„Dr. Lindemann“ – mein Namensvetter
Nachdem ich bei Bekannten, die einen entzückenden Bungalow in Monrovias bester Gegend auf dem Kap Mesurado bewohnen, ein echt deutsches Weihnachtsfest mit Tannenbaum und Lichterglanz gefeiert hatte, lud mich der Chefarzt der Firestone-Spitäler, Dr. Karl Franz, zu sich ein, mein Freund aus der Zeit meiner Tätigkeit in Liberia. Karl hat schon im letzten Kriege in Liberia gearbeitet und berät heute den Präsidenten in allen Fragen, die das Gesundheitswesen und damit das Wohlergehen und die Leistungsfähigkeit des Landes betreffen.
Stolz zeigte er mir seine und meine frühere Wirkungsstätte, die sich erstaunlich verändert hatte: aus dem „afrikanischen“ Hospital war inzwischen ein riesiges, modernst eingerichtetes „amerikanisches“ Hospital geworden, das allen Ansprüchen gerecht wird und in Liberia nicht seinesgleichen hat. Auch sonst war bei der Firestone Rubber and Tire Company, der größten zusammenhängenden Gummiplantage der Welt, vieles anders geworden: die Gummibäume, die man 1926 und kurz danach gepflanzt hatte, waren inzwischen gefällt und durch neue ersetzt worden, die Straßen hatten sich modernisiert, die Eingeborenenhütten waren durch Häuser abgelöst – und die Gehälter der mehr als 25.000 Liberianer erhöht worden.
Die Firestone-Gesellschaft hat in Liberia schon immer als Schrittmacher gegolten; in ihren Anfangsjahren war sie dort der einzige Steuerzahler von Bedeutung, und noch zu meiner Zeit gab sie für die Gesundheitspflege ihrer Mitarbeiter mehr Gelder aus als die Regierung, deren Musikkapelle noch nach dem Ersten Weltkrieg mehr kostete als ihr Gesundheitsdienst für die gesamte liberianische Bevölkerung!
Überall stieß ich auf Bekannte, auf alte Mitarbeiter und Freunde. In der Küche suchte ich nach dem Koch, der damals sein Neugeborenes „Dr. Lindemann“ getauft hatte.
Die Namensgebung war in Liberia früher ein großes Problem gewesen. Eingeborenen-Namen wie Momo, Flomo oder Panagofe galten als rückständig und unmodern. So hießen denn die Arbeiter unserer Plantage bald Sunday, Monday usw., die ganze Woche hindurch, oder sie trugen stolz den Namen einer Zahl: „Forty-five“. Andere hatten phantasiereiche Namen wie „Poor No Friend“, oder sie nannten sich nach ihrem Arbeitgeber „Firestone“ und nach dem früheren Manager „Wilson“. Und so war der Koch auf die Idee gekommen, seinen Sohn nach mir zu benennen. Ob der Doktortitel als Vorname gelten sollte, weiß ich nicht. Jedenfalls beruhigte es mich zu erfahren, daß der Junge „Dr. Lindemann“ prächtig gedieh.
Eine Frau für eine Kuh
Auch einen meiner früheren Boys traf ich wieder. Er bat mich um eine kleine Beihilfe zum ratenweisen Ankauf einer Frau.
Frauen sind in Liberia je nach Alter, Aussehen und Erhaltungszustand preislich gestaffelt. Statt Geld werden auch Sachwerte in Zahlung genommen. Je reicher der Freier, desto mehr Bräute kann er sich leisten.
Der Frauenkauf ist eines der natürlichsten Dinge in Westafrika. Man kann die Damen überall erwerben: in Städten, Dörfern und im Urwald. Allerdings sprechen die Eltern das entscheidende Wort und nicht die Tochter. Meist erhält der die „Ware“, der am meisten bietet. Daher haben Häuptlinge im Hinterland einen ganzen Harem. Von einem weiß ich, daß er über hundert Frauen besaß.
Die zum Kauf nötige Summe nennt man dowry, Mitgift. Es ist also der Mann, der eine Mitgift besitzen muß. Manche Afrikaner sparen jahrelang, um die durchschnittliche Mitgift von etwa 40 Dollar – das entspricht ungefähr dem Preis einer Kuh – zusammenzubekommen.
Die Christen unter den Afrikanern, die vorwiegend in den Küstengegenden wohnen, besitzen zwar nur eine Frau, haben aber häufig noch Freundinnen, mit denen sie Kinder haben. Ein Senator pflegte seinen Freundinnen einen Zettel zu schreiben, den sie mir wortlos gaben: „Doktor, das ist meine Freundin, behandeln Sie sie recht sorgfältig“! Niemand stört sich daran, der Senator ging eifrig in die Kirche und verstand es, seine Unterhaltung mit den treffendsten Bibelsprüchen zu würzen.
Moral wird in Westafrika mit anderen Maßstäben gemessen als in unseren Breiten. Während bei manchen Stämmen im Hinterland Ehebruch mit mittelalterlich anmutenden Foltern bestraft wird und die Mädchen in streng abgeschlossenen Urwaldschulen auf ihre spätere Aufgabe als Frau und Mutter vorbereitet werden, legt man in Küstenstädten auf Tugenden wie Keuschheit und Jungfräulichkeit keinen besonderen Wert. Kindern, die außerhalb des Ehebettes gezeugt werden, haftet kein Makel an. Prostitution ist kein anrüchiges Gewerbe; sie erweckt auch längst keinen so häßlichen und ausschließlich merkantilen Eindruck wie in Europa. Vielleicht liegt das am heißen, fruchtbaren Klima, der üppigen Pflanzenwelt, in der die natürlichen Triebe besser gedeihen als im Norden. Es gibt Ministerfrauen, die sich vor ihrer Heirat dem gewerblichen Minnedienst verschrieben hatten. Und es gibt sogar Schulmädchen, die mit ganz bestimmten Absichten im Krausköpfchen die Straßen flanieren.
Während meines früheren Aufenthaltes in Liberia kam einmal ein älterer Häuptling, Panagoga, jammernd zu mir gelaufen und beklagte sich, daß er den Freuden der Liebe in letzter Zeit entsagen müsse – seine Frauen hätten sich darob beschwert. Wie viele er denn habe? „Ungefähr zwanzig“ war seine entschuldigende Antwort, und die meisten davon seien jung, zu jung, um die Nächte allein zu verbringen.
Ich verschrieb ihm eine mehrmonatige Kur, an deren Ende er mir eine Buschschildkröte schenkte. Obschon ich mich als Tierliebhaber sehr darüber freute, war ich doch etwas beunruhigt: Schildkröten sind bekanntlich Kaltblütler – sollte dieses Tier eine diskrete Anspielung auf den Erfolg meiner Behandlung sein?
Ich verlor ihn bald aus den Augen, und die Buschschildkröte wurde mir schon in der ersten Woche gestohlen – wahrscheinlich landete sie in der Suppe eines Liebhabers. Als ich aber jetzt wieder in Monrovia war, hörte ich von Pangoga, daß er inzwischen nochmals Vater geworden sei – mit rund achtzig Jahren!
Selbstverständlich können auch Europäer junge Afrikanerinnen kaufen und mit ihnen zusammenleben, und ebenso selbstverständlich können sie sich auch trauen lassen. Ehen zwischen Europäern und schwarzen Frauen sind seltener als zwischen Afrikanern und weißen Frauen, verlaufen aber meist glücklicher, da die Europäer mit dem Lande vertraut waren und die Sitten der Schwarzen kannten, als sie heirateten. Weiße Frauen hingegen machen sich oft völlig falsche Vorstellungen von dem Leben, das sie an der Seite eines Afrikaners erwartet. Von vielen Afrikanern, die im Westen studiert haben, bröckelt die europäische Erziehung in der alten, vertrauten Umgebung wie schlechter Mörtel wieder ab.
Die Verzweiflung einer jungen Europäerin klingt mir noch in den Ohren. Sie war 18 Jahre alt, zart, blond und hübsch und wuchs als Tochter eines höheren Beamten in einer romantischen Universitätsstadt auf, als sie einen schwarzen Medizinstudenten kennenlernte und heiratete. Nach Beendigung seines Studiums ging der Afrikaner mit ihr nach Westafrika zurück. Und dann geschah es: mit einem Schlage rückte die Sippschaft an, Tanten und Basen, Vettern zweiten und dritten Grades, Verwandte, die nicht einmal blutsverwandt waren. Sie nisteten sich im neugegründeten Heim des jungen Ehepaares ein und wollten am Wohlstand und Wohlergehen der beiden teilhaben – nach afrikanischer Sitte. Durch nichts waren sie zu vertreiben. Die junge Frau hatte kaum noch Gelegenheit, mit ihrem Mann, der ihr unter dem Einfluß der Verwandten immer fremder wurde, allein zu sein. Selbst ins Schlafzimmer drang die Verwandtschaft zu Tages- und Nachtzeiten ein.
Während die junge Europäerin, die ihren Mann immer noch liebte, von Tag zu Tag blasser und elender wurde, ging der Ehemann erneut auf „Brautschau“ aus und besuchte schwarze Freundinnen. „Was soll ich tun?“ jammerte sie. Weil ich im tropischen Afrika gearbeitet und die schwarze Oberschicht ganz gut kennengelernt hatte, gab ich ihr den Rat, lieber heute als morgen nach Europa zurückzukehren. Leider nahm sie meinen Rat nicht an, sondern blieb in Afrika. Wenige Jahre später erfuhr ich, daß sie sich das Leben genommen hatte.
Rachsüchtige