Malindi bewegte sich unendlich langsam auf einen Baum in der Nähe zu und zog sehr langsam das Messer.
In diesem Augenblick sprang der Leopard.
Malindi Rama verschwand wie der Blitz hinter dem Baum und bot dem Angreifer nur noch eine Handbreite Silhouette. Diese Handbreite war sein rechter Arm mit dem Messer, das jetzt vorschnellte.
Noch im Sprung schlitzte es dem Leoparden die Unterseite auf. Das Tier warf sich fauchend und brüllend herum und hieb mit den Pranken wild um sich. Der mit Blättern und Laub bedeckte Pfad wurde rot vom Blut.
Ungerührt sah der Inder zu, wie das Tier verblutete, wie seine Bewegungen nach einer Weile schwächer wurden, und wie es schließlich nur noch zuckte.
Malindi schnitt dem Leopard das Herz heraus und aß es stückchenweise so roh, wie es war.
Den Kadaver ließ er liegen, denn es war unwahrscheinlich, daß ihm jemand folgte. So glaubte er jedenfalls.
Er fühlte sich gestärkt und eilte weiter, bis es im Dschungel zu dämmern begann und schließlich finster wurde.
Die alten Kerle würden jetzt sicher eine Rast einlegen und mit den Elefanten nicht weiterziehen.
Malindi sah nichts mehr, nur eine undurchdringliche schwarze Wand, die sich von allen Seiten um ihn herum befand. Aber er verfügte über einen ausgeprägten Tastsinn und einen wachen Instinkt.
Seine Hände verrieten ihm an abgebrochenen Zweigen, wo die Elefanten gegangen waren. Er verlor die Spur nur ein einziges Mal in der Nacht, als er eine Lichtung überqueren mußte.
Doch schon bald hatte er sie wieder und konnte seinen Weg mühsam fortsetzen.
Irgendwann in der Nacht war er endlich am Ziel. Vor ihm lag eine weitere Lichtung mit einem Flußlauf, und direkt daneben kampierten die Kerle, die ihn so jämmerlich verdroschen hatten.
Die Elefanten standen wie aus Stein gehauen da und bewegten sich so gut wie gar nicht. Die anderen Kerle lagen im Halbkreis oder lehnten schlafend ganz einfach an Baumstämmen.
In der Finsternis konnte Malindi trotzdem einiges unterscheiden. So die schlafenden Gestalten, die mächtigen Leiber der Elefanten und den Mahaut, der Wache hielt. Meist stand er unbeweglich da, aber hin und wieder drehte er doch den Kopf.
Malindi versteckte sich hinter einem Baum. Er wußte auch, wo er den heiligen Zahn zu suchen hatte. Den trug ein bärtiger Alter in demselben Lederbeutel mit sich herum, und dem Alten fehlte das linke Ohr. Dieser Alte war auch der Anführer der heiligen Männer.
Vorsichtig bewegte er sich weiter an die Schläfer heran. Er tastete zwei von ihnen ab, ohne daß sie etwas bemerkten. Von den Bäumen des Regenwaldes fiel immer mal Getier herab, und dann genügte eine reflexartige Bewegung des Schläfers, um es zu verscheuchen. Die Männer wachten davon nicht mal auf.
Schon beim vierten hatte er Glück. Es war der Alte mit seinem verfilzten Bart, und als Malindi vorsichtig nach seinem Ohr tastete, war da nur ein Loch seitlich auf der linken Kopfseite.
Seine Hand tastete weiter unter den Kopf, wo sich vermutlich der Lederbeutel mit der Reliquie befand.
Malindi hätte laut aufschreien können, doch er beherrschte sich und warf erst einen Blick auf den Mahaut, der immer noch fast regungslos am Baum stand.
Für ihn gab es jetzt zwei Möglichkeiten. Er konnte dem Alten blitzartig den Lederbeutel entreißen und damit im Dschungel verschwinden. Da konnten sie ihn lange suchen. Er konnte aber auch sehr behutsam vorgehen, obwohl das zeitraubend war.
Er entschloß sich für den behutsamen Weg, hielt immer wieder inne und lauschte.
Die nächtlichen Geräusche des Dschungels waren vielfältig. Sie übertönten auch das leise Schnarchen der Männer.
Mit unendlicher Vorsicht zog er an dem Lederbeutel. Der Alte hob die Hand, als wollte er ein lästiges Insekt verscheuchen.
Dann aber, so plötzlich, daß Malindi ein eisiger Schrecken durchfuhr, krallten sich zwei Hände mit unglaublicher Kraft um seinen Hals. Es waren dürre Hände, Knochen, die sich schlossen und nicht mehr losließen. Dabei stieß der Alte gleichzeitig einen gellenden, weithin hörbaren Schrei aus.
Die Schläfer fuhren ruckartig hoch.
Malindi geriet in Panik und tastete nach seinem Messer. Doch der Alte hatte eine so unglaubliche Kraft in seinen dürren Fingern, daß ihm die Luft wegblieb und vor seinen Augen feurige Ringe zu kreisen begannen.
Im Nu war der Mahaut zur Stelle, und die anderen Fanatiker fielen brüllend und kreischend über ihn her.
Fäuste droschen erbarmungslos auf ihn ein. Er wurde gewürgt und getreten. Man entriß ihm das Messer und schlug weiter auf ihn ein.
Er hatte keine Möglichkeit mehr, sich zu befreien, denn jetzt war auch der starke Mahaut über ihm und drosch ihm etwas über den Schädel.
Von Leibern, die sich schreiend über ihn wälzten, wurde er fast erstickt. Die feurigen Ringe wurden immer bunter.
Sie banden ihm Hände und Beine zusammen, dann wurde unter eifrigem Geschnatter ein Licht entzündet.
Der Mahaut hielt eine kurze Lanzenspitze vor sein Gesicht, und die alten, heiligen Männer näherten sich ihm, um ihn beim Schein der blakenden Ölfunzel zu betrachten.
„Wer bist du?“ fragte der Alte mit heiserer Stimme.
Malindi Rama schwieg, aber der Alte schien bereits einen Verdacht zu haben. Mit seinen dürren Fingern fuhr er ihm durch das Gesicht, hinterließ feurige Kratzspuren und riß ihm den Turban herunter.
Einer stieß die Öllampe vor und sengte ihm erbarmungslos die Haare ab, bis es knisterte und der Schmerz unerträglich zu werden begann.
„Malindi, der Frevler, der Räuber und Verräter!“ schrie der Alte mit seiner heiseren Stimme wild. „Er wollte uns die heilige Reliquie noch einmal stehlen.“
Die Empörung bei den Fanatikern war echt. Wieder droschen sie mit den Fäusten auf ihn ein, traten nach ihm, oder zerkratzten ihm das Gesicht, bis er spürte, wie ihm überall das Blut über den Körper rann.
„Er hat die Tätowierung auf dem Kopf!“ rief der Alte. Er sah aus wie der leibhaftige Satan und benahm sich auch so.
„Wir werden ihn töten, denn er hat den größten Frevel aller Zeiten begangen!“ rief der Alte.
„Ich habe euch das Gold besorgt!“ kreischte Malindi. „Dafür könnt ihr neue Tempel bauen.“
„Das Gold ist ein Nichts gegen das Heiligtum“, erklärte der Alte. „Außerdem stammt es aus den Tempeln. Wir aber wollen deinen Kopf, Malindi Rama. Bringt eine Stange.“
Ein dürrer Fanatiker kehrte gleich darauf mit einem langen Ast zurück.
„Spitze ihn an beiden Enden an“, forderte der Alte, „und ramme ihn in den Boden der Lichtung.“
„Nein!“ schrie Malindi wild und unter Schmerzen. „Das dürft ihr mir nicht antun, ich wollte nichts stehlen.“
„Du hast unsere Gottheit beleidigt und gedemütigt, als du in den Tempel einbrachst und den Zahn gestohlen hast. Jetzt wolltest du den nächsten Frevel begehen. Das Maß ist voll, du hast auf dieser Erde nichts mehr zu suchen, Malindi.“
Malindi schrie wieder wie am Spieß – laut und gellend. Doch sein Schrei verhallte im Dschungel, als der andere Mann den angespitzten Stock in den Boden rammte.
Malindi wußte nur zu gut, was das bedeutete. Die Fanatiker bestraften die Frevler immer auf die gleiche Weise.
Sie durchbohrten ihr Herz, und dann schnitten sie ihnen die Köpfe ab und steckten sie auf eine lange Stange.
Noch einmal versuchte er sich herauszureden, Lügen zu erfinden und die Männer zu beschwichtigen.
Aber sie waren so aufgebracht, daß sie nur noch seinen