Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2. Augustinus von Hippo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Augustinus von Hippo
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659837
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beinahe leibliche Geschwister. Es war jedoch bei den alten Vätern Gegenstand angelegentlicher Sorge, die Verwandtschaft, damit sie sich nicht allmählich im Laufe der Fortpflanzung verflüchtige und allzu weit ausdehne und so aufhöre, eine Verwandtschaft zu sein, durch ein neues Eheband wieder festzuknüpfen, ehe sie sich noch zu weit entfernt hatte, und die fliehende gleichsam zurückzurufen. Daher nahmen sie, auch nachdem der Erdkreis bevölkert war, zwar nicht Schwestern, die vom eigenen Vater oder der eigenen Mutter oder vom eigenen Elternpaar stammten, zu Frauen, aber sie liebten es doch, innerhalb ihres Stammes zu heiraten. Indes sind ohne Zweifel in unseren Zeiten Ehen auch unter Geschwisterkindern schicklicher verboten worden; nicht nur, gemäß unseren obigen Ausführungen, mit Rücksicht auf die Vervielfältigung der Verwandtschaften, damit sich nicht in einer Person zwei Verwandtschaftsgrade vereinigten, da doch zwei Personen daran teilhaben und so sich die Verwandten der Zahl nach mehren könnten, sondern auch weil sich innerhalb des Gebietes der menschlichen Scheu von Natur aus ein merkwürdiger und lobenswerter Zug findet, wonach man an eine Person, der man auf Grund der Verwandtschaft ehrerbietige Achtung schuldet, nicht mit unreiner, wenn auch der Zeugung dienender Lust herantritt, über die wir selbst die eheliche Züchtigkeit Scham empfinden sehen.

      Die Verbindung von männlichen und weibliche» Wesen also ist, soweit das Menschengeschlecht in Betracht kommt, eine Art Keimzelle des Staates; jedoch der Weltstaat bedarf nur der Geburt, der himmlische dagegen auch der Wiedergeburt, um den Schaden von der Geburt her los zu werden. Ob es indes vor der Sündflut ein äußeres und sichtbares Zeichen der Wiedergeburt gab, wie die Beschneidung eines war, die nachmals dem Abraham aufgetragen ward[242] , und welcher Art es war, falls es eines gab, darüber spricht sich die heilige Geschichte nicht aus. Wohl aber spricht sie ausdrücklich davon, daß jene ältesten Menschen Gott geopfert haben; das ist bei den zwei ersten Brüdern, wie erwähnt, der Fall gewesen, und ebenso wird von Noe berichtet[243] , daß er Gott Opfer darbrachte, als er die Arche verlassen hatte. Was aber das Opfer als solches betrifft, so haben wir schon in früheren Büchern gesagt[244] , daß die Dämonen, indem sie sich Göttlichkeit anmaßen und für Götter erachtet zu werden begehren, nur deshalb den Dienst des Opferns für sich heischen und an derlei Ehrenbezeugungen ihre Freude haben, weil sie wissen, daß das wahre Opfer dem wahren Gott allein gebühre.

      

       17. Die zwei Väter und Uranfänge, die aus einem Erzeuger hervorgegangen sind.

      

      Adam also ist der Vater beider Geschlechter, des einen, dessen Abfolge zum Weltstaat, wie des andern, dessen Abfolge zum himmlischen Staat gehört; nach Abels Ermordung jedoch, in der ein wunderbares Geheimnis[245] vor Augen gestellt wurde, erhielt jedes Geschlecht seinen eigenen Stammvater, Kain und Seth, in deren Söhnen, die eben deshalb zu erwähnen waren, die Kennzeichen dieser beiden Staaten innerhalb des Geschlechtes der Sterblichen deutlicher in die Erscheinung .zu treten begannen. Kain erzeugte nämlich Enoch, auf dessen Namen er einen Staat gründete, den Weltstaat, der auf dieser Welt sich nicht als Fremdling betrachtet, sondern sein Genügen sucht im zeitlichen Frieden und Glück dieser Welt. Der Name Kain aber bedeutet soviel wie Besitz[246] ; weshalb auch bei seiner Geburt sein Vater oder seine Mutter sagte[247] : „Ich habe einen Menschen gewonnen durch Gott“. Und der Name Enoch bedeutet Einweihung; denn der Weltstaat wird geweiht mit seiner Gründung selbst, da er hienieden das von ihm ins Auge gefaßte und angestrebte Ziel hat. Seth dagegen heißt .Auferstehung, und Enos, sein Sohn, heißt soviel wie Mensch; aber anders als Adam. Denn auch der Name Adam wird mit Mensch übersetzt; jedoch in einem Sinne, der nach dem hebräischen Sprachgebrauch, wie sich zeigt, Mann und Weib zugleich umfaßt. Denn es heißt von diesem Namen[248] : „Mann und Weib schuf er sie, und segnete sie und nannte ihren Namen Adam“. Kein Zweifel daher, daß Adam, was Mensch heißt, der gemeinsame Name beider war, wenn schon Eva einen eigenen Namen erhielt. Enos dagegen heißt Mensch in einem Sinne, der die Einbeziehung des Weibes nach der Versicherung der Kenner der hebräischen Sprache ausschließt, und er heißt so als Sohn der Auferstehung, in der „man weder heiraten noch Weiber nehmen wird“[249] . Denn dort gibt es keine Geburt, da vielmehr die Wiedergeburt dorthin führt. Nicht gegenstandslos erscheint es mir daher, anzumerken, daß bei den Zeugungsreihen, die auf den Stammvater mit dem Namen Seth zurückgehen, keine der gezeugten Frauen mit Namen genannt wird, obwohl es ausdrücklich heißt, daß Söhne und Töchter gezeugt wurden; dagegen bei den Zeugungsreihen, die auf Kain zurückgehen, wird ganz am Schluß, soweit sie überhaupt reichen, als letzte Zeugung die eines Weibes aufgeführt. Es heißt nämlich[250] : „Mathusael zeugte den Lamech; und Lamech nahm sich zwei Frauen, die eine hieß Ada, die andere Sella, und Ada gebar den Jobel; der war der Vater der Zeltbewohner und Herdenbesitzer. Und der Name seines Bruders war Jobal; der war es, der das Harfen- und Zitherspiel lehrte. Sella aber ihrerseits gebar den Thobel; und er war Erzhämmerer, hämmerte Erz und Eisen. Die Schwester Thobels aber war Noemma“. Soweit sind die Zeugungsreihen aus Kain geführt; es sind ihrer insgesamt von Adam an, diesen mitgezählt, acht, sieben bis auf Lamech, der zweier Frauen Gatte war, und die achte Zeugungsreihe bilden Lamechs Kinder, darunter auch ein Weib genannt wird. Fein ist damit angedeutet, daß der Weltstaat bis an sein Ende fleischliche Geschlechtsfolgen haben wird, die hervorgehen aus der Vereinigung zwischen Mann und Weib. Darum werden auch von dem Manne, der hier zuletzt als Vater erscheint[251] , die beiden Frauen mit ihren Namen aufgeführt, was sonst vor der Sündflut nirgends außer bei Eva der Fall ist. Wie aber Kain, dessen Name Besitz bedeutet, der Gründer des Weltstaates, und der, auf dessen Namen er gegründet ward, Enoch, Kains Sohn, dessen Name Einweihung bedeutet, darauf hinweisen, daß der Weltstaat auf der Erde seinen Ursprung und sein Ziel habe und daß man in ihm nichts erhoffe über das hinaus, was man in dieser Welt schauen kann, so ist nun auch bei Seth, dessen Name Auferstehung bedeutet, darauf zu achten — denn er ist der Stammvater gesondert erwähnter Geschlechtsfolgen —, was diese heilige Geschichte von seinem Sohne berichtet.

      

       18. Die vorbildlichen Beziehungen, die von Abel, Seth und Enos auf Christus und seinen Leib, die Kirche, hindeuten.

      

      „Auch dem Seth“, heißt es[252] , „ward ein Sohn geboren, und er nannte seinen Namen Enos; dieser hoffte anzurufen den Namen Gottes des Herrn.“ Fürwahr, laut genug ertönt die Bezeugung der Wahrheit. In Hoffnung also lebt der Mensch[253] , Sohn der Auferstehung; in Hoffnung lebt während seiner irdischen Pilgerschaft der Gottesstaat, der gezeugt wird aus dem Glauben an die Auferstehung Christi. Denn durch diese beiden Menschen: Abel, dessen Name Trauer bedeutet, und seinen Bruder Seth, dessen Name Auferstehung bedeutet, wird vorgebildet der Tod Christi und sein Aufleben von den Toten. Und aus dem Glauben daran entsteht hienieden der Gottesstaat, d. i. der Mensch, der da hoffte anzurufen den Namen Gottes des Herrn. „Denn der Hoffnung nach sind wir erlöst worden“, sagt der Apostel[254] . „Eine Hoffnung aber, die man sieht, ist keine Hoffnung. Denn was jemand sieht, wie hofft der noch darauf? Wenn wir aber hoffen, was wir nicht sehen, so erwarten wir es in Geduld.“ Wer greift da nicht mit Händen sozusagen, daß ein tiefes Geheimnis vorliegt? Hat Abel etwa nicht gehofft, den Namen Gottes des Herrn anzurufen, er, dessen Opfer nach dem Berichte der Schrift Gott so angenehm war? Hat nicht auch Seth gehofft, den Namen Gottes des Herrn anzurufen, da es doch über ihn heißt[255] : „Gott hat mir einen andern Samen erweckt an Stelle Abels“? Wenn also dem Enos das im besonderen zugeschrieben wird, was allen Frommen offenkundig gemeinsam ist, so geschieht dies wohl nur deshalb, weil in ihm, dem ersterwähnten Abkömmling des Stammvaters jener Zeugungsreihen, die in ihrer Sonderung den besseren Teil, den himmlischen Staat, darstellen, der Mensch, d. h. die Genossenschaft von Menschen, vorgebildet werden sollte, die nicht nach dem Menschen lebt im Taumel des greifbaren irdischen Glückes, sondern nach Gott in der Hoffnung auf ewiges Glück. Und es heißt nicht: „Dieser hoffte auf Gott den Herrn“, und auch nicht: „Dieser rief an den Namen Gottes des Herrn“, sondern: „«Dieser» hoffte anzurufen den Namen Gottes des Herrn“. Was will das sagen: „Er hoffte anzurufen“? Das klingt wie eine Weissagung, daß ein Volk erstehen werde, welches dank einer Gnadenwahl den Namen Gottes des Herrn anrufen würde. Es ist dasselbe, was der Apostel als Ausspruch eines