Max und Anny. Hans Leip. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Leip
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711467503
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in den grossen Wäldern der Hanakei in Mähren. Obwohl die Beine des Bühnengetiers nur Streichhölzer waren, erschien Anny doch alles zauberhaft lebendig.

      Hauptsächlich wurden Märchen gespielt. Es befand sich ein grosses altes Märchenbuch im Haus, in dem, wenigstens in der Erinnerung, alle Märchen gestanden haben müssen, die es in der Welt gibt. Aber das schönste darin war das Märchen vom Fliedermütterchen. Es hat kaum eine Handlung und ist ungemein schwer zu spielen, aber vielleicht gerade darum, weil es von allen Tollheiten frei ist, die so oft im Film verlangt werden, ist Andersens Fliedermütterchen bis heute Anny Ondras liebstes Märchen geblieben. Es kam soviel von Abschied und Wiedersehen darin vor, von der Fahrt des Liebsten übers Meer und von treuer Liebe.

      Bald schrieb sie auch selber Stücke und erkor die Stube zur Bühne und stellte befreundete Kinder in den Nebenrollen an. Die Kostüme waren aus Seidenpapier, aber heimlich wurde manchmal der Kleiderschrank der Eltern ausgeräumt, und die würdigen Uniformen der einstigen k. u. k. Armee und die Ballkleider der Mama dienten dann dem Hofstaat der Könige und Königinnen in Annys Kindertheater.

      An der Moldau, in den ausgedehnten Grünanlagen, befindet sich auch ein Planschbecken für Kinder, so schön, wie es Mackie zu Hamburg im Stadtpark nicht mehr geniessen konnte, da er schon zu gross war, als man hier solcherlei eröffnete. Längst badete er schon lieber in der Elbe. Er war ein kräftiger Schwimmer. Aber wenn man dem romantischen Gedanken folgen will, der sich aus der unaufhaltsamen Verbindung von Moldau und Elbe ergibt, so mag es sein, dass Mackies Schicksal schon sehr früh auf dem Wasserwege einen unbewussten zarten Strömungshauch verspürte von einem blonden hübschen kleinen Prager Mädchen, das auch das Wasser liebte.

      Dort in den Moldauanlagen durfte Anny eigentlich nicht spielen. Alle Mütter pflegen dem Sprichwort „Stille Wasser sind tief“ unbedingt zu trauen, aber dass ein von vielen Patschbeinen unruhiges Planschbeckenwasser nicht tief sei, wagen manche Mütter nicht zu glauben. Anny aber zog es dorthin. Erstens stand dort ein grosser, alter Holunderbusch, der just aus Andersens Fliederteemärchen zu stammen schien. Und zweitens hatte sie ein nettes kleines Mädchen kennengelernt, das zu diesem Märchen passte und zudem entfernt etwas vom Theater geäussert hatte, sich auch überdies ungewöhnlich zierlich zu bewegen wusste. Es tanzte sozusagen Ballett mitten in dem kleinen himmlisch flachen Anlagensee, vermochte auch wie eine zarte Marmorstatue unbeweglich eine Nixe oder einen Schwan darzustellen. Anny blieb der Atem weg vor Entzücken. Sie wartete Tag für Tag auf nähere Offenbarungen. Nein, sie mochte nicht fragen, um nicht die leise Ahnung, die sie hegte, vielleicht zu bald zerstört zu sehen.

      Eines Sonntags nun in der Aufführung der „Puppenfee“ sah Anny zu ihrem Erstaunen und unbeschreiblichen Jubel, dass die Planschbeckenfreundin einer der kleinen Stars auf der Bühne sei. Da hatte ihr Herz keine Ruhe mehr, heimlich musste Lusette ihr alle Übungen und Schritte zeigen, und es dauerte nicht lange, da konnte auch Anny Spitze tanzen und allerhand akrobatische Tanzkunststücke. Ihre Eltern konnten sich gar nicht erklären, woher sie solches habe.

      „Klopfet an, so wird euch aufgetan“

      Es behagte Mackie nicht in der Eilbecker Schule, und er setzte es durch, wieder nach Rothenburgsort zu kommen. Wie er auch später keinen langen Weg gescheut hat, um zu erlangen, was er wollte. Er wurde in der Eilbecker Kirche konfirmiert, und der Tag war festlich geschmückt durch die Anwesenheit seiner drei munteren Kusinen. Der Spruch, den ihm der Pastor mit auf dem Weg gab, hiess: „Klopfet an, so wird euch aufgetan.“ Kein schlechtes Omen fürwahr für seinen späteren Beruf.

      Auch für das, was er nun erstmal wurde, war es ein gängiger Spruch. Das Kunstmalen hatte er nach zwölf Monaten aufgegeben. Danach hatte ihm eine Weile vorgeschwebt. Förster zu werden, denn sein verehrter Onkel war nebenbei auch ein leidenschaftlicher Jäger. Die Mutier jedoch riet ihm notgezwungen von der langwierigen Laufbahn ab, und das ganz energisch. Somit wurde er Stift in einer Anzeigenvertretung, die mit dem Hamburger Fremdenblatt zusammenarbeitete.

      Es war das Jahr 1920. Mit Mühe war der Bürgerkrieg in Deutschland in seinen Anfängen erstickt worden. Und langsam überpinselten Wind und Wetter und Sott die weissen Wunden, die dem Hamburger Rathaus von den zahlreichen Einschlägen durch Maschinengewehr- und Flintenkugeln der Aufständischen zugefügt worden waren. Jedermann, der nach langen trüben Jahren noch lebte, freute sich des Daseins, so gut es ging. Singend und klampfend zog Mackie in die Lüneburger Heide, falls er die Sonntage nicht nötiger für seinen Sportklub St. Georg brauchte, wo er Torwart der zweiten Schülermannschaft war. Die Hamburger Kaufmannschaft begann den Nacken neu zu steifen. Die Hamburg-Amerika Linie erhob sich aus kläglichen Resten. Sie willigte in eine Gemeinschaft mit dem amerikanischen Harrimankonzern und legte damit den Grund zu einem neuen Aufstieg, der die Welt bald in Erstaunen setzen sollte.

      Mackie war sechzehn Jahre und für sein Alter ungewöhnlich gross und kräftig. Der Kontorbock schien ihm kein rechtes Streitross zu sein für seinen Wagemut. Der Sportverein, der sich allmählich zum Ringerklub gewandelt hatte, war allerdings geeigneter, um sich richtig auszutoben, und bald war Max dort der Hauptmacker.

      Eines Tages wurde er ausersehen, in einem öffentlichen Ringkampf die Ehre seines Vereins gegen einen um neun Jahre älteren Gegner zu verteidigen. Der Kampf sollte an einem Sonntagvormittag stattfinden. Schon um sechs Uhr morgens erhob sich Mackie aus den zerwühlten Federn, er, der gern an Feiertagen bis Mittag schlief. Seine Mutter merkte, dass etwas im Busche sei. Nach längerer Auseinandersetzung, bei der Mackie sein Vorhaben nicht leugnete, aber auch nicht davon abzubringen war, schloss sie ihn kurzerhand und gnadenlos in sein Zimmer ein.

      Und während zu Prag Klein Anny, schon ein halber Backfisch, vor dem Nationaltheater wartete, um einen Platz zu ergattern und Lusette zu sehen, sass Mackie dumpf und hilflos in seiner nördlichen Kammer und sah seine Ringerlaufbahn auf ewig abgebrochen. Er schämte sich tatsächlich so vor seinem Verein, dass er sich dort von da ab nie mehr blicken liess.

      Dennoch ist er einmal öffentlich als Ringer aufgetreten, und zwar bald danach. Es war auf dem Wandsbeker Pflaumenmarkt, einem munteren Herbstrummel, nahe Hamburgs Grenzen, der nicht weit von der Wirkungsstätte des aller Gewalt so abholden Mondbesingers Matthias Claudius vor sich zu gehen pflegte. Mackie nahm dort die übliche Herausforderung des Direktors einer Artistenbude ernst und legte „Bully, die Eiche Deutschlands“, nachdem er sich überzeugt hatte, dass sie zu fällen sei, zu Beginn der zweiten Runde auf die Schultern. Leider liess der „Direktor“ im gleichen Augenblick den Gong erschallen und verkündete, die Zeit sei überschritten, welche Auffassung eines dehnbaren Begriffes mangels vorangegangener Verträge schwer zu widerlegen war. Somit gingen Max die bei seinem ersten öffentlichen Sportsiege ausgelobten hundert Mark aus der Nase. Er zog daraus die Lehre, dass es besser sei, von da ab sich an keinem öffentlichen sportlichen Kampf ohne gehörigen Vertrag zu beteiligen, und obwohl ihn nun zum ersten Male der Beifall des Publikums umschmeichelt hatte, so fand er doch, dass ausgerechnet mit dem Ringen nicht das wahre Glück für ihn verbunden sei, und deshalb lernte er Boxen.

      Mit dem Boxen war es nun zuerst noch nicht weit her. Es handelte sich da erstmal um das, was man an der Wasserkante unter den Befahrenen so Boxen nennt. Es war englische Überlieferung mit einem gehörigen Schuss Rum und Kautabak; von adligem Stil konnte keine Rede sein, man gab und nahm so richtig aus der Plünnenkiste, haste was kannste. Gewiss, da gab es so eine kleine Schrift: „Der perfekte Faustkämpfer“ oder „Die Kunst der Selbstverteidigung ohne Waffen“. Da las man auch richtig von Haken, Schwingern, Uppercuts, Geraden, von Clinch und Beinarbeit, von Unzen, Bandagen hart und weich, von „Nierenschützern“ aus Aluminium, von Schuhen aus „Kautschuk, die einen leichten, federnden Tritt geben“, von Sandsack und Lederbirne und der geradezu akrobatischen Arbeit daran, und es war auch von den internationalen Regeln der Runden und Pausen die Rede und von der dazu gehörigen Massage vor, während und nach dem Kampfe und auch, dass man frisches Kalbfleisch auf die geschwollenen Stellen legen solle, um sie zum raschen Abziehen zu bringen. Das war alles ganz schön, und man konnte stundenlang darüber sprechen. Man sah auch manchmal im Edentheater ein Kraftweib auftreten, das in grosser Abendrobe anfangs weisse Tauben aus einem Goldfischhafen hervorzauberte und danach, noch diese zarten Geschöpfe auf der Schulter, einen tadellos aufgehängten Lederball zu bearbeiten begann, bald mit den Fäusten, bald mit den Ellenbogen, den Schultern, dem Busen, dass es nur so schnurrte