Ist es denn – Nein, es ist doch nicht –?
SYLVIUS: Sylvester!
Wo ist denn Agnes' Leiche? Führ mich zu ihr.
SYLVESTER:
Unglücklicher! Sie ist ja nicht ermordet?
JOHANN:
Das ist ein Narr. Komm, Alter, komm. Dort ist
Noch eine Leich, ich hoffe, die wirds sein.
SYLVIUS:
Noch eine Leiche? Knabe! Sind wir denn
In einem Beinhaus?
JOHANN: Lustig, Alter!
Sie ists! 's ist Agnes!
SYLVESTER (bedeckt sich das Gesicht):
Agnes!
JOHANN: Faß ihr ins Gesicht,
Es muß wie fliegender Sommer sein.
(Zu Rupert.) Du Scheusal! Fort!
RUPERT (richtet sich halb auf):
Bleibt fern, ich bitt euch. – Sehr gefährlich ists,
Der Ohnmacht eines Rasenden zu spotten.
Ist er in Fesseln gleich geschlagen, kann
Er euch den Speichel noch ins Antlitz spein,
Der seine Pest euch einimpft. Geht, und laßt
Die Leiche mindstens mir von Ottokar.
JOHANN:
Du toller Hund! Geh gleich fort! Ottokar
Ist dort – komm, Alter, glaub mir hier ist Agnes.
SYLVIUS:
O meine Agnes! O mein Kindeskind!
EUSTACHE:
O meine Tochter! Welch ein Irrtum! Gott!
RUPERT (sieht Agnes' Leiche genauer an, steht auf, geht schnell zur Leiche Ottokars, und wendet sich mit Bewegung des Entsetzens):
Höllisch Gesicht! Was äffst du mich?
(Er sieht die Leiche wieder an.) Ein Teufel
Blöckt mir die Zung heraus.
(Er sieht sie wieder an und führt mit den Händen in seinen Haaren.)
Ich selbst! Ich selbst!
Zweimal die Brust durchbohrt! Zweimal die Brust.
URSULA (tritt auf):
Hier ist der Kindesfinger! (Sie wirft einen Kindesfinger in die Mitte der Bühne und verschwindet.)
ALLE:
Was war das? Welche seltsame Erscheinung?
EUSTACHE: Ein Kindesfinger?
(Sie sucht ihn auf)
RUPERT: Fehlte Petern nicht
Der kleine Finger an der linken Hand?
SYLVESTER:
Dem Peter? Dem erschlagnen Knaben? Fangt
Das Weib mir, führet mir das Weib zurück!
(Einige Ritter ab.)
EUSTACHE:
Wenn eine Mutter kennt, was sie gebar,
So ist es Peters Finger.
RUPERT: Peters Finger?
EUSTACHE:
Er ists! Er ists! An dieser Blatternarbe,
Der einzigen auf seinem ganzen Leib,
Erkenn ich es! Er ist es!
RUPERT: Unbegreiflich!
URSULA (wird aufgeführt):
Gnade! Gnade! Gnade!
SYLVESTER:
Wie kamst du, Weib, zu diesem Finger?
URSULA: Gnade!
Das Kind, dem ich ihn abgeschnitten, ist
Ermordet nicht, war ein ertrunkenes,
Das ich selbst leblos fand.
RUPERT: Ertrunken?
SYLVESTER:
Und warum schnittst du ihm den Finger ab?
URSULA:
Ich wollt ihn unter meine Schwelle legen,
Er wehrt dem Teufel. Gnade! Wenns dein Sohn ist,
Wie meine Tochter sagt, ich wußt es nicht.
RUPERT:
Dich fand ich aber bei der Leiche nicht.
Ich fand zwei Reisige aus Warwand.
URSULA:
Die kamen später zu dem Kind als ich,
Ihm auch den rechten Finger abzulösen.
(Rupert bedeckt sich das Gesicht.)
JOHANN (tritt vor Ursula):
Was willst du, alte Hexe?
URSULA: 's ist abgetan, mein Püppchen:
Wenn ihr euch totschlagt, ist es ein Versehen.
JOHANN:
Versehen? Ein Versehen? Schade! Schade!
Die arme Agnes! Und der Ottokar!
RUPERT:
Johann! Mein Knäblein! Schweige still, dein Wort
Ist schneidend wie ein Messer.
JOHANN: Seid nicht böse:
Papa hat es nicht gern getan, Papa
Wird es nicht mehr tun. Seid nicht böse.
RUPERT:
Sylvester! Dir hab ich ein Kind genommen,
Und biete einen Freund dir zum Ersatz.
(Pause.)
Sylvester! Selbst bin ich ein Kinderloser!
(Pause.)
Sylvester! Deines Kindes Blut komm über
Mich – kannst du besser nicht verzeihn, als ich?
(Sylvester reicht ihm mit abgewandtem Gesicht die Hand; Eustache und Gertrude umarmen sich.)
JOHANN:
Bringt Wein her! Lustig! Wein! Das ist ein Spaß zum
Totlachen! Wein! Der Teufel hatt im Schlaf die beiden
Mit Kohlen die Gesichter angeschmiert,
Nun kennen sie sich wieder. Schurken! Wein!
Wir wollen eins drauf trinken!
URSULA: Gott sei Dank!
So seid ihr nun versöhnt.
RUPERT: Du hast den Knoten
Geschürzt, du hast ihn auch gelöst. Tritt ab.
JOHANN:
Geh, alte Hexe, geh. Du spielst gut aus der Tasche,
Ich bin zufrieden mit dem Kunststück. Geh.
(Der Vorhang fällt.)
Amphitryon
Ein Lustspiel nach Molière