50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2. Эдгар Аллан По. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Эдгар Аллан По
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9782291092247
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kann ich nicht glauben, da ich mir Feigheit vor Dingen des Lebens (und das sind doch Wasser, Gewitter, Pferd, Donner und Blitz) weder bei mir selbst noch bei andern je vorstellen konnte.

      Wir stehen jetzt alle in unsern weiten, ungebügelten, um die Knöchel schlotternden Turnanzügen vor dem Stalltore, um die Pferde zu erwarten, die drinnen schon stampfen, scharren, an den Karabinern und Stallketten klirrend zerren und leise aufwiehern. Es ist auch zu hören, wie sie mit den Schwänzen an die Stallraufen schlagen, was ein eigenartiges zischendes Geräusch gibt, und wie sie mit den Nasen die salzhaltigen Wände »ausradieren«.

      Plötzlich erscheint zum Erstaunen aller vom Lazarette her über den jetzt schattendunklen Hof mein Freund Titurel. Er ist noch etwas blaß; aber wüßte man es nicht, könnte man ihm Fieber und Krankheit nicht ansehen. Er mischt sich unter die anderen, ist ebenso wie wir in einen grauweißen Turnanzug gekleidet und hat das Handtuch, das zum Baden mitgenommen wird, in den Gürtel eingefaltet. Da die Anzahl der Pferde beschränkt ist, muß einer der anderen Schüler auf die Partie verzichten, wenn Titurel mitkommen soll. Eben schlägt die Uhr im Schulgebäude vier. Die Tiere drängen sich schon nebeneinander durch die weit geöffnete Tür vor. Jetzt erscheinen die ungesattelten Pferde mit ihren weichen, aneinanderknirschenden Leibern, nackt, mager und nicht so ebenmäßig gebaut, wie es sonst unter den schmalen, kleidsamen englischen Sätteln aus Schweinsleder und den breiten, sanft umfassenden Gurten der Fall ist. Wer soll nun zurückbleiben? Denkt Piggy wirklich an sich selbst? Er sieht auf mich, dem die Entscheidung zusteht. Dabei versucht er meinen Blick zu fangen. Wie er das macht, ist mir nicht erklärlich, denn er fixiert mich nicht eigentlich, er hat die richtig kameradschaftliche, weder übertrieben selbstbewußte noch ausgesprochen familiäre Haltung. Er hat sein Pferd bereits in Empfang genommen und streicht mit seinem auffallend weibischen Daumen über den schmalen Zügel hin. Schon habe ich seinen Namen auf der Zunge und will ihn bitten zu verzichten, als ich bemerke, daß er dies wahrgenommen hat und daß seine Finger den Zügel wieder fortlassen wollen. Er ist also wirklich feige, er hat Angst davor, ein ungesatteltes Pferd zu reiten (dabei ist kein zweiter ungebändigter Cyrus unter diesen Tieren), er will nicht auf einem ungesattelten Pferd sitzend ins Wasser gehen und sich einem schwimmenden Gaul anvertrauen. Gerade weil ich seine Feigheit erkenne, gehe ich nicht darauf ein und bitte den jüngsten unter uns, einen besonders hochbegabten Jungen, der wegen seiner vorgeschrittenen Kenntnisse unter die viel älteren aufgenommen ist, daheim zu bleiben und sich seinen Altersgenossen beim Spiel anzuschließen. Er ist ein reizender Bursche, bescheiden, lebhaft, mit einem runden Gesicht, weiß und rot, wie aus Porzellan gebildet. Er heißt unter uns Assissus, nach dem berühmten Heiligen; wieso er zu diesem Namen gekommen ist, weiß ich nicht. Man hat ihm diesen in meiner Abwesenheit nachts im Schlafsaale nach einer sehr scharfen, aber ohne Wimperzucken ertragenen »Probe« gegeben.

      Ich warte weiter nichts ab, nehme aus der Hand des Stallburschen mein Pferd, eine ziemlich hohe, betagte Schimmelstute, entgegen, fasse mit der linken Hand den Zügel, stütze mich mit dieser Hand auf den gekanteten Bug, mit der rechten auf die weiche und doch unter meinem Griff unnachgiebige Kruppe des Pferdes und werfe mich mittels eines mühelos aussehenden, aber immer schwierigen Sprunges über das Tier, dem ich gar nicht Zeit gegeben habe zu überlegen. Ich sitze oben, die Zügel in der linken, meine Gürtelschnalle in der rechten Hand, mit den Beinen den nackten Leib der Stute fest umklammernd, während die andern sich noch mit den unruhig gewordenen, durcheinandergedrängten Pferden abplagen.

      Es ist ziemlich düster unter den Lindenbäumen der Allee, denn die Wolken haben sich seit dem Vormittag noch mehr zusammengezogen. Der schwere, fast greifbare Duft der mit honigfarbenen Blüten überhäuften, still rauschenden Lindenbäume mischt sich mit dem von unten nach oben steigenden Dunst der vielen Pferde. Schwärme von Spatzen rauschen schilpernd von den Bäumen herab zu den Füßen der Pferde, denn sie erwarten da etwas. Sie sind besonders unruhig. Man sieht immer wieder ihre mattbraunen Flügelchen aufgeplustert, die helleren Schnäbel haben sie weit geöffnet, und so wirbeln sie kleine Wölkchen Staubes in der Straßenmitte auf, sie baden im Staube, bis sie vor den Pferden aufflattern, kreischend vor Unruhe und Lust. Das Gewitter liegt in der Luft.

      Unter den Schülern ist es zuerst meinem Freunde Titurel gelungen, in den richtigen Sitz zu kommen. Er hält sich oben stumm, sehr gerade aufgerichtet. Die sommersprossigen Hände und die mit blondem Flaum bedeckten Unterarme hat er weit vor sich hingestreckt. So bleibt er neben mir und wartet, bis unter lautem Gelächter, das allerdings die Pferde noch unruhiger macht, auch alle andern hinaufgeklettert sind. Das dauert lange, denn einer will dem andern helfen, schließlich gibt es nur einen Haufen von ungeduldigen, schwitzenden und stallenden Pferden, von grauen, unter der Achsel schon vom Schweiß angedunkelten Turnanzügen, von Knabenhänden, an denen die Pferdemäuler ziehen, und von Knabengesichtern, die teils vom Lachen, teils von der Anstrengung stark gerötet sind. Nur einer ist blaß, ruhig, hält sich abseits und lächelt spöttisch, wenn auch kaum erkennbar, mit seinen wulstigen Lippen und seinen hübschen falschen Marmeladeaugen: Piggy.

      Kapitel Zwölf

      Nun beginnen wir loszutraben in sehr ruhigem Tempo. Denn es ist nicht leicht, sich ohne Sattel und besonders ohne Bügel längere Zeit oben zu halten, das Gleichgewicht zu bewahren und den Tieren seinen Willen aufzuzwingen. Sicherlich hätte der eine oder der andere der körperlich schwächeren Jungen Schwierigkeiten gehabt, wenn nicht die Pferde, als richtige Gesellschaftstiere, eines dem anderen voll Freude und Genuß gefolgt wären, Gefühle, die sie durch unaufhörliches Aufwiehern, durch Heben der Köpfe, Aufstellen der Ohren und durch einen besonderen, tanzartigen, maskierten, unnatürlichen Schritt dartun. Die Wärme der Tierkörper teilt sich uns mit. Ihre weichen, samtartigen Haare rascheln an unseren Zwilchanzügen. Bei jedem Schritt schnellen unsere Figuren wie elektrisiert auf und nieder. So kommen wir durch die immer stärker duftende, unter Gewitterwolken fast schwarz daliegende Lindenallee, vorbei an den Spielplätzen der Schule, an den Ställen und Gehöften. Jetzt geht es über einen kleinen Steg, der unter den vielen Pferden dumpf wie eine Trommel eines wilden Kongonegerstammes ertönt.

      In den Obstgärten ist schon lange alles abgeblüht. Jetzt beginnt ein starker, heißer Wind die abgefallenen Blätter kreisend zu umgeben und emporzutragen. Das Laub der Bäume hat einen grellen, grünen Schein angenommen. Die Stämme scheinen aus einer Stange Tabak gebildet, so stumpf und gesättigt sind sie in ihrer Schwärze unter dem dicken, blau gefütterten Gewitterhimmel. Ich wende mich nach meinen Kameraden um, die mir nicht alle gleich schnell folgen können. Ich erblicke unser Schulgebäude, das sich, je weiter man sich entfernt, desto höher und gewaltiger gegen den Himmel abzuheben scheint. Sein sonst etwas rohes Rot hat sich, gegen den dunklen Wolkenhintergrund gehalten, in etwas Zarteres, Erdbeerfarbenes, trotz der düsteren Stimmung Heiteres verwandelt. Ich fühle es mit besonderer Freude, wie schön unser Haus ist, wie sicher gebaut, für lange Zeiten gegründet. Soll ich darin alt werden, immer da leben?

      Das gleichmäßige Traben meiner Schimmelstute ist mir angenehm. Wenn der Huf gegen einen Stein stößt, geht es mir bis zum Herzen, so freudig. Kommt Titurel mit seinen etwas abstehenden spitzen Ellenbogen mir beim Reiten nahe, ist mir, als streichele er mich; trotz seines noch immer abweisenden, fieberhaft stolzen Wesens empfinde ich seine Nähe, sein immerwährendes Nebenmirsein. Wir sollen alt werden in unserer wortarmen Freundschaft und stillen Sympathie. Nun, als die Schule hinter uns liegt und wir unter jungen Buchen, die in der Windstille nur leise hauchen und raunen, dahinreiten, fühle ich mich von allem T. so weit entfernt wie noch nie.

      Nun kommt die Pappelallee, die man die italienische nennt, an die sich zu beiden Seiten ein Forst anschließt. Es ist still, auch das leise Raunen ist verstummt, kein Vogelruf, bloß das gleichmäßige Traben unserer Pferde, die sich in ein und denselben Takt gefunden haben, das silberne Klingen der Kinnketten und Knistern der Kleider der Schüler und das durch die mühselige Art des Reitens hervorgerufene schwerere Atemholen. Es spricht niemand mehr. Im Anfange habe ich hinter mir Lachen gehört; Prinz Piggys bellendes Lachen, das durch die Gangart seines stoßenden Pferdes zerschnitten wurde. Jetzt ist auch dies zu Ende. Die Pferde gehen ruhiger, sie treten in das Gras neben der Straße, sie weichen auch dem feuchten Grunde nicht aus, unter ihren Hufen zermalmen sie ruhig die hohen, hier am Wegesrand riesig aufschießenden üppigen Kletten. Dies ist aber nicht ungefährlich, da sich ihnen hinter den Hufen in der Gelenkbeuge Reste