Lamač spielte nicht lange den Gekränkten. Er, der selbst nie verstand, den Vogel Pinkus als zahmen Kanarienvogel bei Haus zu halten, brachte es dennoch fertig, Anny in diesem entscheidenden Fall unter die Arme zu greifen. Wer weiss, ob sie nicht sonst irgendeinen der biederen Berufe ergriffen hätte, die sie in manchen ihrer Filme spielt, und ob der Aufstieg, der in diesen Filmen sich so freundlich zur Höhe zu ergeben pflegt, auch in der harten Wirklichkeit sich dann noch eingestellt hätte.
So aber war die Familie Ondra angenehm davon zu überzeugen, es sei mit dem Firlefanz des Filmens vielleicht eines Tages schlicht und bürgerlich tatsächlich ein Auskommen für die liebe kleine Anny zu erzielen.
Der grosse Wiener Tiroler Bauernfilm hat übrigens das Licht der Uraufführung nie erlebt. Doch hatte er ein Nachspiel. Der Grossbauer und seine Freunde, die derzeit fast ihr ganzes Vermögen verloren hatten, boten viele Jahre später, als Anny schon einen Namen hatte, besagten unglücklichen Film verschiedenen Gesellschaften an. Sie wurden überall abgewiesen und kamen auf den Einfall, alle Schuld auf die Hauptdarstellerin zu schieben, wollten alles ersetzt haben und behaupteten, nur durch gerade diesen Film sei Anny so gross geworden.
Noch heute haben die Tiroler Bedrohungen nicht ganz aufgehört.
Neue Sterne
Die Boxergrössen der ersten Zeit: Flint, Sabri Mahir, ja auch Prenzel und Breitensträter, begannen ihren Zenit zu überschreiten. Es war ein neuer Mann aufgetaucht von jenseits des grossen Teiches, ein Deutscher, der mit sächsischamerikanischem Tonfall sprach, ein stämmiger Typ mit zerhauenem Gesicht, ein rechter Kerl, der aussah wie ein von Wind und Wetter zerzauster Seefahrer. Es war Paul Samson-Körner. Er hatte erfolgreich mit Tunney gekämpft (bevor Tunney so berühmt war), er war in Dempseys Trainingslager Sparrings-Partner gewesen. Er war mit allen Wassern der grossen amerikanischen Kampfüberlieferung gewaschen.
Man glaubte das alles nicht recht in der Heimat, nahm ihn nicht ernst, man ulkte ihn an. Dann schlug er Breitensträter, und er schlug auch Flint, und das schon in der ersten Runde, und endete damit den bedeutenden Weg dieses verdienten Pioniers des deutschen Boxsports.
Walter Rothenburg sah den neuen Mann und spürte die Chance: er unternahm es, den einsam dastehenden neuen Boxmeister auf die rechte Probe zu stellen. Dieser „Amerikaner“ war doch schon Mitte dreissig. Wie war es möglich, dass er sich so lange halten konnte, wo jeder andere mit dreissig die besten Möglichkeiten hinter sich zu haben pflegt. Er stellte ihm den jungen, wuchtigen, ungestümen Rudi Wagener gegenüber und inszenierte damit den ersten grossen Hamburger Boxtag. Samson stach dem jungen Mann nach der dritten Runde eine ganz kurze Rechte aufs Kinn, und aus war es.
Und dann war da noch einer, ein Kölner, namens Domgörgen. Er hatte 1922 einen der grossen Kämpfe der deutschen Boxgeschichte gegen einen Düsseldorfer, namens Steffgen, geliefert. Er hatte in der dreizehnten Runde gesiegt, obschon der Unterlegene nicht aufgeben wollte.
„Wir haben uns so geschlagen“, äusserte Domgörgen später nicht ohne Stolz, „dass das Blut in die Schuhe lief.“
Max Schmeling sah sich um. In ein, zwei Jahren war er plötzlich vorhanden. Er hatte die „Vereinsgegner“, die „Lokalen“ und einige mehr unter den Hämmern seiner Fäuste gehabt, und sie halten nicht lange gemuckt. Nun durfte er sich wahrhaftig schon umsehen.
Samson? Schön! — Domgörgen? Nicht schlecht!
Trotz aller Fanfaren fühlte er keine Angst vor diesen Namen. Auch sah er heimlich keinen Leitstern in ihnen. Seine Vorbilder leuchteten auf höheren Breiten. Dempsey, Tunney, das waren Gestirne, denen eines Tages gleich zu glänzen in ihm eine brennende Hoffnung wuchs.
Nur immer ran! dachte er wie so ein richtiger Hamburger Hafenbuttje.
Der grosse Liebling des Boxsportpublikums, Kurt Prenzel, dessen letzter grosser Kampf (gegen den Berliner Milenz) selbst im schönsten August den Sportpalast hatte füllen können, zog sich vom Podium zurück, um seine vielfach gebrochenen Handgelenke völlig auszukurieren und sich der Filmdiva Fern Andra ehelich zu widmen. Und auch der blonde Hans ging langsam unter am Himmel des Ruhms.
Neue Blutzufuhr war nötig, und unter den jungen Anfängern, die da über Nacht aufgekommen waren, war auch Max Schmeling. Eine Woche nach seinem neunzehnten Geburtstage, am 4. Oktober 1924, stand er zum ersten Male einem Amerikaner gegenüber, einem Neger namens Rocky Knigth. Er überwand ihn in acht Runden nach Punkten.
Die Presse aber war dem Neuling noch nicht gewogen. Sie liess den Verdacht der Schiebung durchblicken, gänzlich zu Unrecht. Auch im Boxen wird jede neue Begabung erst einmal mit Misstrauen angesehen. Immerhin lag jene Zeit, da es wirkliche Schiebungen im Ringe gab, noch nicht lange zurück.
Im gleichen Jahr noch gewann Max gegen zwei weitere Nigger und gegen sieben weisse Gegner. Elf Kämpfe bestand er von August bis September, alle gingen siegreich für ihn aus, bis auf einen, und der fand ausgerechnet in Berlin statt, im Sportpalast. Der tüchtige Berliner Diekmann stand ihm gegenüber und schlug ihm in der zweiten Runde das Ohr auf, so dass eine Blutfontäne hoch aufspritzte. Max musste aufgeben.
Es war nur ein Beikampf neben grösseren an diesem 10. Oktober. Die Kanone Breitensträter trat an gegen den Australier Cook, Rudi Wagner gegen Spalla, und der Türke Sabri Mahir, der nach dem Kriege neben Flint Deutschlands Boxlehrmeister gewesen war, focht gegen Clement. Auch diese Kämpfe endeten ohne grosse Sensation; alle drei blieben unentschieden.
Erste Erfolge
Das alte treuherzige Verhältnis Annys zu Lamač und Heller war im Grunde nicht erschüttert worden und erwies sich auch in der Folgezeit als unverbrüchlich. Aber immerhin, Anny hatte an Selbständigkeit gewonnen, und man musste sich daran gewöhnen, dass auch sie ein Wort mitzureden habe.
Es folgten einige mehr oder minder glückliche Filmversuche des Trios, aber der grosse Erfolg wollte sich immer noch nicht einstellen.
Niemand nahm es Anny darum übel, als sie zum zweiten Male in Wien sich selbst versuchen wollte. Der tüchtige Regisseur Ucicki verpflichtete sie für ein Manuskript: „Die Pratermizzi“, darin sie die Hauptrolle spielen sollte. Sie zeigte, dass ihr Vertrauen zu Wien auch durch das missglückte Tiroler Bauernabenteuer nicht gänzlich in die Brüche gegangen sei, und sie tat recht daran. Ihr Partner war der gewandte Igo Sym, ihre Partnerin hiess Nita Naldi und war eine ziemlich üppige schwarze Amerikanerin, sehr exotisch, sehr extravagant und mit einer enormen Neigung zum Alkohol, so dass man sie selten nüchtern sah. Als Anny ihr nach Jahren einmal zu Paris im „Lido“ wiederbegegnete, war es noch genau so.
Diese „Pratermizzi“ erzielte für jene Zeit eine beachtliche Verbreitung. Anny freute sich über den Beweis ihrer Tüchtigkeit und kehrte mit freundschaftlichem Triumph nach Prag zu ihrer alten Kameradschaft zurück.
„Seht ihr wohl“, sagte sie stolz, „ich kann auch ohne euch. Aber ich mag ja gar nicht gern ohne euch!“
Jack Dempsey, der Champion der Welt, heiratete. Die Neigung zwischen Sport und Film beurkundete sich wieder einmal, und es war die junge Filmschauspielerin Estelle Taylor, die damals des allgewaltigen Boxmeisters Gattin wurde.
Bessere deutsche Hochzeitsreisen pflegen nach Italien zu gehen, bessere amerikanische nach Europa. Dempsey verband das Angenehme mit dem Einträglichen und verpflichtete sich zu einer deutschen Schaukampf-Tournee. Walter Rothenburg hatte vergebens den Entscheidungskampf Samson—Breitensträter betrieben, nun konnte er den berühmten Amerikaner, der vordem schon im Berliner Lunapark zur sportlichen Offenbarung geworden war, seinem Hamburger Publikum als Ersatz vorführen.
Und auch zu Hamburg musste jeder, der etwas davon verstand, zugeben, solch glänzende Fertigkeiten, solche boxerische Vollendung hatte man noch nie vorher gesehen. Aus jeder Haltung vermochte der Weltchampion seine scharfen Innenhaken unstoppbar auf Kinn und Körper des Partners zu landen. Zehntausend Zuschauer wagten minutenlang kaum zu atmen, benommen von Hochachtung und Begeisterung. Danach liess Dempsey sich in Köln blicken. Berlin, Hamburg, Köln, das waren