20. Die Ausgeschämtheit der Kyniker ist eine Verirrung.
Das haben jene hündischen[142] Philosophen, die Kyniker, nicht erkannt, die gegen das den Menschen angeborene Schamgefühl eine wahrhaft hündische Ansicht geltend machten, eine schmutzige, meine ich, und ausgeschämte: weil das, was an der Gattin geschieht, in der Ordnung sei, so solle man es ohne Scheu öffentlich tun und auf Gassen und Straßen allüberall den Beischlaf ausüben. Indes das natürliche Schamgefühl hat obgesiegt über diese irrige Anschauung. Wenn auch angeblich Diogenes das einmal aus Eitelkeit getan hat in der Meinung, seine Schule werde so berühmter werden, wenn ihre Ausgeschämtheit besonders lebhaft im Andenken der Menschen hafte, so sind doch später die Kyniker davon abgestanden, und es überwog die Scham, die Menschen vor Menschen erröten macht, über die Verirrung, die Menschen mit Hunden auf eine Stufe zu stellen sich erdreistete. Ich möchte daher auch eher glauben, Diogenes und andere, von denen man solches erzählt, werden nur die entsprechenden Bewegungen den Leuten zu sehen gegeben haben, die ja nicht wußten, was unter der Decke vorging, als sie hätten unter den Augen von Menschen die geschlechtliche Lust auszuüben vermocht. Die Lust selbst nahm Anstand, sich zu erheben, wo die Philosophen keinen Anstand nahmen, den Schein zu erwecken, als wollten sie sich zum Beischlaf niederlegen. Auch jetzt gibt es ja noch kynische Philosophen; man kennt sie ganz wohl an ihrem griechischen Mantel und an dem Knotenstock, den sie tragen; aber keiner von ihnen wagt, solches zu tun, und würde es einer wagen, so würde er zwar kaum gesteinigt, aber jedenfalls gehörig verspien werden. Die menschliche Natur hegt also ohne Zweifel Scham und Scheu gegenüber dieser Lust und hegt sie mit Recht. Denn in ihrer unbotmäßigen Auflehnung, die die Zeugungsglieder des Leibes allein ihren eigenen Regungen dienstbar gemacht und der Gewalt des Willens entzogen hat, tritt deutlich das Merkmal der Vergeltung für die erste Unbotmäßigkeit des Menschen zutage; in dem Teil ganz besonders mußte es hervortreten, der zur Fortpflanzung der menschlichen Natur bestimmt ist, die durch jene erste und große Sünde zum Schlechteren verändert worden ist. Und der Verflechtung in diese Sünde wird man nur entrissen, wenn durch Gottes Gnade in den Einzelnen das gesühnt wird, was zum allgemeinen Verderben, da alle in dem Einen waren, begangen und durch Gottes Gerechtigkeit bestraft ward.
21. Der Segen der Mehrung durch Fruchtbarkeit, den Menschen vor der Sünde erteilt, wurde durch die Übertretung nicht aufgehoben; es trat jedoch neu hinzu das Fieber der Lust.
Keinenfalls also dürfen wir annehmen, die Gatten im Paradiese hätten auf dem Wege solcher Lust, die sie mit Scham übergoß und zur Bedeckung der Zeugungsglieder veranlaßte, die Verheißung wahr gemacht, die Gott in seinem Segen aussprach[143] : „Wachset und mehret euch und erfüllet die Erde“. Ist doch erst nach der Sünde diese Lust erstanden und erst nach der Sünde hat die Natur, die ja nicht schamlos ist, nunmehr verlustig gegangen der Herrschgewalt über den Leib in all seinen Teilen, sie empfunden, bemerkt, sich darüber beschämt gefühlt und sie zu verbergen gesucht. Jener Ehesegen dagegen, daß die Gatten durch ihre Verbindung wachsen und sich mehren und die Erde erfüllen sollten., ist zwar auch nach der Sünde ihnen verblieben, aber er ist vor der Sünde gegeben worden, damit man erkenne, daß die Erzeugung von Kindern mit der Strafe für die Sünde nichts zu schaffen habe, sondern zur Herrlichkeit der Ehe gehöre. Aber die Menschen von heute, die natürlich von dem ehemaligen Paradiesesglück keine Ahnung haben, können sich die Erzeugung von Kindern nur auf dem ihnen aus Erfahrung bekannten Wege, auf dem Wege der geschlechtlichen Lust vorstellen, deren man sich selbst im ehrbarsten Ehebeilager schämt. Und die Heilige Schrift, worin es doch heißt, daß man nach der Sünde sich der Nacktheit schämte und die Scham bedeckte, nehmen die einen[144] überhaupt nicht an, sondern lachen darüber ungläubig, während die anderen[145] sie zwar annehmen und in Ehren halten, jedoch den Ausspruch: „Wachset und mehret euch“ nicht von der Fruchtbarkeit dem Leibe nach verstanden wissen wollen, mit Berufung darauf, daß es auch über die Seele einen ähnlichen Ausspruch gibt, nämlich[146] : „Du wirst mich zunehmen lassen in meiner Seele der Tugend nach“. Demnach verstehen sie bei den in der Genesis folgenden Worten: „Und erfüllet die Erde und herrschet über sie“ unter Erde den Leib, den die Seele mit ihrer Gegenwart erfüllt und über den sie ganz besonders dann herrscht, wenn sie in der Tugend zunimmt; Leibesfrucht dagegen habe damals so wenig wie heutzutage ohne geschlechtliche Lust entstehen können, die erst nach der Sünde auftrat und erkannt ward und sich scheu in die Verborgenheit zurückzog, und es sollte auch im Paradies keine Leibesfrucht geben, sondern erst außerhalb, wie es auch eingetreten ist. Denn erst nachdem sie daraus vertrieben waren, taten sie sich zur Erzeugung von Kindern zusammen und erzeugten solche wirklich.
22. Die eheliche Verbindung ist von Gott eingesetzt und gesegnet.
Wir dagegen zweifeln durchaus nicht, daß wachsen und sich mehren und die Erde erfüllen gemäß dem Segen Gottes eine Gabe der Ehe sei und daß Gott die Ehe vor der Sünde des Menschen von Anfang an eingesetzt habe, indem er Mann und Weib schuf, ein geschlechtlicher Unterschied, der eben im Fleische klar sich zeigt. Und gerade diesem Werke Gottes ist der Segen beigefügt, um den es sich handelt. „Als Mann und Weib schuf er sie“, heißt es in der Schrift, und im unmittelbaren Anschluß daran fährt sie fort: „Und Gott segnete sie und sprach: Wachset und mehret euch und erfüllet die Erde und herrschet über sie“ und so weiter. Man kann dies ja alles recht wohl auch in einem geistigen Sinne auffassen, jedoch der Ausdruck „Mann und Weib“ widerstrebt der Beziehung auf etwas Entsprechendes in ein und demselben Menschen, etwa in dem Sinn, daß sich in ein und demselben Menschen zweierlei findet, etwas, was herrscht, und etwas, was beherrscht wird; vielmehr sind, wie daraus, daß von Leibern verschiedenen Geschlechtes die Rede ist, ganz augenscheinlich hervorgeht, Mann und Weib so erschaffen worden, daß sie durch Zeugung von Nachkommenschaft wachsen und sich mehren und die Erde erfüllen sollten, und es hätte keinen Sinn, sich gegen diese wörtliche Auffassung zu sperren[147] . Das verbietet schon die Antwort des Herrn auf die Frage[148] , ob es erlaubt sei, sein Weib um jeder Ursache willen zu entlassen, weil Moses wegen der Herzenshärte der Israeliten gestattet hatte, den Scheidebrief zu geben. Der Herr erwiderte: „Habt ihr nicht gelesen, daß der, der sie erschaffen hat im Anfang, als Mann und Weib sie geschaffen und gesprochen hat: Um deswillen wird der Mann Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, und sie werden zwei in einem Fleische sein? Es sind also nicht mehr ihrer zwei, sondern sie sind ein Fleisch. Was also Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen“. Hier spricht doch der Herr nicht vom Geist, der gebietet, und dem Fleisch, das gehorcht, oder von der vernünftigen Seele, die die Leitung hat, und der unvernünftigen Begehrlichkeit, die zu leiten ist, oder von der betrachtenden Tugend, die den Vorrang hat, und der handelnden, die tiefer steht, oder von der geistigen Einsicht und der körperlichen Empfindung, sondern offenbar von dem ehelichen Bande, wodurch die beiden Geschlechter gegenseitig aneinander geknüpft sind. Es ist also gewiß, Mann und Weib waren ursprünglich schon so eingerichtet, wie wir heutzutage zwei Menschen verschiedenen Geschlechtes beschaffen sehen und wissen, eins aber