Todesruhe - Ein Fall für Julia Wagner: Band 2. Tanja Noy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tanja Noy
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Fall für Julia Wagner
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726643077
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sie würde es tun. Sie würde nach Eva sehen.

      So bald wie möglich.

      Der Tag darauf

      14:32 Uhr

      „Wie geht es Ihnen, Frau Wagner?“

      Mühsam hob Julia die Schultern etwas an.

      „Ich bin Oberstaatsanwältin Carina Färbert“, stellte die Frau sich vor. Dann deutete sie auf den Mann neben sich. „Und das ist Klaus Martin.“

      „Landeskriminalamt“, fügte er erklärend hinzu.

      Julia nickte und wartete ab.

      „Ist es Ihnen recht, wenn wir das Gespräch aufzeichnen?“, wollte Carina Färbert wissen.

      Wieder hob Julia nur leicht die Schultern an.

      „Sie haben also keine Einwände?“

      Kopfschütteln.

      „Gut. Dann schalte ich jetzt ein. Donnerstag, 14. April. Gespräch mit Frau Julia Wagner.“ Carina Färbert warf Martin einen kurzen Blick zu, dann sah sie Julia wieder an. „Würden Sie uns erzählen, was in der Nacht vom 9. auf den 10. April genau geschehen ist, Frau Wagner?“

      Keine Antwort.

      „Frau Wagner?“

      „Ich war in einer Kapelle.“

      „Waren Sie alleine dort?“

      Schweigen.

      „Sie brauchen keine Angst zu haben.“

      „Komisch. Das sagt mir jeder.“

      Carina Färbert räusperte sich und fragte noch einmal: „Waren Sie alleine in der Kapelle?“

      Wieder Schweigen.

      „Frau Wagner?“

      „Eva Haack. Pastor Jordan. Wolfgang Lange. Und ich.“

      „Sie waren also zu viert?“

      Nicken.

      „Was haben Sie in der Kapelle gemacht?“

      „Ich weiß es nicht mehr.“

      „Sind Sie sicher?“

      „Ziemlich sicher.“

      „Warum nur ‚ziemlich sicher‘?“

      „Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich an alles erinnere.“

      „Versuchen Sie es.“

      Keine Reaktion von Julia.

      „Pastor Jordan und Wolfgang Lange sind tot, Frau Wagner.“

      „Greger Sandmann auch.“

      „Also erinnern Sie sich doch.“

      Julias Gesicht blieb unbewegt. „Nicht gut genug.“

      „Frau Wagner …“ Carina Färbert zögerte einen kleinen Moment, so als müsste sie ihr weiteres Vorgehen genau überdenken. „Wir waren inzwischen in Langes Haus und haben dort einige Dinge gefunden.“ Sie zog einen durchsichtigen Plastikbeutel hervor. Aus den Augenwinkeln erkannte Julia, dass sich Fotos darin befanden. Und ein zusammengefaltetes Stück Papier.

      Carina Färbert zog das Papier heraus, faltete es vorsichtig auseinander, und reichte es an Julia weiter.

      Es war die Kopie eines alten Zeitungsartikels. Er berichtete über den Autounfall, bei dem ihre Eltern vor über zwanzig Jahren ums Leben gekommen waren und den sie selbst nur knapp überlebt hatte. Julia reichte den Artikel wieder zurück. Sie hatte das alles schon tausendmal gesehen und gelesen.

      Carina Färbert zog nun die Fotos hervor, die sie ebenfalls an Julia weiterreichte. Die griff widerwillig danach, blinzelte ein paarmal und konzentrierte sich dann. Das erste Foto zeigte sie selbst in einer Sporthalle beim Handball, damals musste sie so ungefähr neun Jahre alt gewesen sein. Am Rande des Spielfeldes war ihr Vater zu sehen, der aufmerksam das Spiel beobachtete. Das zweite Foto zeigte sie und ihren Vater gemeinsam in einem Schwimmbad, das musste etwa ein Jahr später aufgenommen worden sein. Das dritte Foto zeigte sie und ihre Eltern bei ihrer Einschulung.

      „Die Fotos haben Sie bei Lange gefunden?“, fragte Julia.

      „Ja. Wir fanden sie, als wir sein Haus durchsuchten.“

      „Frau Wagner“, schaltete Klaus Martin sich nun ein, „was uns an den Fotos besonders interessiert, ist der Hintergrund. Sehen Sie bitte noch einmal genau hin.“

      Julia betrachtete noch einmal jedes einzelne Foto, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken.

      „Sehen Sie ganz genau hin“, forderte Martin sie auf.

      Julia tat wie geheißen. Nichts.

      Der LKA-Beamte zog einen schwarzen Filzstift aus seiner Brusttasche und kreiste damit eine männliche Gestalt ein, die in der Sporthalle hinter ihrem Vater stand. Der Mann war kaum zu erkennen, inmitten all der anderen Zuschauer. Genau genommen war er nicht mehr als ein verschwommener Fleck, der einen langen Mantel und einen schwarzen Hut trug und in Julias Richtung zu blicken schien.

      Martin machte einen weiteren Kreis, auf dem nächsten Foto, hinter ihr und ihrem Vater im Schwimmbad. Wieder befand sich der Mann in einem Pulk anderer Menschen. Es war Sommer, und es musste ziemlich heiß gewesen sein. Trotzdem war er schwarz gekleidet, dieses Mal trug er allerdings keinen Hut, stattdessen eine Sonnenbrille. Er stand allerdings so weit im Hintergrund, dass es jeder x-Beliebige hätte sein können. Tatsächlich konnte man kaum etwas erkennen.

      Das dritte Foto. Martin machte eine weitere Markierung, dieses Mal stand der Mann hinter einer Gruppe von Eltern, am Eingang zur Schule. Allerdings war er nun im Profil abgebildet, deutlicher und aus geringerem Abstand. Irgendetwas an seiner Haltung, der Wölbung seiner Stirn, an seinem Nasenrücken brachte Julia dazu, sich etwas aufzurichten. Es dauerte noch einen Moment, dann sagte sie: „Nein.“

      „Wie bitte?“ Carina Färbert zog die Augenbrauen nach oben.

      „Ich weiß, was Sie hier versuchen. Aber das kann nicht sein.“ Julia schaute noch einmal genauer hin. Der Mann auf dem Foto hatte keinerlei Ähnlichkeit, was die physische Erscheinung betraf, vermutlich war er sogar fünfzehn Kilo leichter als Wolfgang Lange. Trotzdem kam er ihr bekannt vor. Dies jedoch sprach sie nicht aus. Stattdessen sagte sie: „Das ist nicht Lange. Es besteht überhaupt keine Ähnlichkeit.“

      „Das denken wir allerdings doch.“

      Julia hob den Blick, sah Carina Färbert an. „Wenn das Lange ist, wer hat dann die Fotos gemacht?“

      Die Oberstaatsanwältin erwiderte den Blick ohne zu blinzeln. „Das wissen wir noch nicht. Aber wir sind uns sicher, dass er es ist. Und dass er Sie damals schon beobachtet hat.“

      „Warum?“, wollte Julia wissen.

      „Aus Liebe.“

      „Aus Liebe?“

      Carina Färbert räusperte sich. „Wir gehen davon aus, dass Wolfgang Lange Ihre Mutter geliebt hat, Frau Wagner. Wir haben in seinem Haus eine Art Schrein gefunden, den er für sie errichtet hat. Lange hat zweifellos viele schreckliche Dinge getan. Aber wenn er jemanden geliebt hat, dann Ihre Mutter.“

      „Das ist Käse.“ Julia warf einen letzten Blick auf die Fotos, dann ließ sie sie auf die Bettdecke sinken und presste die Lippen zusammen.

      Carina Färbert steckte die Bilder zurück in die Plastiktüte und holte nun etwas ganz anderes heraus. „Das hier haben wir ebenfalls in Langes Haus gefunden.“ Sie reichte Julia den Gegenstand, und der blieb nun endgültig das Herz stehen. Eine in der Regel übertriebene Aussage, aber genauso fühlte es sich an. Als würde eine Hand in ihre Brust greifen und ihr Herz so fest zusammendrücken, dass es nicht weiterschlagen konnte.

      „Frau Wagner?“

      Julias Hand bewegte sich wie von selbst, führte den Gegenstand dicht vor ihre Augen.