Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2. Augustinus von Hippo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Augustinus von Hippo
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659837
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den Menschentöchtern gingen“. Also gab es Riesen in jenen Tagen sowohl vorher wie nachher. Wenn es aber heißt: „Und sie zeugten für sich“, so wird darauf hingewiesen, daß die Gottessöhne vordem, ehe sie auf solche Weise fielen, für Gott gezeugt hatten, nicht für sich, d. i. nicht unter der Herrschaft des Begattungstriebes, sondern im Dienste der Pflicht der Fortpflanzung; nicht ein Geschlecht der Selbstüberhebung, sondern Bürger des Gottesstaates, denen sie als Engel Gottes verkündigten, auf Gott ihre Hoffnung zu setzen, nach dem Vorbild dessen, der aus Seth entsprossen ist als Sohn der Auferstehung und der den Namen Gottes des Herrn anzurufen hoffte, eine Hoffnung, in der sie samt ihren Nachkommen Miterben der ewigen Güter und unter der Vaterschaft Gottes die Brüder ihrer Söhne sein sollten.

      Daß sie aber nicht Engel Gottes waren in einem Sinne, der ihr Menschentum ausschlösse, wie manche glauben, sondern ohne Zweifel eben Menschen, das legt die Schrift selbst ohne alle Zweideutigkeit klar. Denn an die Worte: „Wie nun die Engel Gottes die Töchter der Menschen sahen, wie gut sie seien, da nahmen sie sich Weiber aus allen, wie sie ihnen gefielen“, schließt sich unmittelbar an: „Und Gott der Herr sprach: Nicht wird ewiglich bleiben mein Geist in diesen Menschen, weil sie Fleisch sind“. Durch Gottes Geist nämlich waren sie Engel Gottes und Söhne Gottes geworden, im Hinabgleiten zu Niedrigem aber heißen sie Menschen, eine Bezeichnung, die ihnen von Natur aus zukommt, nicht eine, die in der Gnade ihren Grund hat; sie heißen auch Fleisch als abtrünnig vom Geiste und in ihrer Abtrünnigkeit verlassen vom Geiste. Der Septuagintatext nennt sie sowohl Engel Gottes wie auch Söhne Gottes; aber nicht in allen Handschriften, vielmehr weisen manche nur die Lesart Söhne Gottes auf. Aquila[288] dagegen, ein Übersetzer, den die Juden über die anderen stellen, übersetzte weder „Engel Gottes“ noch „Söhne Gottes“, sondern „Söhne von Göttern“. Richtig ist dem Sinne nach eines wie das andere. Denn sie waren sowohl Söhne Gottes, unter dessen gemeinsamer Vaterschaft sie auch die Brüder ihrer Väter waren, als auch Söhne von Göttern, weil sie von Göttern gezeugt worden waren, mit denen sie selbst auch wieder die Göttereigenschaft teilten nach dem Psalmwort[289] : „Ich habe gesprochen: Götter seid ihr und Söhne des Höchsten alle“. Denn mit Recht nimmt man an, daß die 70 Übersetzer prophetischen Geist empfangen haben und daß infolgedessen an der göttlichen Herkunft dessen nicht zu zweifeln sei, was sie etwa auf Eingebung dieses Geistes änderten und anders als ihre urtextliche Vorlage ausdrückten[290] . Übrigens soll der hebräische Text an dieser Stelle zweideutig sein und sowohl mit Söhne Gottes wie auch mit Söhne von Göttern übersetzt werden können. Wir wollen hier beiseite lassen die Fabeleien jener Schriften, die man die Apokryphen nennt deshalb, weil ihre unbekannte Herkunft den Vätern nicht klar geworden ist, von denen die bindende Kraft der wahren Schriften in völlig sicherer und allbekannter Abfolge auf uns gelangt ist. Dagegen den Apokryphen wohnt keine kanonische Geltung inne wegen des vielen Falschen, das sich in ihnen neben manchem Wahren findet. Daß indes jener Enoch aus der siebenten Geschlechtsfolge von Adam ab einiges im Geiste Gottes geschrieben hat, läßt sich nicht in Abrede stellen, da der Apostel Judas in einem kanonischen Brief davon spricht[291] . Aber mit gutem Grund sind seine Aufzeichnungen nicht in den Schriftkanon aufgenommen, der im Tempel des Judenvolkes von der hohenpriesterlichen Abfolge sorgsam aufbewahrt wurde; sie mochten wegen ihres Alters für nicht einwandfrei hinsichtlich der Glaubwürdigkeit erachtet worden sein, und man konnte wohl nicht feststellen, ob es sich wirklich um seine Aufzeichnungen handle, da hierfür nicht das Zeugnis von Leuten eintrat, von denen sich hätte nachweisen lassen, daß sie sie in ununterbrochener Abfolge vorschriftsmäßig aufbewahrt hätten. Daher gelten die unter seinem Namen gehenden Berichte, die jene Fabeln von den Riesen enthalten, wonach sie nicht Menschen zu Vätern gehabt hätten, den Verständigen mit Recht nicht als von Enoch herrührend, wie ja auch sonst vieles unter dem Namen anderer Propheten und neueres Schrifttum unter dem Namen von Aposteln eingeführt wird von Häretikern, was alles nach sorgfältiger Prüfung als apokryphes Schrifttum ausgeschieden worden ist von kanonischer Geltung. Es ist also kein Zweifel, daß es nach den kanonischen Schriften der Juden und Christen viele Riesen gab vor der Sündflut und daß sie Bürger der erdgeborenen Menschengenossenschaft waren, daß aber Gottessöhne, Sprößlinge des Sethstammes dem Fleische nach, sich zu dieser Genossenschaft unter Preisgabe der Gerechtigkeit hinwendeten. Und es ist nicht auffallend, daß auch von ihnen Riesen abstammen konnten. Denn wenn auch nicht alle Leute damals Riesen waren, so gab es ihrer doch viel mehr, als nach der Sündflut in den späteren Zeiten. Sie zu schaffen gefiel dem Schöpfer deshalb, weil auch darin ein Hinweis lag, daß so wenig wie die Schönheit auch die Größe und Kraft des Leibes hohe Werte darstellen sollen für den Weisen, der vielmehr seine Glückseligkeit findet in den geistigen und unvergänglichen Gütern, die weit besser und sicherer und den Guten allein eigen, nicht ihnen mit den Bösen gemeinsam sind. Das stellt ein anderer Prophet klar heraus mit den Worten[292] : „Dort gab es Riesen, jene berühmten, die am Uranfang lebten, hohen Wuchses, kundig des Krieges. Nicht sie erwählte der Herr, noch gab er ihnen den Weg des Wissens; vielmehr gingen sie zugrunde, weil sie die Weisheit nicht besaßen, sie gingen unter ob ihrer Unbedachtsamkeit“.

      

       24. Über den Sinn der Stelle, worin der Herr von denen, die durch die Sündflut zugrunde gehen sollten, sagt: Und ihre Tage sollen sein hundertundzwanzig Jahre.

      

      Wenn aber Gott sprach[293] : „Und ihre Tage sollen sein hundertundzwanzig Jahre“, so ist das nicht so aufzufassen, als ob damit vorherverkündet wäre, daß in der Folge das Menschenleben nicht mehr hundertundzwanzig Jahre überschreiten sollte, da wir ja nach der Sündflut auch noch Lebensdauern selbst von mehr als fünfhundert Jahren vorfinden; vielmehr ist die Sache so zu verstehen, daß Gott dies gesprochen hat, als Noe am Ende von fünfhundert Lebensjahren stand oder genauer 480 Jahre alt war, wofür die Schrift nach ihrem Sprachgebrauch auch die runde Summe von 500 Jahren angibt[294] , da sie ja häufig das Ganze für den größten Teil setzt; und im 600. Jahre Noes, im zweiten Monat, fand die Sündflut statt[295] . Also bezieht sich die Vorhersage von 120 Jahren auf die Lebensfrist der dem Untergang geweihten Menschen, nach deren Ablauf sie durch die Sündflut vernichtet werden sollten. Und mit gutem Grunde nimmt man an, die Sündflut sei deshalb so angesetzt worden, weil sich da niemand mehr auf Erden fand, der nicht einen solchen Tod, wie er nun einmal als Strafe für Gottlose bestimmt war, verdient hätte. Nicht als ob für die Guten, die ja auch einmal sterben müssen, eine solche Todesart etwas in sich schlösse, was ihnen nach dem Tode schaden könnte, aber es ist eben doch keiner von denen, die in der Heiligen Schrift als Abkömmlinge Seths namhaft gemacht werden, durch die Sündflut ums Leben gekommen. Die Ursache der Sündflut aber wird von Seiten Gottes also angegeben[296] : „Da Gott der Herr sah, daß sich die Bosheiten der Menschen auf Erden vermehrten und jeglicher in seinem Herzen eifrig auf Böses sann Tag für Tag, da bedachte Gott, daß er den Menschen auf Erden erschaffen habe, und bedachte es wieder, und es sprach Gott: Vernichten will ich den Menschen, den ich erschaffen, vom Angesicht der Erde, angefangen vom Menschen bis zum vierfüßigen Getier und vom kriechenden Gewürm bis zu den Vögeln des Himmels, weil ich erzürnt bin, daß ich sie geschaffen habe“.

      

       25. Gottes Zorn bedeutet nicht ein Aufflammen, das seine unwandelbare Ruhe störte.

      

      Gottes Zorn ist nicht eine Erregung seines Gemütes, sondern das Gericht, durch das über die Sünde Strafe verhängt wird. Und wenn er etwas bedenkt und wieder bedenkt, so ist das die unwandelbare Vernunft in ihrem Verhältnis zu Dingen, die gewandelt werden sollen. Denn nicht wie der Mensch empfindet Gott Reue über irgendeine seiner Taten[297] ; vielmehr steht ihm das Urteil über alle und jegliche Dinge ebenso unwandelbar fest, wie sein Vorherwissen untrüglich ist. Würde jedoch die Schrift auf solche Ausdrucksweise verzichten, so könnte sie sich nicht so traulich einführen bei den Menschen aller Art, denen sie geholfen wissen will. So aber schreckt sie die Hochmütigen, spornt die Gleichgültigen, gibt den Suchenden Anregung, den in ihren Geist Eindringenden Nahrung. Das bringt sie nur zuwege, indem sie sich zunächst herabneigt und sozusagen heruntersteigt zu den Darniederliegenden. Wenn sie aber auch für alle Tiere auf Erden und in der Luft den Untergang