»Hallo, Onkel! Ist das nicht ein herrlicher Tag!«
Meine Nichte Eva ist ein sportliches und kräftiges Mädchen, vollkommen im Stande, selbstständig zu stehen, aber Niklas Svennberg hatte den Arm um sie gelegt, als gelte es, eine Hundertjährige zu stützen.
»Ja, dieser Rasen ist wie geschaffen für eine Volksspeisung«, versicherte der junge Privatsekretär, und die Locke hing in der Stirn, und seine Sonnenbräune stach hübsch von dem weißen, halsoffenen Hemd ab. (Ungeachtet der späten Nachmittagsstunde war es noch immer so heiß, dass ich ohne Hut und Mantel ging.) Ich erzählte Eva gerade von einem wunderbaren Fest unter freiem Himmel, an dem ich einmal in Budapest teilgenommen hatte. Hunderte von Wildschweinen wurden auf Spießen gebraten und alle …
An dieser Stelle begann Eva vollkommen unmotiviert ihren Kavalier mit einem Grashalm unter dem Kinn zu killern, und Herr Svennberg konnte sich dessen nur erwehren, indem er sie sorgfältig küsste, und das Ganze wurde so privat, dass ich beschloss, von einer ausführlichen Schilderung des Schweinefestes abzusehen, meinen Stock ergriff und zur nächsten Gruppe ging.
Sie setzte sich aus Anwalt Burlin nebst Gattin und Staatssekretär Zander zusammen. Sie unterhielten sich leise und angeregt, begleitet von scheuen Blicken, die so typisch sind für weidende Gnus und Gäste, die ihre Gastgeber auf Gartenfesten verleumden.
Dazu wurde auch offensichtlich ich gezählt, denn das Gespräch erstarb, als ich nahte, und nach kurzem, vollkommenem Schweigen begannen alle, sich eifrig über die schöne Aussicht zu verbreiten.
»Das ist wirklich ein wunderschönes Plätzchen, nicht wahr?« lächelte Frau Burlin natürlich und schnell, wie es einer Person ansteht, die in der Kunst der Verstellung ausgebildet und lange tätig war.
»Tadellos«, ergänzte ihr weißhaariger Mann, und die Vokale klangen schön.
»So was sieht man nicht alle Tage«, erklärte Herr Zander, aber nicht einmal seiner hohen Stirn gelang es, in dieser bedrängten Lage besonders viel intellektuelle Kraft auszustrahlen.
Nachdem sie sich ihre Alibis verschafft hatten, pendelte sich die Konversation auf einem höheren, darum aber nicht erfreulicheren Niveau ein. Wir unterhielten uns über Umweltgifte und Gewässerverschmutzung, bis ich den Hals von Klärschlamm voll hatte und mich entfernte, um eine alkoholfreie Erfrischung zu besorgen. Auf dem Weg blieb ich an Herrn Västermark hängen, der mit Frau Klintestam und Herrn Andersson zusammenstand und von einer Frau erzählte, die im Register der Polizei gelandet war, weil sie eine kommunistische und eine neonazistische Zeitschrift bezog. Die Frau hatte auf Nachfrage angegeben, sie habe stets die Zentrumspartei unterstützt, aber in letzter Zeit das Bedürfnis nach einer handfesteren Ideologie verspürt. Zu einer neuen, sicheren Überzeugung sei sie durch die Zeitschriften dennoch nicht gelangt. »Beide scheinen auf ihre Art Recht zu haben«, hatte sie ihren Arbeitskollegen anvertraut.
Herr Andersson, der bestimmt früher schon von dem Fall gehört hatte, rang seinem Boxergesicht ein Lächeln ab, doch Birgitta Klintestam sagte ganz knapp, sie finde die Geschichte lächerlich und geschlechtsdiskriminierend, verließ die Gruppe und schloss sich Doktor Lind an, der allein stand und sein Glas in der Hand drehte.
Jetzt fiel mir auf, dass irgendetwas nicht stimmte. Die Gäste waren soeben ins Haus gegangen, um sich eine zweite Erfrischung zu holen, und zu dem Zeitpunkt erreichen Gemeinschaftsgefühl und Herzlichkeit in der Regel ihren Höhepunkt. Doch in diesem Fall war die Gesellschaft in leise Gruppen aufgelöst. Das war umso seltsamer, dachte ich, da alle außer Herrn Andersson von Norrön kamen. Und Leute von ein und derselben Sommerinsel sind bei Zusammentreffen im Kaufmannsladen und auf dem Postamt immer sehr gesprächig, und an örtlichem Klatsch und Gejammer über das Wetter fehlt es selten.
Täuschte ich mich oder war die Stimmung lauernd, nahezu feindselig?
Doch dann waren Gastgeber und Gastgeberin an den Tischen fertig, kamen je aus einer Richtung angerannt wie zwei Hirtenhunde und trieben die Gäste zusammen. Meine Schwester versprühte ihren gesamten Charme, und der Staatsminister füllte Gläser und schrie für zwei. (Er selbst trinkt zwar meistens Orangensaft, wirkt aber selten nüchtern.) Eine andere Person, die sich ebenfalls nicht dem Trübsinn hingab, war Frau Lind, die Frau Doktor. Das geblümte Kleid umspannte ihre Hausfrauenfigur, und das Gesicht war rosarot wie das eines Kindes auf dem Rodelberg. In der Schlussphase war sie beim Herbeitragen von Flaschen und Schüsseln behilflich gewesen, und ich glaube, sie hatte vielleicht ein bisschen genippt. Jetzt wollte sie das im ganzen sommerlichen Schweden obligatorische »Kleine Frösche« spielen, konnte aber nur die Kleinen dafür begeistern.
»Oh, wie anstrengend!« keuchte sie nach energischem Herumgehopse im Gras. »Aber das tut der Figur gut. Warum fotografierst du denn nicht, Pelle!«
Dann, als würde sie es bereuen: »Nein, das Licht ist zu schlecht!«
Doch Doktor Lind, nach den Spielen des Tages noch immer bararmig und barbeinig, eilte schon aufs Haus zu, wie um der Dämmerung zuvorzukommen.
»Pelle und seine Kamera sind kaum auszuhalten«, seufzte sie und wischte sich die Stirn ab. »Er hat sie sich vor einigen Jahren angeschafft, um Leute aufzunehmen, Menschen, die er kannte. ›Ehe man es sich versieht, sind sie tot, und ein Jahr später kann man sich kaum noch erinnern, wie sie aussahen‹, hat er gesagt. Ich habe ihn aufgezogen und gemeint, er würde nur alte und kranke Leute ablichten und solche, die seiner Meinung nach bald sterben. Aber wenn ich es recht bedenke, dann kann einem angst und bange werden, so sehr trifft es zu. Im letzten Frühjahr waren wir bei meiner Mutter, und er hat sie bestimmt schon jahrelang nicht mehr aufgenommen, aber da verschoss er mehrere Filme. In der Nacht darauf verstarb sie plötzlich, ich hatte keine Ahnung, dass sie ein so schwaches Herz gehabt hat. Und letztes Osterfest waren wir zum Skilaufen in Åre, und da haben wir einen ganz sympathischen Grundstücksmakler kennengelernt, einen jungen, kerngesunden Mann, aber am letzten Tag wollte Pelle, der noch nicht mal seine Kamera ausgepackt hatte, ihn auf der Slalompiste fotografieren. Und als wir wieder zu Hause waren, erfuhren wir, dass er von einer Lawine erfasst und unter fünf Metern Schnee begraben worden war. Und ich habe gesagt: ›Jetzt darfst du deine Kamera nie mehr benutzen, die bringt nur Tod und Verderben!‹ Aber die allerschlimmste Katastrophe passierte dann beim letzten Weihnachtsfest bei Ysanders …«
Wir erfuhren nie, was Ysanders zugestoßen war, da jetzt Doktor Lind zurückgekehrt war. Die Kamera hielt er in der Hand, und sofern ich erkennen konnte, handelte es sich um eine ganz gewöhnliche Fotokamera mit einem kleinen schwarzen, hervorstehenden Auge aus Glas und Metall.
Er traf seine Vorkehrungen langsam und sorgfältig, wie ungeübte Fotografen es tun. Auf dem Rasen herrschte jetzt vollkommene Stille. Auch Frau Lind schwieg.
Plötzlich überkam mich eine eigentümliche Eingebung. Ich spürte mit lächerlicher, jeder Vernunft entbehrender Sicherheit, dass der Arzt dieses kalte, tückische Auge auf mich richten und ich danach sterben würde …
Ich blickte mich in der Schar um. Wir hatten uns wieder voneinander entfernt und schauten alle unverwandt auf den Mann zwischen uns und den Tischen. Jemand lachte etwas verkrampft.
Jetzt hatte er seine Vorkehrungen beendet, hatte den Abstand und das Licht eingestellt. Er hob den Fotoapparat, und ich hörte das leise, gleichmäßige Klicken.
Herr Lind hielt die Kamera vollkommen ruhig. Sie war auf Herrn Västermark gerichtet.
7
Er fuchtelte mit den Armen in der Luft und warf den Kopf in den Nacken wie jemand, der von einer Kugel getroffen worden war oder der sich vor der Kamera nur etwas aufspielen will, und er sah so unbeschreiblich lächerlich und zugleich lebendig aus, dass ich lachen musste. Und meine dumme Vorahnung war verflogen und nicht mehr da … Anschließend knipste Herr Lind uns alle, eine große, winkende Gruppe; wir begaben uns zu Tisch, und der Staatsminister hielt eine Begrüßungsrede, die nicht für die Nachwelt konserviert werden muss. (Er ist ein Redner, der beim Aufstehen nicht weiß, was er sagen soll, und wenn er redet nicht