Manchmal fühle ich mich dabei wie Mose am »Brennenden Dornbusch« in der Wüste. Aus kleinen Verhältnissen heraus von Gott berufen. Hinein in eine Aufgabe, die er vorher nicht proben konnte und die die eigenen bisherigen Vorstellungen komplett überstieg. Wie Mose im Alten Testament arbeite ich manchmal mit Freude und Kraft – und genauso mit zittrigen Knien. Wie er brauche ich die ergänzende Unterstützung anderer. Wie er erlebe ich Highlights und Tiefpunkte.
Gott begegnet mir … am Rand des Abgrunds
Meine Welt geriet ins Wanken, als ich mit Anfang 30 lebensbedrohlich erkrankte und buchstäblich alles, für das ich mich bisher eingesetzt hatte, auf der Kippe stand. Sieben Jahre lang war ich zu dieser Zeit mit Anja verheiratet. In der Familie hatten wir gerade Zuwachs bekommen, unsere beiden Töchter waren vier und zwei.
Zum ersten Mal in meinem Leben war ich so etwas wie sesshaft geworden. Wir hatten uns gerade ein kleines Reihenhaus gekauft. Waren engagiert in unserer Gemeinde und in vielen anderen Bezügen. Wir empfanden uns auf einem guten und gesegneten Weg – und dann die Komplettbremsung von einer Stunde auf die andere. Alles geriet plötzlich ins Wanken, alle Aufbruchseuphorie war von einer Minute auf die andere verdunstet.
Wie begegnet Gott jemandem in einer so krassen Situation? Aus heutiger Sicht würde ich es anders formulieren. Erst mal mutete er mir und uns als Familie und meinen Freunden und Kollegen einiges zu. Er legte mich auf die Matte, mich, den Macher und Verantwortungsträger. Ich war nun nicht mehr der Träger, sondern der Getragene. Nicht mehr der Hauptdarsteller, sondern höchstens noch der Zaungast. Und mitten in dieser Zumutung (»Warum gerade wir?«) begleitete er uns – von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde und – das vor allem – von Nacht zu Nacht. Und ließ mir und uns seine Nähe immer wieder spürbar werden, oft auch durch andere Menschen.
Gott begegnen hieß damals (und heißt für mich bis heute), seine Gegenwart geschehen zu lassen und wahrzunehmen. Ich kann und muss ihn nicht herbeiholen oder herbeibeten, er ist ohnehin da. Aber ich kann mich an ihn erinnern, an seinem Da-Sein festhalten, unabhängig vom Verzweiflungsgrad meiner realen Situation.
»Seine liebsten Kinder führt er in die tiefsten Tiefen!« Das war ein Satz, den ich in dieser Zeit hörte. Andere Christen wollten meinem und unserem Erleiden einen Sinn geben. Mich machte und macht dieses Statement aggressiv – bis heute. Denn wenn das stimmen würde, wollte ich kein Lieblingskind eines solchen Gottes sein. Ein Gott, der mich ganz tief fallen lässt, um mich mal so richtig zu erschrecken – und knapp über dem Boden lächelnd aufzufangen … Nein, das kann und will ich nicht glauben!
Stattdessen machte ich die Erfahrung: Im Fallen habe ich Gott in einer nicht gekannten Weise erfahren. Das war eine der kraftvollsten Gottesbegegnungen in meinem Leben. Schwer beschreibbar, unspektakulär. In einem unauflöslichen Mix aus ärztlicher Begleitung, menschlicher Zuwendung und seinem herzensverändernden Wirken. Auf wundersame Weise hat mich dieser Mix wieder auf die Füße gestellt (und ja, auch dank Reha und Bestrahlung). Diese Gotteserfahrung hat mir die Arroganz geraubt, dass »Dinge schon klappen, wenn man sich nur genug anstrengt«. Und mich demütiger gemacht für Menschen mit Defiziten, weil ich selbst nun ein solcher war.
»Wer solch eine Gottesbegegnung einmal erlebt hat, der hat bestimmt einen festen Glauben!« Diesen Satz höre ich manchmal, wenn ich meine Geschichte erzähle. Er stimmt und er stimmt nicht. Natürlich wird niemand die tiefgreifendsten Gottesbegegnungen seines Lebens je vergessen. Das Aufwachen nach der Narkose: »Du hast es geschafft!« »Ich habe dich gerettet!« Spricht Gott zu mir? Sind das meine Gedanken? Egal.
Auf der anderen Seite gilt für mich genauso: Eine solche Gottesbegegnung ist keine Garantie für ewiges Gottvertrauen. Ich brauche diese Vergewisserung seiner Gegenwart in meinem Leben immer und immer wieder. Seine Zuwendung, seinen Trost, seine Freude. Ich halte ihm meine Seele hin. Ich schaue dankbar auf das, was in meinem Leben geworden ist. Ich entdecke seine Spuren in meiner Biografie. Das hat immer weniger Event-Charakter, sondern ist eher ein dauerhafter, meist unspektakulärer Lebensstil.
Manchmal aber spricht Gott selbst offensiv in mein Leben hinein. An Orten, an denen ich nicht mit ihm rechne. Als ich im letzten Sommer zu meiner jährlichen Nachuntersuchung im MRT lag und es um mich herum ratterte und dröhnte, da war mir, als sagte Gott: »In der Unruhe deines Lebens bin ich deine Ruhe. Für die Unruhe in deiner Seele bin ich deine Ruhe.«
Ich war schon 30 oder 40 Mal in diesen MRT-Geräten, aber bei dieser Untersuchung war es das erste Mal, dass ich vorsichtig sagen würde: »Gott ist mir in der Röhre in besonderer Weise begegnet!« Ein Teil von mir bleibt immer skeptisch, ob das nicht doch nur meine eigenen Gedanken waren. Aber in diesem Fall glaube ich das, was mir passiert ist: das Reden Gottes.
Gott begegnet mir … durch einen Bibeltext
In dieser persönlichen Krise ist mir bewusst geworden, was für mich richtig schlimm wäre: Wenn ich gar nichts mehr tun könnte, wenn ich nicht mehr die Dinge vorantreiben könnte, die mir am Herzen liegen.
Für mich war es immer wichtig, etwas zu bewirken. Generativ zu sein, etwas zu hinterlassen, das bleibt und über mich hinausgeht. Deswegen auch das Schreiben und Dokumentieren. Und schon immer, das hatte ich quasi mit der Muttermilch eingesogen, wollte ich auch für Gott etwas bewirken, für ihn auf dieser Welt etwas tun. Als Jesus-Nachfolger die Dinge tun, zu denen er uns anstiftet. Das war schon immer mein Wunsch und ist es noch heute.
Mein Problem: Wenn ich ehrlich war, konnte ich nie so wirklich auseinanderdividieren, was ich denn nun für mich und mein Image tat und was ich für Gott und seine Ehre gemacht habe. Einen guten Artikel geschrieben, der anderen geholfen hat. Gott kommt dadurch zum Zuge – und (Schulterklopfen!) ich war der Autor! Lange Zeit litt ich daran, dass es sich bei mir – nach meinem Gefühl – immer mischte, wem Ehre und Ansehen zukämen, Gott oder mir.
Irgendwann begegnete ich dem Jesuswort in Johannes 15, das mich seit Jahren begleitet, anfeuert und mir hilft, mein Verwobensein mit Jesus besser zu verstehen. Das Wort vom Weingärtner, dem Weinstock und der Rebe.
Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weingärtner. Jede Rebe an mir, die nicht Frucht bringt, die nimmt er weg; und jede, die Frucht bringt, die reinigt er, dass sie mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe.
Bleibt in mir und ich in euch! Wie die Rebe nicht von sich selbst Frucht bringen kann, sie bleibe denn am Weinstock, so auch ihr nicht, ihr bleibt denn in mir. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn getrennt von mir könnt ihr nichts tun.
Johannes 15,1-5
Gottesbegegnung ist im Sinne dieses Bibelwortes für mich heute viel eher eine Gottesverbindung. Noch genauer: Eine Jesus-Verbindung. Er in mir, ich in ihm. Die Rebe bleibt am Weinstock, das ist der einzige für sie sinnvolle Ort. Nur in diesem Zusammenspiel entsteht guter Wein.
Er in mir, ich in ihm. Diese Verbundenheit kann ich nicht erklären und muss ich nicht auseinanderdividieren. Aber eines weiß ich: Ohne Jesus kann ich nichts tun. Und mit ihm? Wer weiß, was noch kommt …
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Martin Gundlach |
(*1965) ist Redaktionsleiter
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