Es war nur eine Frage der Zeit, bis ganz New Orleans aus exakt diesem Grund hinter ihm stehen würde.
Sergei antwortete Kir, bevor Roman die Gelegenheit nutzen konnte, um seine Blutlust zu stillen. „Du wirst es regeln.“
Hinter dem Tresen wandte Dorothy sich um und warf Sergei einen Blick zu, den man nur als Resignation bezeichnen konnte, und sagte dann etwas zu Evette, bevor sie sich in die Küche verzog.
Evette starrte ihn an. Ihre Arme waren überkreuzt und ihr Gesichtsausdruck hatte nichts mehr von der gewohnten Leichtigkeit. Was auch immer die feya auf dem Herzen hatte, es schien ernst zu sein.
Das gefiel ihm nicht.
Kein Stück.
Er zwang sich dazu, seine Aufmerksamkeit wieder auf Kir zu richten. „Übertreib es nicht. Etwas Kleines. Gerade genug, um eine Botschaft zu senden, aber nicht genug, um einen Krieg anzuzetteln. Wir werden Alfonsi gegenübertreten, wenn die Zeit reif ist.“
Kir nickte nur einmal kurz und griff nach seiner Kaffeetasse.
Evette stieß sich vom hinteren Tresen ab, umrundete die Bar und kam mit langsamen, aber zielstrebigen Schritten näher. Ihr Weg führte sie direkt zu ihm. Er spürte den Drang, sich aufzurichten, doch bevor seine Muskeln in Aktion treten konnten, konzentrierte er sich darauf, sein Verhalten unbeeindruckt wirken zu lassen. Würde sich ein Mörder mit einer Waffe auf ihn zubewegen, wäre die Maske seine zweite Natur. Nur ein weiteres persönliches Gespräch mit dem Tod.
Aber als Evette auf ihn zukam, war es eine ganz andere Erfahrung. Hinter seinem Brustbein breitete sich ein unbekannter Druck aus. Ein Adrenalinschub machte seine Haut übersensibel und ließ die Umgebung bedeutungslos werden.
Beunruhigende Reaktionen.
Gefährlich für einen Mann wie ihn.
Romans tiefe Stimme drang kaum zu ihm durch, der russische Klang ihrer Muttersprache war wie ein beruhigendes Streicheln. „Zwei Audienzen an einem Tag. Und die hier ist mit einem Lamm.“
Kirs Mund zuckte. „Ich würde sie nicht unbedingt als Lamm bezeichnen. Aber das könnte interessant werden.“
„Nicht für euch beide“, sagte Sergei, als sie sich dem Tisch näherte. „Weil ihr nicht hier sein werdet.“
Dieses Mal machte sich Kir gar nicht erst die Mühe, sein Lächeln zu verbergen. Er wagte es sogar, zu lachen, während er aufstand und zu Roman sah, der bereits auf den Beinen war. „Wie ich schon sagte, nur eine Frage der Zeit.“
Evette blieb genau zwischen ihnen am Tisch stehen. So winzig, wie sie war, ließ sie Kir und Roman wie Riesen aussehen, aber sie beäugte die beiden mit einer bewundernswerten Furchtlosigkeit. „Unterbreche ich gerade etwas, das ich nicht unterbrechen sollte?“
Roman schenkte ihr etwas, das einem Lächeln bei ihm am nächsten kam, und bot ihr den Platz an, den er soeben frei gemacht hatte. „Nein, Madam. Bitte setzen Sie sich doch.“
Einige Sekunden lang inspizierte sie den ihr angebotenen Platz, die beiden Männer neben ihr und alle hinter ihr sitzenden Gäste. Dann, mit der gleichen Entschlossenheit, die er bereits während ihres Gesprächs mit Dorothy beobachtet hatte, straffte sie ihre Schultern und glitt auf den Platz rechts von ihm. „Danke.“
„Gerne.“ Roman neigte seinen Kopf Richtung Sergei und wechselte wieder ins Russische. „Viel Glück, moy brat.“
Kir imitierte die respektvolle Geste, doch seine Augen glänzten mit genug Heiterkeit, um zu versprechen, dass er später auf Details drängen würde. „Glücklicher Bastard.“ Er deutete mit dem Kinn Richtung Bürgersteig und wechselte zurück in die Landessprache. „Wir warten draußen.“
Sergei ignorierte den Spott und wandte seine Aufmerksamkeit Evette zu, nachdem die beiden davongeschlendert waren. „Ms. Labadie. Ihr Besuch an meinem Tisch kommt unerwartet.“
„Sie kennen meinen Namen?“
„Sie holen Ihren Sohn jeden Tag nach der Schule hier ab, besuchen Dorothy auch bei anderen Gelegenheiten häufig und manchmal arbeiten Sie sogar für sie. Es wäre nachlässig von mir, Ihre Patentante nicht nach dem Namen einer schönen Frau zu fragen, die ich so oft hier sehe.“
Sie verzog ihren Mund auf einer Seite, gerade mit gerade genug Verärgerung und Ironie, um zu beweisen, dass sie Sinn für Humor besaß. „Dorothy hat vergessen zu erwähnen, dass Sie charmant sind.“
Er war also das Thema ihres Gesprächs gewesen. Interessant. Er vermutete außerdem, dass dies wohl auch die Resignation auf Dorothys Gesicht erklärte, bevor sie in der Küche verschwunden war – seine feya brauchte etwas. Etwas, das wichtig genug war, um sich mit dem Teufel einzulassen, und ihre Patentante hatte nichts getan, um es zu verhindern. „Das kann ich durchaus sein.“ Aufzuzählen, was für Fähigkeiten ihm häufiger nachgesagt wurden, war unnötig. Es schwebte zwischen ihnen wie ein schwankender Sensenmann im Wind, der nur auf seinen nächsten Auftrag wartete.
Evette zappelte auf ihrem Sitz herum und schob Romans verlassene Kaffeetasse an den Tischrand. „Wissen Sie, meine Momma hat hier früher gearbeitet. Fast von dem Tag an, als Dorothy und ihr Ehemann das Diner eröffnet haben.“ Sie sah zu dem Tresen, an dem Emerson saß und nun seine Hausaufgaben erledigte. „Ich habe immer genau dort gesessen, wo Emerson jetzt ist, während ich darauf gewartet habe, dass sie ihre Schicht beendete. Wenn ich keine Hausaufgabe aufhatte, ließ Dorothy mich arbeiten, Salz- und Pfeffersteuer befüllen, Zuckerpäckchen auffüllen oder das Besteck in Servietten einrollen.“
Sie war ebenso ein Einzelkind und nun eine Alleinerziehende; wer Emersons Vater war, wusste nicht einmal Evette selbst. Sie lebte in einem heruntergekommenen Wohnhaus, das Sergei in den letzten drei Monaten zweimal zu kaufen versucht hatte, aber jetzt, wo er neben ihr saß – ihre Stimme hörte und ihrer unerschütterlichen Güte so nah war –, befeuerte das nur seine Motivation, alles zu bezahlen, was nötig war, um das Geschäft endlich abzuschließen. „Das weiß ich.“
Echte Überraschung erhellte ihr Gesicht. „Wirklich?“
„Dorothy hat Sie sehr gern. Sie hat mir viele Dinge erzählt. Auch, wie Ihre Mutter ihr nach dem Tod ihres Mannes beigestanden hat.“
Etwas von der Vorsicht, die sie mit an den Tisch gebracht hatte, verschwand und eine Düsterkeit legte sich über ihre haselnussbraunen Augen. Sie stützte ihre Unterarme auf den Tisch und zeichnete mit dem Zeigefinger die Linie ihres Fingernagels nach. „Das war eine schwierige Zeit. Es war ungefähr ein oder zwei Monate nach dem Hurrikan Katrina und alle waren nervös. Ich glaube, niemand hätte gedacht, dass es so schlimm werden würde, dass jemand für Essen erschossen werden würde.“
Aber Dorothys Mann war genau das passiert. Sergei hatte die Details dazu selbst nachgeschlagen. Nach Geschäftsschluss war ein Mann eingebrochen, der verzweifelt seine Familie ernähren wollte. Dorothys Ehemann war der Einzige, der zwischen dem Schützen und der von ihm begehrten Ware gestanden hatte. „Sie waren damals fünfzehn.“
Dieses detaillierte Wissen erregte ihre Aufmerksamkeit innerhalb eines einzigen Herzschlags, und eine hart erlernte Vorsicht machte sich in ihrem strahlenden Blick breit.
Ja, malen’kaya feya. Ich weiß alles über dich.
Er musste es nicht sagen. Sie fühlte es und respektierte die Gefahr, die es repräsentierte.
Umso besser für sie beide. Wenn sie eine Bitte hatte, war es klug, sich daran zu erinnern, mit wem und mit was sie es zu tun hatte, bevor sie die Anfrage stellte.
Für einen Moment ließ er die unangenehme Stille zwischen ihnen schwelen, dann gab er ihr einen verbalen Schubs. „Wollten Sie über etwas Bestimmtes mit mir sprechen, Ms. Labadie?“
Sie hielt seinem Blick stand. Ihre Augen waren ausdrucksstark, durchlässig für all die Emotionen, die sich dahinter regten. Angst. Vorsicht. Verzweiflung und