Kleine Dämonen. Walther von Hollander. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Walther von Hollander
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711474617
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noch — „Ihr wißt es ja alle“ — denunziert habe, unter Lebensgefahr aus Berlin herausholen? „Niemand“, sagte Spernser dumpf und feierlich, und wir antworteten im Chor, wie Statisten beim Rütli-Schwur: „Niemand, niemand.“ Darauf brach die Schütze weinend zusammen. Und da kein anderer Mann in der Nähe war, begoß sie mit ihren Tränen Tellermanns Rockaufschläge. Tellermann streichelte etwas verlegen Fräulein Schützes Hinterkopf, während das fünfundfünfzigjährige Häschen verkniffen versicherte, daß zu ihrer Zeit, die freilich eine andere Zeit gewesen sei, die jungen Mädchen „ihre Seidenwäsche nicht vor aller Augen gewaschen hätten“.

      Mit diesem etwas vagen und kühnen Bild schloß für mich der letzte Koburger Abend. Als ich hinausging, prallte ich auf den Schenkknecht Maiboom, der sich hineinzudrängen versuchte, aber nicht hineinkam, weil Spernser und Willigrodt ihm die Tür wieder vor der Nase zudrückten und abschlossen. „Der Ortsgruppenleiter ist getürmt“, schrie er. „Ich kann ihn nicht melden. Aber kaltmachen werde ich den Kerl. Ich dreh ihm den Kopf um wie einem alten Hahn. Verstehn Sie.“

      4

      Tessy kam erst gegen elf Uhr wieder. Ich war auf meinem. Lehnstuhl, alle Decken auf den Knien, eingeschlafen. Es war eiskalt. Aber Tessy hatte ein Marktnetz voll Kohlen mit. Ihre Freundin hatte sie ihr geschenkt. „Als Abfindung“, sagte sie in ihrer ruhigen Sachlichkeit. „Dreißig Kohlen ... das ist für eine Freundin billiger als vierzehn Tage einen Gast haben.“ Sie war im übrigen recht vergnügt, heizte und kochte, ohne mich um Erlaubnis zu fragen, einen kräftigen Tee. Es wurde ganz behaglich. Kohlen heizen eben doch besser als grünes, sperriges Lindenholz.

      Ich las ihr vor, was ich den Tag über geschrieben habe. „Damit du weißt, wo wir alle herkamen.“

      Sie nickte gleichmütig. „Ich weiß ... aus dem Sumpf. Ihr wart alle völlig verkommen.“

      „Aber einig und verträglich“, sagte ich.

      Sie schlürfte ihren Tee und sah mich listig-lustig über die Tasse weg an. „Wenn jeder macht, was ihm gerade durch den Sinn fährt, und alle schrein im Chor bravo ... da ist es kein Kunststück, einig zu sein.“

      „Du irrst dich“, sagte ich etwas gereizt, „gerade wenn keiner Rücksicht auf den anderen nimmt, müßte doch ein Krieg aller gegen alle entstehn. Nichts war ... bis du und Manuela ...“

      Sie schnaufte verächtlich. „Ich und Manuela, als ob Manuela sich mit irgend jemandem vertragen hätte. Nicht einmal mit ihren Männern.“

      Ich sagte: „Die alte Walpurga hat mir gesagt: Sie ist so schön, man muß sie lieben.“

      „Walpurga war schon siebzig und hat keinen Mann gekannt. Da konnte sie leicht überirdisch gut sein.“

      Wir stritten uns lange über Walpurga und darüber, ob das Alter gut oder böse mache. Wir kamen weit vom Thema ab.

      Tessy hatte außer den Kohlen noch fünf englische Zigaretten geschenkt bekommen. Senior Service, meine Lieblingsmarke. Drei gab sie mir, als Anzahlung auf die Miete. „Macht fünfzehn Mark“, sagte sie.

      „Du willst also bleiben?“ fragte ich. Im selben Augenblick tat mir meine Frage leid, denn ich sah, wie ihr Tränen in die Augen schossen. Trotzig setzte ich hinzu: „Findest du nicht, daß das auf die Dauer ein bißchen komisch ist? Die Kälte ... und ich habe dann immer die Pflicht, dich zu wärmen.“

      Sie sagte: „Ich finde nichts Komisches dran. Aber so seid ihr Männer. Ungeheuer liberal in euren Reden. Sobald sich dann jemand wirklich anständig benehmen soll, ganz einfach menschlich und mal ausnahmsweise nicht männlich, dann kommt er sich bestenfalls komisch vor. Du kannst ja annehmen, ich wäre deine Tochter. Den Jahren nach geht das lange.“

      „Ich habe nie eine Tochter gehabt. Ich weiß nicht, wie das ist“, sagte ich verstockt.

      Sie ging fort und erschien nach ein paar Minuten wieder in ihrem hübschen Hauskleid, das von der vorigen Nacht her etwas zerknittert war. „Dann wirst du das eben lernen, mein Lieber“, sagte sie und schlüpfte ins Bett.

      „Zieh wenigstens das Hauskleid aus. Das verknüllt ja ganz und gar“, sagte ich und legte mich zu ihr. Ich hörte im Dunkeln noch, wie das Hauskleid durch die Luft flog.

      5

      „Warum schreibst du nicht?“ fragte Tessy. „Ich denke, Journalisten schütteln alles aus dem Ärmel.“

      „Erstens ist es noch nicht raus, ob ich in diesem Fall ein Journalist bin oder ein Dichter“, erwiderte ich verdrießlich.

      „Und zweitens“, sagte Tessy, „ist es auch für einen Dichter kein Kunststück, einfach aufzuschreiben, was andere erlebt haben. Du selbst hast doch nichts erlebt. Das haben wir für dich mit übernommen. Oder?“

      „Nein ... ich habe nur zugeguckt, wie ihr, den Honig aus den Blumen des Lebens saugend, über die Wiesen eurer Abenteuer flattertet. Dann habe ich euch Schmetterlinge eingefangen, aufgespießt, sorgfältig die bunten Flügel mit Stecknadeln auseinandergezerrt, damit der schillernde Flügelstaub draufblieb, und nun habe ich euch. Leider ist ein Kasten toter Schmetterlinge noch kein Sommer.“

      „Den Sommer kriegst du auch nicht raus“, sagte Tessy aggressiv. „Noch dazu bei dieser Saukälte.“

      „Noch dazu bei deinem impertinenten Geschwätz. Entweder du hältst jetzt deinen niedlichen Mund oder du fliegst in die Eiskammer und ich hole dich erst heute abend tiefgekühlt wieder raus, verdammtes junges Gemüse! Du willst nur nicht, daß dein sündiger Lebenswandel der Nachwelt überliefert wird. Paß mal auf: in ein paar Jahren gibt’s wieder Anstand und Moral, und solche leichtfertigen Frauenzimmer wie du dürfen höchstens noch in Büchern Vorkommen, die man unter dem Ladentisch hervorholt und flüsternd an alte Herren verkauft, die sich mühsam noch mal jung fühlen wollen.“

      „Selbst alter Herr“, grinste Tessy tückisch, „wärmt sich an den Feuerchen, an denen wir uns die Nase verbrannt haben.“

      „Ob du jetzt deinen Grünschnabel hältst?“

      „Ja.“

      So sitzen wir denn beide dicht am Kanonenofen, in dem schon fünfzehn von Tessys dreißig Briketts verschwunden sind. Tessy im Kreuzsitz auf der Couch, vor sich auf einem Brettchen ihre Aquarellfarben und ein Stück Seidenstoff, in der linken Hand ein Bündel haarfeiner Pinsel und einen Pinsel in der rechten Hand, den sie zuweilen in Farben taucht, um ihn dann blitzschnell abzulecken und zu einer stecknadeldünnen Spitze zu drehn. Sie scheint noch unentschlossen, womit sie den Stoff bemalen soll. Ich habe den Tisch dicht ans Feuer gezogen und tippe, die letzte Senior Service im linken Mundwinkel.

      „Du kannst mal den Eingang nach Wallberg malen“, sagte ich. „Dann haben wir wenigstens die gleichen Gedanken. Wenn ich schreibe, dürfen hier im Zimmer nicht deine albernen Empfindungen wie Sommerfliegen durcheinanderflattern.“

      „Mimosus“, sagte sie spöttisch, „wenn wir Frauen auch so zarten Gemütes wären wie ihr Männer, so empfindsam mit den Nerven, wir wären längst alle im Irrenhaus.“

      „‚Die‘ Frauen und ‚die‘ Männer ... über so was mußt du dich mit Spernser unterhalten, für mich gibt’s keine ‚die‘ Frauen, sondern nur mehr oder weniger minderwertige Einzelexemplare. Annähernd menschenähnliche Wesen mit Gemütern wie Schlachterhipde und Nerven wie ostpreußische Ackergäule, zum Verderben der Männer als zarte Figuren verkleidet, zuweilen hübsch anzusehn und selten gut davon zu essen.“

      „Du sprichst wahrhaft zart und ehrfurchtsvoll vom weiblichen Geschlecht“, sagte Tessy sachlich. „Jetzt weiß ich, warum dich keine Frau liebt. Du hast mir oft leid getan, aber nun ...“

      „Hältst du jetzt endlich den Mund und begibst dich an deine überflüssige Arbeit?“

      „Nur noch eins: Hast du wirklich nie geliebt?“

      „Ich sagte dir gestern schon: Liebe habt ihr erst erfunden. Und jetzt male, Künstler, rede nicht.“

      Endlich ist