3 Vgl. Alfred Eichholz an Ludwig von Ficker, 21.12.1958: „Auch, wenn wir Ihnen so selten schreiben, so sprechen wir doch häufig von Ihnen, und noch häufiger denken wir an Sie, der uns ein verehrter Freund und ein unvergleichlicher Führer in der Welt des Geistes war.“ FIBA, Nachlass Ficker, Sign. 41-9-30-1.
4 Friedrich Hansen-Löve: Auctor Austriae. Zum 85. Geburtstag Ludwig von Fickers am 13. April 1965. In: Forum, 12, Nr. 136, April 1965, 192–193.
5 Martin Adel: Hase und Igel. Die fünfziger Jahre – Tod und Verklärung. Zur Historisierung der Gegenwart. In: Falter/Kultur 10/1985, 17–18, hier 17.
6 Vgl. Johann Dvorak: Thesen zur soziokulturellen Entwicklung in Österreich 1933–1955. In: Friedrich Stadler (Hg.): Kontinuität und Bruch. 1938 – 1945 – 1955. Beiträge zur österreichischen Kulturund Wissenschaftsgeschichte. Münster: Lit Verlag 2004, 27–34.
7 Rudolf Muhs, Johannes Paulmann, Willibald Steinmetz (Hg.): Aneignung und Abwehr. Interkultureller Transfer zwischen Deutschland und Großbritannien im 19. Jahrhundert. Bodenheim: Philo-Verlagsgesellschaft 1998, 31.
Gabriel Marcel als Leser Rilkes
von Gerald Stieg (Paris)
Als 1969 Richard Wisser bei Gabriel Marcel um die Mitwirkung bei der Feier zu Heideggers 80. Geburtstag in Meßkirch anfragte, antwortete der französische Philosoph ausweichend:
Ich muss sagen, dass mich Ihr Brief einigermaßen in Verlegenheit bringt. Im Prinzip wäre ich natürlich bereit gewesen, an dieser Huldigung teilzunehmen. Doch gibt es folgende Schwierigkeit. Sie wissen wohl, dass ich über Heidegger ein satirisches Stück, Die Wacht am Sein, verfasst habe, das in Innsbruck aufgeführt wurde und dessen Übersetzung in einer Anthologie des zeitgenössischen Theaters erschienen ist. [In dieser Anthologie aus dem Jahr 1960 befindet sich Marcel in illustrer Gesellschaft: Cocteau, Anouilh, Julien Green, Romain Rolland und Montherlant.1] Würde ich keinerlei Anspielung darauf machen, würde ich den Anschein erwecken, das Stück zu verleugnen. Das will ich aber um keinen Preis; andererseits ist es natürlich schwierig, darüber zu sprechen, selbst um zu sagen – und das ist die Wahrheit –, dass sich mein Urteil über die von mir wirklich bewunderte Philosophie nicht in der im Stück geübten Kritik erschöpft. Es liegt bei Ihnen, zu entscheiden, ob unter diesen Bedingungen meine Teilnahme wünschenswert ist.2
Sie war es sichtlich nicht, Marcel kam eben so wenig wie Sartre oder Hannah Arendt. Entscheidend war wohl sein Postskriptum: „Ich muss hinzufügen, dass Heidegger das Stück kennt und dass es ihm – ich habe einige Zeugnisse dafür – einen recht unerquicklichen Eindruck gemacht hat“ (8. September 1969). 1967 habe ich diese vom französischen Kulturinstitut veranstaltete Aufführung, die in Gegenwart Gabriel Marcels stattfand, gesehen, und mich dabei köstlich unterhalten. (Ludwig von Ficker war kurz zuvor gestorben. Es ist anzunehmen, dass er bei dieser Gelegenheit Marcel wiederbegegnet wäre, den er bei einer Ebner-Feier 1965 kennengelernt hatte). Es wäre natürlich hochinteressant gewesen, wie Ficker, der in Sachen Trakldeutung Heidegger bedingungslos bewunderte, auf die Satire reagiert hätte. Doch die Begegnung Fickers mit dem Repräsentanten des französischen katholischen Existentialismus hat nicht stattgefunden.
Erst durch meine Arbeit an der Gesamtausgabe von Rilkes Lyrik in der Bibliothèque der Pléiade (Paris: Gallimard 1997) bin ich flüchtig mit dem französischen Original in Berührung gekommen, das den Titel La dimension Florestan trägt und 1958 in einem Pariser Verlag erschienen ist.3 Doch erst vor einem Jahr habe ich begonnen, mich ausführlicher mit Gabriel Marcels Schriften zu Rilke zu beschäftigen, als einem nicht unbedeutenden, aber heute nahezu vergessenen Moment der Rilke-Rezeption in Frankreich, bei der Heidegger eine entscheidende Rolle gespielt hat. Diese Rezeption hat zwei völlig verschiedene Gesichter: ein satirisches in der Wacht am Sein, noch verschärft durch den begleitenden Essay Le crépuscule du sens commun (wörtlich Der Untergang des gesunden Menschenverstandes, in der deutschen Übersetzung ergab das den Titel Der Untergang der Weisheit),4 und ein philosophisch-theologisches in dem Buch Homo Viator aus dem Jahr 1944, das ein ausführliches Kapitel über Rilke, témoin du spirituel (Rilke als Zeuge der Spiritualität/Geistigkeit) enthält.5 Entgegen der Gepflogenheit, das Drama mit dem Satyrspiel enden zu lassen, wende ich mich zunächst der komischen Seite der Rezeption zu. Der Anstoß zur Wacht am Sein war der Rilke-Kultus in Paris, dessen Höhepunkt eine Ausstellung zum 30. Todestag 1956 darstellte. Rilke-Zelebrationen in Krypten bei Kerzenlicht waren auch danach noch lange Mode und wurden von bedeutenden Schauspielern getragen. Parallel zum Rilke-Kultus installierte sich eine Heidegger-Idolatrie, die nach wie vor andauert und merkwürdigerweise die üblichen politischen und ideologischen Grenzen überschreitet. Es gab zwar schon früh die kluge Dekonstruktion von Heideggers Sprache durch Robert Minder in dem Essay Die Sprache von Meßkirch, später Pierre Bourdieus Anti-Heidegger (Die politische Ontologie Heideggers), dann das bedeutende, aber sichtlich wirkungslose sprachkritische Buch Le langage Heidegger von Henri Meschonnic und vor kurzem die Reflexionen über Heidegger et la langue allemande von Georges-Arthur Goldschmidt, dem Kafka- und Handke-Übersetzer. Goldschmidt musste es sich gefallen lassen, von einem der Übersetzer von Sein und Zeit des „Hasses auf das Denken“ bezichtigt, ja als „hysterisch heideggerfeindlicher Faschist“ diffamiert zu werden. Ein anderer Heideggerianer warf ihm vor, die nazistische Judenriecherei durch eine gegen Heidegger gerichtete Naziriecherei ersetzt zu haben. Ein Zeugnis unter vielen für die oft raue Tonart, wenn es um Heidegger geht. Auf der anderen Seite findet man als Argument gegen den Philosophen einen Heidegger mit Hitlerschnurrbart und den Gruß „Heil Heidegger!“
Auch Karl Kraus spielte in der Diskussion um Heidegger eine Rolle: der Philosoph Jacques Bouveresse, Professor am Collège de France und Vertreter der österreichischen philosophischen Tradition (Bolzano, Wittgenstein, Musil), hat sich dazu so geäußert: „Niemand wagt Heidegger gegenüber den notwendigen Schritt der Übersetzung ins Banale. Was Karl Kraus 1934 in ‚Dritte Walpurgisnacht‘ getan hat, nämlich die Übersetzung der Rektoratsrede in die Sprache der nationalsozialistischen Gewalttätigkeit, ließe sich auf den Großteil der Texte Heideggers anwenden.“6 Kraus hatte den Denker Heidegger unter die „Worthelfer der Gewalt“ eingereiht. Im Gegensatz zu Bouveresse sah Derrida in Heidegger den Denker, der es uns ermöglicht, das Wesen des Nationalsozialismus zu denken.
Gabriel Marcels Komödie, die bewusst in der Tradition Molières (Les précieuses ridicules und Les femmes savantes) steht, hat zwei Hauptgestalten, eine auf der Bühne anwesende, den Professor Dolch, eine Karikatur Heideggers, der an der Spitze eines exklusiven Vereins zu Ehren des verstorbenen Dichters „Florestan“ steht, der in Wirklichkeit Gustav Affenreiter hieß und Rilke repräsentiert. Es geht im Wesentlichen um die Frage der Deutungshoheit in Sachen Rilke. Heidegger-Dolch beansprucht diese unter Mithilfe eines Kreises von Enthusiastinnen für sich allein, trifft aber auch auf Gegnerschaft. Florestans illegitime Tochter Verena, die sich selbst als „Florestan Redivivus“ bezeichnet, hat eben Dolch zum Beischlaf verführt und tut das der Florestan-Forschungs-Gesellschaft in Anwesenheit Dolchs so kund:
Ich bin Florestan Redivivus. Er ist es, der sich Ihnen hingegeben hat. Als