Der Eine und der Andere. Walther von Hollander. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Walther von Hollander
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711474532
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umzublättern, ungewöhnlich schnell zu einem guten Abschluss. Tante Lisa nahm diesen Erfolg natürlich ganz für die „Hollsche Intelligenz“ in Anspruch, aber Egbert – mochte er nun an seinem Examenstage ein wenig überreizt sein, oder mochte er im Anfang eines Selbstbewusstseins stehen – wies sie ziemlich heftig zurecht, indem er, auf das Bild seines Vaters, des alten Oskar v. Kranebitter, weisend, dessen Zähigkeit als sein eigentliches Vorbild rühmte.

      Dieser Vorfall verdient deshalb hervorgehoben zu werden, weil Egbert von diesem Augenblick an seine Tante aus der Herrschaft gedrängt und die Zügel des Haushalts in feste Hände genommen hatte.

      Bereits Ende 1920 hatte Egbert eine Stellung bei der V. E. G., die zwar im Grunde miserabel bezahlt war, deren Einkünfte aber für die bereits stark eingeschränkten Bedürfnisse der Drei vollauf genügten.

      Für Egbert lief nun das Leben zwischen seinem Bureau und seiner Kammer eintönig hin und her; die einzige Abwechslung bestand aus einigen Besuchen, die man machte und bekam, und ab und zu in einem Feste der baltischen Kolonie, das stets traditionell und langweilig war und für Egbert gewöhnlich in einem mehr oder minder heftigen Rausch endete. Diesen Rausch sahen die beiden alten Damen beinahe gern. Denn sie fühlten es natürlich genau, dass das Leben Egberts für einen so jungen Menschen nicht gerade erfreulich sei und dass er sich darum an irgendeiner Stelle austoben müsse. Und so war der schon allen bekannte Schluss dieser Feste immer, dass die beiden Alten Egbert unter den Arm nahmen und, ihn streng zwischen sich haltend, sein Gegreine, Gelache und Gelalle über sich ergehen liessen, Frau v. Kranebitter mit einem Lächeln zwischen Angst und Übermüdung, Fräulein v. Holl mit einem gleichmütigen, vielleicht manchmal grimmigen Humor.

      Was Egbert in den Jahren 1921 bis 1923 sonst trieb, war ihm später nicht ganz klar. Aber dieses Schicksal teilte er ja mit der Mehrzahl der Deutschen, die stets mit einem Papierfetzen in der Hand, dessen Wert sich oft von Minute zu Minute verringerte, hinter ihrer Nahrung herrannten und ein Leben führten, dessen Spannung und Angst ganz nach aussen getreten war. So lebte auch Egbert. Er ging seiner Arbeit nach, die ihm vollständig gleichgültig war und die er so sehr beherrschte, dass er seinen Beruf reibungslos erledigen konnte. Und innen? Was ging innen vor? Er wusste es nicht. Er wohnte in einer dunklen Kammer, deren Tapeten langsam abbröckelten. Abends, bis spät in die Nacht sang das Gas über seinem Kopfkissen, und er lag, langsam und bedächtig in einem Buche blätternd, im Bett, rauchte unzählige Zigaretten, die er zuvor sorglich gestopft hatte, oder starrte auch nur verbohrt und verbissen vor sich hin. Vielleicht, wenn er sich dann einmal im Spiegel gesehen hätte, wäre er erschreckt aufgefahren.

      Denn von der Stirn her, die wie ein Vorhang nach unten zu zusammengezogen war, fielen Schatten wie Flecke auf sein Gesicht, auf die hohen Backenknochen und auf die Wangen, die sich nach innen schmiegten. Selbst die Lippen, über die ein weicher und langer Chinesenschnurrbart gemalt schien, waren oft ganz grau.

      2.

      Gegen Ende des Jahres 1923 richtete sich die Aufmerksamkeit der Familie v. Kranebitter auf die jüngste der Baronessen Schell, auf die kleine, wegen ihres langen, blonden Haares berühmte Irma. Egbert dachte natürlich die ganze Zeit, dass allein seine Aufmerksamkeit erregt sei, dass er allein den Gedanken an eine Verheiratung mit allen Fürs und Widers erwäge. In Wirklichkeit hatten zunächst Mutter und Tante in ausführlichen Gesprächen der langen Vormittage jede Einzelheit hin und her überlegt. Es war dann schliesslich die alte Baronin Schell, eine fortwährend hüstelnde, Bonbon lutschende, asthmatische Dame („offen gesagt,“ meinte Tante Lisa Holl, „ein scheussliches, altes Weib“) hinzugezogen worden, und man hatte sich schliesslich nach langem Hin und Her auf die Formel geeinigt, dass man „den Dingen ihren Lauf lassen wolle“. Das bedeutete, man würde auf jede Weise eine Verbindung fördern, an der unter den gegebenen Umständen nichts auszusetzen war, und es kam wirklich in dem Kranebitterschen Haushalt zu häufigen Hinweisen auf das leichtere Los des Ehemannes und die Vorzüge der Baronesse Irma.

      Egbert konnte diese Vorzüge eigentlich nicht entdecken. Gewiss: das königinblonde Haar war sehr stark und übermässig lang. Man hatte sogar einmal auf einem Jourfix der Irma die Haare gelöst, obwohl sie sich heftig dagegen sträubte. Da konnte man sehen, dass die Haare wirklich fast bis zu den Hacken reichten und genügend dicht waren, um die kleine Person ganz einzuhüllen. Egbert hatte damals eher Mitleid als Bewunderung empfunden.

      Ja und sonst? Sehr reizvoll war eigentlich nur noch ihr zartes, dünnes Stimmchen. Sie sprach immer ganz leise und so hoch, dass man stets fürchten musste, die nächsten Töne würden abbrechen. Mancher hätte wohl noch die Hände und Füsse bewundert, die, obwohl ein wenig leblos, eine ungemein feine Gliederung zeigten. Gesicht und Körper waren klein und unbesonders. Die Haut blieb meist grau und schlaff. Kurz, sie war eines jener Zuchtprodukte, die am Ende der Zuchtreihe stehn, an denen aber das Gesamtresultat nicht mehr stimmt. Diese Art Mensch ist fast immer zu grosser, persönlicher Leistung oder zu frühzeitigem Untergang bestimmt. Rassemässig ist keine Leistung mehr möglich.

      Etwas gab es übrigens doch, wodurch Egbert angezogen wurde. Das war eine melancholische Heiterkeit, ein lächelndes und leichtes Sichfügen, das sich wohltätig gegen alle die verschrobene und verschluckte Bitterkeit abhob, die man sonst naturgemäss unter den Emigranten fand.

      Es schien ihm doch sehr erregend, dass da jemand war, der auch die unangenehmsten Dinge als gegeben ansah und aus unscheinbaren Vorkommnissen Freuden zog, ohne sofort Jetziges mit Früherem zu vergleichen.

      Damit begann seine Zuneigung, und damit war alles andre für ihn gegeben. Das war natürlich nichts Aufregendes, nichts Gigantisches, ja nicht einmal etwas Beunruhigendes oder Zwangsmässiges. Aber er hatte auch nie geglaubt, dass die Liebe Ähnlichkeit habe mit den Gebilden der Dichter oder mit dem Gerede der Menschen. Das würde ja wohl ebenso ein Schwindel sein, wie alles, was er auf dem Wege von der Kindheit zur Mannbarkeit in die Hände bekommen hatte, anders war, kühler, einfacher, zuweilen auch tiefer, als man es ihm gesagt hatte. Jedenfalls vollzogen sich Verlobung, Brautzeit und die ersten Ehemonate, was die beiden Nächstbeteiligten betraf, nahezu ohne Phrase und ohne jede überflüssige Tüftelei. Es war natürlich merkwürdig, dass nun in der Kammer Egberts, am Ende seines Diwans, ein Bett stand, in dem „sehr viel Haar und ein bisschen Frau“ lagen, es war komisch, dass zuweilen in der Nacht sich ein kleines warmes Körperchen an den Riesenkerl schmiegte, und es war für Egbert auch manchmal beunruhigend, wenn er inmitten seiner nächtlichen Grübeleien plötzlich einen prüfenden Blick auf sein Gesicht gerichtet fühlte oder an dem unterdrückten Husten merkte, dass er einmal wieder das Zimmer bis zur Unerträglichkeit vollgedampft hatte. Es konnte dann natürlich vorkommen, dass er ein wenig ungeduldig wurde, das Licht schnell auslöschte oder das Fenster heftig aufriss und sich einzureden versuchte, dass es eben doch ein Unsinn sei, unter solchen Umständen zu heiraten, ja, dass er es besser gehabt habe, als er in seiner Kammer noch unumschränkt herrschte. Aber dann musste er sich doch wieder über das Lächeln seiner Frau freuen, wenn sie ihn von unten anblinzte, oder über ein Streicheln, das zaghaft an den Rippen anfing, um ihm blitzgeschwind über Gesicht und Wuschelkopf zu fahren.

      Gesprochen wurde von den Eheleuten sehr wenig, und ihre Beziehungen hätten sie untereinander gar nicht zu benennen vermocht. Manchmal lachte Irma, wenn sie allein war, lachte leise und herzlich darüber, dass man Egbert und sie nun allgemein als Mann und Frau ansah, ansprach, ja respektierte. Wie merkwürdig: Nach so viel „vorläufig“, „einstweilen“, und „als noch“ sollte das Gegenwärtige schon etwas bedeuten!

      Das Leben ging so seinen Gang. Das Frühjahr 1924 brachte zu der unerträglichen Kälte, die weit bis in den April hinein dauerte, auch noch die Angst um v. Kranebitters Stellung. Es fanden überall sehr weitgehende Entlassungen statt, und am fünfzehnten jeden Monats fassen die drei Frauen angstvoll in ihren engen Zimmern umher und warteten auf den heimkehrenden Egbert. Aber der kam immer mit derselben gleichmütigen Undurchdringlichkeit (die nun mal zu den Berufsmännern gehört), hängte seinen Hut an den Haken, streifte sorgsam die Handschuhe ab, zog den Mantel langsam aus und setzte sich sofort zu Tisch. Manchmal konnte es dann die alte Frau v. Kranebitter nicht mehr aushalten und fragte, ob alles in Ordnung sei. Meist aber warteten alle drei geduldig, bis Egbert mit der Sprache herausrückte.

      Nun, man kam um alle diese Klippen herum. Merkwürdigerweise wurde Kranebitter