»Robin Hood!«, sagte Høyer ironisch.
»Nein, ich habe schließlich nichts an die Armen ausgeteilt. Aber ich war verhältnismäßig unschädlich. Ich hatte nie etwas mit Gewalt, Drogen oder dergleichen zu tun. Nur Diebstahl. Und deswegen kann ich kein schlechtes Gewissen heucheln, Høyer. Wenn ich in irgendeine Villa einbrechen und im Laufe von einer viertel oder einer halben Stunde für hunderttausend Kronen Schmuck stehlen konnte, haben Sie sich da nie gefragt, wo die Leute den herhatten? Wie sie so wohlhabend geworden sind? Doch, natürlich haben Sie das, Høyer. Sie sind schließlich kein Idiot.«
»Danke.«
»Ich meine das ernst. Glauben Sie, mein Vater war ein Unschuldslamm?«
»Ich glaube in der Tat, dass Ihr Vater ein ehrenhafter Mann war, ja.«
Der Indianer lachte auf. »For Brutus was an honourable man.«
»Shakespeare«, murmelte Høyer. »Und Brutus und Ihr Vater haben nicht viel miteinander gemein.«
»Dann lassen wir meinen Vater außen vor. Nehmen wir meinen Bruder. Ein netter Mann, ein ehrenhafter Mann, es fiele ihm nicht im Traum ein, etwas Illegales zu tun. Aber unter vielem anderen hatte er die Finger auch in einer kleinen Baufirma. Einer selbstständigen Gesellschaft natürlich. Sie geben ein Gebot für ein Bauvorhaben ab, drücken den Preis und bekommen den Auftrag. Die Gesellschaft nimmt einen Kredit auf, für den mein Bruder natürlich mit Haus und Hof und Haut und Haar haftet, die Banken sind schließlich keine Philanthropen. Das Bauvorhaben wird zu Ende geführt, mein Bruder bekommt sein Geld, tilgt den Kredit und dann – nein, wie ärgerlich, die Gesellschaft macht Pleite. Zahlungseinstellung, so etwas kann passieren. Und er streicht ein paar hunderttausend an unbezahlten Steuern ein. Suuuper! Nicht? Und absolut legal.«
»Genau«, sagte Høyer. »Absolut legal. Hätte Ihr Bruder das gemacht, wenn es illegal wäre?«
»Nein, sind Sie verrückt?«
»Dann weiß ich nicht, was Sie mir beweisen wollen. Dass das Gesetz falsch ist? Dann muss das Gesetz geändert werden. Aber das gibt Ihnen nicht das Recht, bei den Leuten einzubrechen.«
»Ich will damit nur sagen, dass mein Bruder genauso unmoralisch ist wie ich. Und jetzt bin ich selbst Geschäftsmann. Was für eine Ironie des Schicksals. Und ich habe entdeckt, dass das eigentlich auch ganz spannend ist. Auf eine andere Art, eine weniger elementare Art, aber spannend ist es. Vielleicht ist mein Bruder also auch nur auf Spannung aus. Früher habe ich geglaubt, dass das Geld die Triebkraft ist. Das glaube ich nicht mehr. Es ist die Spannung.«
Høyer sah ihn nachdenklich an.
Es war keine neue Erfahrung für ihn, dass in der Regel irgendetwas auftauchte, wenn man die Leute reden ließ. Etwas, das von Nutzen sein konnte. Wenn man zwischen den Zeilen las sozusagen.
Und wie viel von dem soll ich glauben, dachte Høyer. Und warum erzählen Sie mir das alles? Was wollen Sie, dass ich glaube? Dass Sie ein ehrlicher Dieb sind. Dass Sie immer allein gearbeitet haben, was Sie nicht müde werden zu betonen. Dass Sie nie mit Drogen zu tun hatten. Nein, Sie waren nur ein netter kleiner Einbrecher und jetzt sind Sie ein netter Geschäftsmann. Vielleicht moralisch nicht ganz unangreifbar, aber ... Warum erzählen Sie mir das alles?
Er sah auf seinen Block, auf dem er sich ein paar Schlüsselworte notiert hatte.
Nachdenklich unterstrich er drei davon. Allein, Drogen, Geschäftsmann.
Høyer hatte noch kein Wort gesagt, als ein Polizist das Büro betrat.
»Es lag wirklich ein Brief in seinem Briefkasten«, sagte er, indem er zum Schreibtisch kam. »Bitte.« Er reichte Høyer den Brief und verließ das Büro.
Høyer öffnete ihn.
Der Indianer beobachtete ihn gespannt, während er las.
»Und?«, fragte er, als Høyer das Papier sinken ließ. »Kann ich jetzt gehen?«
Høyer spitzte den Mund und schüttelte langsam den Kopf.
»Ich denke, nein«, sagte er.
»Warum nicht? Was steht denn da?«
»Nicht genug«, sagte Høyer. »Außerdem ist der Brief mit der Maschine geschrieben. Mit Ausnahme der Unterschrift.«
»Ja, aber was steht drin?« Der Indianer klang ein wenig ungeduldig.
»Hier steht: Fahre heute nach la belle France. Wenn du vor mir ankommst, kannst du gerne vorbeischauen. Nimm dir einen Whisky on the rocks, du weißt schon! Wir sehen uns. Ich bin am 22. zurück. Grete.«
Høyer sah den Indianer an, der langsam nickte, als wäre ihm gerade ein Licht aufgegangen. Dann warf er Høyer einen schnellen Blick zu. »Ist das nicht klar genug?«, fragte er.
»Sehr klar«, sagte Høyer. »Sehr klar. Aber woher soll ich wissen, dass Sie den nicht selbst geschrieben und in den Briefkasten geworfen haben?«
Der Indianer zuckte mit den Schultern. »Das können Sie nicht wissen«, räumte er ein. Er zögerte kurz. »Und was jetzt?«, fügte er hinzu.
»Tja«, sagte Høyer. »Sie kennen das Procedere. Wir müssen Sie dem Haftrichter vorführen und ich werde beantragen, die U-Haft um drei mal vierundzwanzig Stunden zu verlängern. In der Zeit dürfte es uns gelingen, mit der Dame zu reden und eine Bestätigung zu bekommen – oder das Gegenteil.«
Der Indianer zögerte kurz. Dann lächelte er. »In Ordnung«, sagte er.
Høyer warf ihm einen überraschten Blick zu. Er hatte Protest erwartet.
»Aber«, sagte er, »wenn Ihr Anwalt Widerspruch einlegt, wäre es möglich ...«
»Ich habe keinen Anwalt.«
»Warum nicht, Sie wissen doch, dass ... Haben Sie nicht um einen Anwalt gebeten?«
»Man hat es mir angeboten, Høyer. Die Menschen sind nett in diesem Land. Aber ich habe kein Interesse. Ich will nicht, dass die Familie hineingezogen wird.«
»Das wird sie auch nicht.«
»Trotzdem. Ich will keinen Anwalt. Das ist in Ordnung mit den drei Tagen, das sagte ich doch.«
Høyer kratzte sich am Kopf. Was sollte das?
»Man kann mich doch nicht zwingen, einen Anwalt zu nehmen.«
»Tja ...«, begann Høyer.
»Na schön, dann finden Sie einen. Das ist schließlich eine reine Formsache. Ich laufe Ihnen nicht weg. Ich wäre ohnehin hier geblieben, bis ich Grete getroffen habe, und ein Hotel ist so gut wie das andere.«
Høyer saß noch immer nachdenklich da und blickte auf die drei Worte, die er sich aufgeschrieben hatte, als Therkelsen hereinkam.
»Wer war das gerade?«, fragte Therkelsen.
»Martin Nielsen«, sagte Høyer und lachte ansatzweise. »Alias Hans Martin Schrøder, alias der Indianer. Er hat den Mädchennamen seiner Mutter angenommen, als man ihn das letzte Mal auf freien Fuß gesetzt hat, wahrscheinlich aus Rücksicht auf die Familie. Und jetzt ist er Geschäftsmann in der Schweiz, sagt er.«
»Aber du glaubst ihm nicht«, stellte Therkelsen fest.
»Ich habe dem Indianer nie geglaubt«, sagte Høyer. »Und ich bin auch nicht geneigt, Martin Nielsen zu glauben. Was ist schon ein Name?«
»Er hat zugenommen, nicht?«, fragte Therkelsen. »Ich habe ihn gar nicht erkannt, aber ich habe ihn auch nur von hinten gesehen. Ich dachte schon, du wärst das.«
»Ich fühle mich geschmeichelt«,