Ich war noch zu jung, ich wußte nicht, daß es in der Liebe keine Normen gibt, jedenfalls nicht solche, die man bei Licht betrachten kann, ich begriff nicht, daß alles, was man über die Liebe gesagt hat und was man noch über die Liebe sagen wird, schmerzhafte Rationalisierungen sind oder pseudometaphysische Tiefsinnigkeiten; ich verstand nicht, daß Liebe ist wie das Schweigen: sie existiert in Abwesenheit von allem andern.
Ich war immer noch von der völlig falschen Vorstellung besessen, daß einer der Liebe eines andern wert sein könne oder müsse. Ich war gründlich getäuscht worden von dem Ritter und seiner Dulcinea, ich betrachtete die Welt als große Arena und Dulcineas Liebe winkte dem Gewinner. Ich sehnte mich danach, alle anderen zu besiegen, damit meine Niederlage in der Liebe um so größer sein würde. Ich wollte Maria den Siegerkranz zu Füßen legen und ich kapierte nicht, daß Maria keinen Kranz, sondern nur mich haben wollte. Aber vielleicht war ich nicht bereit, diesen Preis zu bezahlen!
Der Verkehr begann wieder zu fließen. Der luftgekühlte Motor hatte offenbar den langen Leerlauf nicht so gut vertragen, er spuckte und stotterte, aber als ich den dritten Gang eingelegt hatte, schnurrte er sanft wie ein verschmustes Kätzchen.
Auf Essingeleden hatte es einen Unfall gegeben, als die Polizei uns vorbeidirigierte, sah ich zwei verbeulte Autos, einen Volvo und einen VW-Bus, und ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, wie das passiert sein sollte. Ich erblickte ein kleines blondes Mädchen, das in den Armen eines Polizisten weinte. Eine Frau um die Dreißig stand ein bißchen abseits und verbarg ihr Gesicht in den Händen. Ich dachte an ein anderes Kind, das Maria und ich eines Nachts vor langer Zeit überfahren hatten und ich dachte an das Kind, das ich beim Abendbrot verlassen hatte, das Kind, das meine Tochter ist. Sie waren wahrscheinlich inzwischen mit dem Essen fertig, die Frau, die meine Ehefrau ist, las sicher die Zeitung – sie schaffte es tatsächlich nie, die Zeitung morgens zu lesen –, und das Kind, das meine Tochter ist, saß sicher in der Badewanne und spielte mit einem kaputten Schiff, das für sie aus irgendeinem Grund das Schiff des Großvaters war.
Sie hatte ihren Großvater nur ein einziges Mal getroffen und da war sie knapp drei Jahre alt. Sie hat nur eine schwache Erinnerung an ihn, aber sie erinnert sich, daß Großvater sehr alt war und sie machte sich Sorgen darüber, daß er jederzeit sterben könne. Sie redete ständig darüber und ich fragte sie einmal, ob sie Angst vor dem Tod habe.
«Nein!» hatte sie mir versichert.
«Wie sieht denn der Tod deiner Meinung nach aus?» bohrte ich weiter.
«Ja... wie eine Treppe eben!»
Und da merkte ich, daß sie zitterte, ihr kleiner, flaumiger Körper bebte und ich nahm sie in meine Arme, um sie und mich zu trösten und vermutlich tat ich dasselbe, was der Polizist mit dem blonden Mädchen versuchte.
Ich stieg aufs Gaspedal, bei 4000 Umdrehungen schaltete ich in den Vierten, machte das Radio an und steckte mir eine neue Zigarette zwischen die Lippen. Die Nacht war noch tiefer geworden, der Verkehr hatte nachgelassen, und ich war auf dem Weg zu Andreas. Ich war für eine kurze Weile glücklich.
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