»Nun ja, Doktor Lind hat uns anscheinend verlassen. Was hast du sonst noch an Gästen zu bieten?«
»Tja, da sind noch die Burlins. Bist du ihnen schon einmal begegnet? Sie haben auch ein Sommerhaus auf Norrön. Die beiden sind wirklich ein beeindruckendes Paar, ein bisschen umständlich höflich, genau nach deinem Geschmack. Aber alt natürlich – sie ist bestimmt schon fünfzig und er eben über sechzig. Er ist Anwalt und sie Schauspielerin. An sie erinnerst du dich bestimmt.«
»Kerstin Burlin-Nilsson?«
»Ja.«
Selbstverständlich erinnerte ich mich an sie. Vor fünfzehn, zwanzig Jahren – nein, mein Gott, es musste fünfundzwanzig Jahre her sein! – war sie einer der vielversprechendsten Stars Schwedens gewesen, mit einem besonderem Talent, gräfliche Gutsherrentöchter mit Hang zu eleganten Rettern aus niederem Stand darzustellen. Dann hatte sie das Theater verlassen und war von Stockholm weggezogen, und im Laufe der Zeit war es still um sie geworden.
»Und er ist Anwalt, sagst du? Willst du dein Testament aufsetzen oder wie ist er zu dieser Ehre gekommen?«
Der Staatsminister antwortete, sie seien bei dem Anwaltsehepaar zwei Sommer hintereinander eingeladen gewesen, und Margareta habe gemeint, dass sie nun eine Gegeneinladung aussprechen müssten und dass das Testament schon seit zehn Jahren fertig in der Notariatskanzlei liege.
»Du bekommst ein Stück Land und Silber aus dem 18. Jahrhundert. Ja, Lindö kannst du ja nicht kriegen, du verstehst, die Kinder … Aber ich weiß was! Wir können für dich ein Stück da hinten bei der Schneise abtrennen! Da sind zwar hauptsächlich Klippen, aber du kannst dort einen Steingarten anlegen. Anwalt Burlin kann bestimmt so eine Klausel aufsetzen!«
Ich fürchte, ich habe gleich brüsk reagiert – ziemlich überflüssig, wie ich jetzt finde. Aber dort vor Ort, mit allem um mich herum, wurde diese vage Möglichkeit plötzlich zu grausamer Realität, und ich sah mich schon als Herr über steuerpflichtige, algenbewachsene Klippen, bevölkert von Kindern, Hunden und Steingärten. Es genügte vollkommen, am Buffet stehen und das Silber putzen zu müssen.
Der Staatsminister versprach, den Gedanken wieder zu verwerfen, und wir gingen zur Laube hinauf, wo Herr und Frau Burlin zuletzt gesichtet worden waren.
»Huhu, ist da jemand?« schrie der Staatsminister und steckte den Kopf in die Laubmassen.
Das war der Fall. Da drinnen auf der Bank saßen seine älteste Tochter und Niklas Svennberg und küssten sich ausgiebig.
»Oh, macht nur weiter«, sagte der Staatsminister und trat einen Schritt zurück.
»Ein umständliches, altes Paar«, murmelte ich.
»Ja, ein süßer Anblick, oder? Der Vorteil an solchen Gummischuhen ist, dass man so viel Erheiterndes zu sehen und zu hören bekommt. Brauchst du etwas Abwechslung, dann musst du dir unbedingt ein Paar anschaffen. Du kannst dir meine ausleihen. Komm, Burlins haben sich nach weiter oben verzogen!«
Ich erwiderte, mir liege nichts daran, anderen Leuten in ihren intimen Momenten hinterherzuschnüffeln und sie zu fragen, ob sie heiraten wollten.
»Aber sie sind schon verheiratet! Ja, das nehme ich jedenfalls an. Zumindest Anwalt Burlin macht einen schrecklich bürgerlichen Eindruck. Ach so, du meinst Eva und Niklas. Das weiß ich nun wirklich nicht. Aber sie haben natürlich vor, im Herbst zusammenzuziehen.«
»Zusammenziehen?«
»Ja, zusammen wohnen. Sie haben gerade eine Wohnung entdeckt.«
Ich muss sagen, in manchen Dingen ist der Staatsminister in der Tat hoffnungslos modern. Aber wenn er schon als Vater kein Verantwortungsgefühl hat, dann wenigstens ich als Onkel.
»Wer ist eigentlich dieser Niklas Svennberg? Ja, ich weiß, er ist dein Sekretär. Aber was hat er für einen Hintergrund und für eine Ausbildung, und womit will er sich beschäftigen, und kann er eine Gattin ernähren … hm, eine Frau?«
Obwohl ich recht aufgeregt war, gelang es mir, alles Wesentliche in meiner Frage unterzubringen.
»Sie wird selbst für ihren Unterhalt sorgen, das hoffen wir«, antwortete der Staatsminister ruhig. »Und Niklas ist ein prächtiger Bursche. Schwere Kindheit, glaube ich, Adoptivkind. Studierte Jura, während er einer regelmäßigen Arbeit nachging. Als Reisebüromensch. Hätte ich nie geschafft. Eva hat ihn letzten Winter beim Tanzen kennengelernt und ihn ein paar Mal mit nach Hause gebracht, und als er sein Examen in der Tasche hatte, fragte ich ihn, ob er mir nicht bei meinen Papieren behilflich sein könnte. Jetzt hat er Urlaub, aber er bleibt lieber hier und arbeitet auf dem Grundstück als irgendwohin zu verreisen. Heutzutage ungewöhnlich für einen jungen Menschen. Eva wird für den Rest des Sommers auf einer Insel als Schwimmlehrerin arbeiten. So haben sie sich gegenseitig umeinander.«
Es hörte sich so an, als ginge es um zwei Kleinkinder mit Kontaktschwierigkeiten zur Welt der Erwachsenen. Und die Worte »auf dem Grundstück arbeiten« interpretierte der Herr Privatsekretär offensichtlich auf seine Weise …
Wir strebten weiter voran durch Blaubeergebüsch und Wildnis, über Bolzplätze, vorbei an der Schaukel und dem Trapez. Und dort lag die kleine Hütte und glühte in der Sonne, und die Stimmen drangen von der Hinterseite zu uns, gedämpft, aber deutlich, kontrolliert, aber gefühlsbetont.
»… meine Liebste, du darfst nicht …«
»… ich kann seinen Anblick einfach nicht mehr ertragen …«
»… mach keine Dummheiten, das ist er nicht wert! Am besten, du ignorierst ihn einfach …«
Der Staatsminister war in dem kniehohen Gras stehengeblieben, und er spitzte die Ohren wie ein alter Jagdhund.
»Huhu, ist da jemand?« rief ich, irgendjemand musste es schließlich tun.
Ein Herr tauchte an der Giebelwand auf.
Es war ein Gentleman alter Schule, das erkannte ich sofort, eines dieser leider immer seltener werdenden Exemplare, die einen Besuch auf dem Lande nicht zum Vorwand nehmen, ihre Kleidung zu vernachlässigen. (Ich habe viele hochgestellte Herren auf Lindö gesehen, die wie Landstreicher gekleidet waren.)
Anwalt Burlin – ich vermutete, dass es sich hier um ihn handelte – trug kreideweiße Tennisschuhe, eine weiße lange Hose und ein blaues Seglerjackett. Sommerlich leicht, aber würdig – eine strenge, aber bewundernswerte Kombination.
Der Mann war eine Zierde seiner Kleider. Hochgewachsen, weißhaarig und gebräunt wie er war, konnte man ihn für einen Schiffsreeder auf eigenem Deck in warmem Fahrwasser halten.
»Mein Schwager, Studienrat Persson, Anwalt Burlin«, versah der Staatsminister seinen Dienst, und Arme wurden ausgestreckt und Hände geschüttelt, und ich wünschte mit einem Mal, ich hätte meinen sehr abgetragenen, hundefreundlichen Mantel abgelegt.
»Ein wirklich wunderbarer Tag«, sagte Anwalt Burlin, und die Worte klangen entschlossen und schön, als kämen sie von einer alten Standuhr.
Das Haar an den Schläfen wuchs ungewöhnlich gerade nach oben und bildete gewissermaßen je einen Kamm auf jeder Seite um den spärlich bewachsenen Schädel. Die Augen waren grau, der Blick forschend, vertrauenserweckend. Anwaltsaugen, die auszudrücken schienen: »Komm mit deinen Sorgen und Problemen zu mir. Ich werde dir helfen und deine Geheimnisse für mich behalten …«
»Meine Frau und ich haben uns auf die andere Seite der Hütte gesetzt. Da ist es ruhig und angenehm warm, die Sonne wird durch die Kiefernzweige gemildert. Aber Herr Persson, Sie müssen meine Frau begrüßen!«
Ich war schon auf dem Weg um die Ecke. Konnte es möglich sein, dass das Paar gefunden hatte, wonach ich auf Lindö schon so lange vergeblich gesucht hatte, ein Plätzchen, wo es weder zu kalt noch zu warm war?
Frau Burlin hatte sich erhoben und stand neben ihrem Stuhl, und die Sonne leuchtete in ihrem Haar, und das Kleid umschloss den langen,