von weitem aus seinem Auge abgelesen und verstanden hätte. Sie gab das prüde Abwenden und Verstecken hinter dem Fächer auf, um ihre Blicke lang und träumerisch, gross aufgeschlagen auf ihm haften zu lassen. So starrt ein Reh gebannt und geängstigt in ein helles Licht, welches blendend vor ihm aufzuckt.

      Joël hatte viel zu viel Erfahrung in solchem „Vorpostengeplänkel“, um nicht überzeugt zu sein, dass dieser Augenaufschlag, dieses „Festsaugen“ des Blickes gar fleissig und wohlberechnet vor dem Spiegel eingeübt war, aber gerade diese Überzeugung reizte ihn an, der schönen Sirene waghalsig in den Weg zu treten.

      War