Jeder Mann liebt Ursula. Robert Heymann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Heymann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711503805
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in Wachs die größten Verbrecher des 20. Jahrhunderts! Haarmann und Denke und Kürten, den Massenmörder von Düsseldorf.“

      Ussi wandte den Blick von den Rücken der Männer ab. Die Wirtin stand mit dicken nackten Armen hinter der Theke und beobachtete Peter. Ussi schaute zu Boden. Der schmalbrüstige Kellner wischte in der Ecke den Tisch ab und unterhielt sich mit einem Mädchen. Er schmunzelte herüber, während das Weib eine Bemerkung machte, irgendeine gemeine Zote, Ussi fühlte es.

      Peter kam zu Bewußtsein, daß er Ussi nicht hätte hierher führen dürfen. Er ist für die Umgebung schon abgestumpft. Aber Ursula ...

      „Freilich“, sagte Ussi leise. „Das war damals eine ganz andere Zeit!“

      Ein Lächeln ringelte sich lockend und licht um ihren Mund. Peter wurde es ganz warm ums Herz. „Du denkst auch noch oft daran? Du hast es nicht vergessen?“

      Plötzlich redete er sich in Erinnerungen an die Vergangenheit hinein.

      „Weißt du noch? Unsere Fahrten zum Werbellinsee — Lagern im Freien — Zeltstimmung — Waldschweigen — Seestille — du und ich —“

      Ussi hatte den Kopf gesenkt, Peter schaute eine Weile mit einem wesenlosen Blick in die Zigarettenwolken, die vom Nebentisch aufstiegen. „Dann bist du weggekommen, damals im Herbst, weißt du, Ussi? Wegen deiner Lunge. Na, und als du wiederkamst, da war ich im Rheinland. Wir haben uns ja geschrieben! Erst oft, später dann und wann mal — dann hörte das auch auf. Aber als ich zurückkam, war mein erster Gang zu dir ...“

      Er legte seine Hand auf die ihre. Was dachte er eigentlich? ging es Ussi durch den Kopf. Noch einmal anfangen? Die Liebelei von damals? Mit ihm? Jetzt? Welche Aussichten hat er? — Sie betrachtete ihn von unten her unter halbgeschlossenen Wimpern: wird er unter die Räder kommen? Sie überdachte spielerisch die Möglichkeit, seine Frau zu sein. Sorgen und Arbeit, ein, zwei Zimmer für ihn, für sie und die Kinder, Ernüchterung, Streit und Ärger. Er wird für irgendeine Partei schwärmen, von der man für die Zukunft hofft, und dabei wird sie alt, ehe sie weiß, was das „Leben“ ist. —

      Sie schüttelte sich.

      Peter hatte ihre Gedanken nicht begriffen. Peter schaute sie mit seinen hellen Augen an, und was aus seinem Blick sprach, das kann Ussi nicht so einfach abtun. Liebe ist das! Die große Liebe, das fühlte eine Frau. Jede Frau weiß, wenn die Liebe an sie herankommt. Die Frau mit dem richtigen Instinkt weiß, was echt ist und was Lüge.

      Peters Liebe ist echt.

      Ussi schüttelte den Kopf, weil sie das nicht sehen wollte, und weil sie nicht daran denken wollte, und sagte plötzlich: „Wir waren damals noch recht jung und dumm, du und ich.“

      „Ja“, erwiderte er, ein heißer Funke glomm in seinen zerquälten Augen auf. „Ja, Ussi, so jung! Aber du warst die erste für mich ...“

      Ursula lachte wieder unnatürlich laut. Das klang häßlich, sie mochte es selber nicht hören. Aber sie möchte dem Peter am liebsten eine Maulschelle geben und schreien: Du lügst! du lügst ja, wie sie alle lügen, du erbärmlicher Schuft! Du Falschmünzer! Ihr macht ja doch alle falsches Geld, wenn es um Liebe geht!

      Und doch weiß sie, er sprach die Wahrheit. Dann stieg ihr die Wut auf, weil er eben die Wahrheit sagte, weil es die Wahrheit ist ...

      Dummer Peter! Die erste! ... Er war doch neunzehn! Neunzehn! Mit siebzehn ging ihr Bruder schon mit einer, und das war nicht seine erste.

      „Ja“, hörte sie Peter aus weiter Ferne sagen. „Du warst meine erste Liebe.“

      Jäh stieg eine warme Welle zu ihrem Herzen empor.

      Sie schaute ihn kokett an:

      „Wirklich? Eigentlich — ist das nicht sonderbar gewesen? Es gab doch so viele ...“

      „Ja. Aber ich hatte doch nie so recht Geld gehabt. Und bei jeder, die ich kennen lernte, hatte ich nur an dich gedacht. Nur du solltest es sein! Dann ist es ja auch so gekommen.“

      Ussi wollte antworten, aber der Klavierspieler, der bisher eine Pause gemacht hatte, schlug plötzlich los. Den letzten Schlager! Der Mensch nahm die Füße nicht mehr von den Pedalen. Hinten gröhlten sie sofort mit. Lärm erstickte jedes Wort. Ussi und Peter blieben schweigsam und warteten, bis das Konzert zu Ende war. Es dauerte aber lange, denn so oft der Klavierspieler aufhören wollte, brüllte es von rückwärts: „Weiter, Herr Kapellmeister! Weiter!“ Und ein Betrunkener wiederholte im Diskant: „Noch ’ne Molle für die Kapelle!“

      Einige Mädchen hatten sich umgefaßt, die Weiber gröhlten und einer rief: „Alles mitsingen!

      Wie kommt denn der Spinat aufs Dach,

      Wo doch die Kuh nicht fliegen kann ...“

      Das weitere erstickte im Gelächter, der Klavierspieler nahm endlich die schweren Hände von den Tasten, das laute Gespräch löste sich auf in verworrene Wortfetzen, dann und wann noch ein Lachen.

      „Mensch,“ sagte einer am Nebentisch, „mich laust der Affe: det is’ doch Peter!“

      Peter tat, als habe er nichts gehört, er hörte auch nicht auf das herausfordernde Lachen der drei und schaute nicht hin, während sie sich wie auf Kommando umdrehten und Ussi ansahen.

      Ussi fühlte ihre Blicke. Sie sagte leise:

      „Kennst du diese Leute, Peter?“

      „Ja und nein, Ussi. Wir wollen gehen, hier ist nicht der rechte Platz für dich!“?

      Die Stimmung war zerrissen. Ussi dachte nur, sie möchte schon auf der Straße sein. Peter rief den Kellner und flüsterte ihm etwas zu, der nickte widerstrebend, rieb sich das Kinn und entfernte sich, auffallend zögernd.

      Ussi nahm mit raschen Fingern ihr Portemonnaie aus der Tasche.

      „Peter, bitte, zahle für mich — und für dich.“

      „Auf keinen Fall, Ussi, kommt gar nicht in Frage.“

      „Nein, bitte Peter, spiel’ hier nicht den Kavalier! Machen wir uns doch nichts vor! Ich will aus dieser Bude ohne Aufsehen heraus! Also tue mir den Gefallen!“

      Ussis Ton duldete diesmal keinen Widerspruch. Zögernd griff Peter nach dem Taler, winkte den Kellner nochmals heran.

      „Na, du wirst doch von det Mä’chen kein Geld nehmen!“ sagte eine harte Stimme. Ein breiter Kopf, bösartig wie ein Raubfisch, mit breitem Maul, stechenden Augen, ekelhafter Lache, beugte sich zum Tisch nieder.

      Ussi schaute erst verwundert, dann zornig in dieses schwammige Gesicht. Peter strich mit der Hand über den Tisch, als ob er den unbequemen Menschen fortwischen könnte. Der Mann schob Peter beiseite. Mit einer seiner Elefantenschultern machte er das, setzte sich neben Ussi, Peter wurde an die Wand gedrückt. Ein böses Leuchten machte Ussis Augen groß und heiß.

      „Kenn’ uns doch?“ sagte Stemmerkarl. „Auch wieder hiesig in die Jejend? Bist ’n affiget Mä’chen geworden, Ussi ...“

      Jetzt erkannte sie ihn! Stemmerkarl! Ein brutaler Schuft ist er, ein gemeiner Kerl! Er hatte damals im gleichen Hause gewohnt wie sie, bis er rausgeworfen wurde wegen seiner Zuhälterei.

      Bei der Eisenbahnerwitwe über der Wohnung von Ussis Mutter hatte er eine Schlafstelle. Sie war noch ein halbes Kind gewesen und hatte ihn erst nicht beachtet, hatte sich nur manchmal mit einem Gefühl des Schauderns über sein dreistes Lächeln geärgert. Dann sah sie ihn mal wieder auf dem Rummelplatz, an dem die ersten großen Eindrücke ihrer Kindheit haften. In der Bude „der schwersten Männer Deutschlands“ war er Ringkämpfer. Jeden Abend rangen diese fetten Männer keuchend mit einem scheinbar unerhörten Kräfteaufwand um imaginäre Meisterschaften. Das Publikum verfolgte eigentlich mit mehr Interesse ihre Kunstgriffe, als es sich sachlich für die jeweiligen Sieger interessierte. Dann und wann kam es vor, daß ein ahnungsloser Portokassenjüngling einen Preis stiftete. Dann rangen sie um den Taler — manchmal waren es sogar zehn Mark und mehr. Als das Geschäft nicht mehr ging, hatte sich Stemmerkarl als Artist in Vergnügungslokalen